Erste ExpeditionsergebnisseVielfältige Flohkrebsarten in den Kaltwasserriffen vor Island erforscht
17. Dezember 2020, von Anna Priebe
Kaltwasserriffe gehören zu den stark gefährdeten Ökosystemen. Ein Forschungsteam unter Beteiligung des Centrums für Naturkunde hat in Riffen vor Island erstmals die Vielfalt der dort lebenden Flohkrebsarten erforscht. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Marine Ecology“ veröffentlicht.
Auf dem sogenannten Reykjanes Ridge, der südöstlich vor Island verlaufenden Verlängerung des Mittelatlantischen Rückens, befinden sich in tausend Meter Wassertiefe ausgedehnte Korallenriffe. Während Korallen in tropischen Gewässern bei der Nahrungszufuhr von Algen abhängig sind, können sie sich in den kalten, nährstoffreichen Gewässern der Tiefsee allein von Plankton ernähren. Und die Korallen sind Heimat unzähliger wirbelloser Tiere, die in ihren Verzweigungen Schutz und Nahrung finden.
Unter anderem leben in den Riffen kaum erforschte Flohkrebse (Amphipoda). Während einer Expedition des Forschungsschiffs Sonne im Rahmen des „IceAGE Program 2018“ (Icelandic marine Animals: Genetics and Ecology) wurden die Korallenriffe mit einem Kameratauchroboter (Remote Operated Vehicle, ROV) gefilmt, fotografiert und selektiv beprobt. Das heißt, es wurde beispielsweise ein „Zweig“ einer Koralle abgeschnitten und an Deck des Forschungsschiffes geholt.
Erstmals populationsgenetische Untersuchungen
Bereits auf dem Schiff wurden die Krebse präpariert und von einem Forschungsteam des Centrums für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg und des Naturhistorischen Museums Wien untersucht. Auf einem Ast einer Weichkoralle tummeln sich hunderte von Flohkrebsen – und durch die besonders schonende ROV-Methode, bei der das Leben der Koralle nicht gefährdet wird und keine Schäden auf dem Tiefseeboden entstehen, kann das Zusammenleben von Korallen und wirbellosen Tieren analysiert werden.
Erstmals konnten populationsgenetische Untersuchungen vorgenommen werden, welche für Tiefseeorganismen sehr selten sind. Die Analysen des Erbguts kurzer DNA-Abschnitte zeigten eine große Artenvielfalt, wobei sich einige Arten äußerlich sehr ähneln, aber genetisch unterschiedlich sind – sogenannte kryptische Arten– und andere verschieden aussehen, sich aber genetisch gleichen.
Ungewöhnliches Artenvorkommen
Erstaunlich war, dass zwei der untersuchten Flohkrebsarten auf allen untersuchten Korallenarten gefunden wurden. Sie waren somit nicht wirtspezifisch. Bei diesen Arten zeigten sich auch nur geringe genetische Unterschiede zwischen Populationen, die rund 130 Kilometer entfernt voneinander leben. „Wir waren sehr überrascht, dass diese zwei Arten ein so breites Wirtsspektrum aufweisen. Wir hatten erwartet, dass sich die einzelnen Flohkrebse auf eine oder wenige Korallenarten spezialisiert hätten, auch um gegenseitige Konkurrenz zu vermeiden“, beschreibt Dr. Anne-Nina Lörz von dem Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg die Untersuchungen. Die beiden Arten seien der Wissenschaft noch unbekannt und momentan in der Beschreibung.
Die Ergebnisse deuten damit auf einen regelmäßigen Austausch zwischen den Populationen hin. Zudem weisen die Analysen darauf hin, dass sich diese Arten in der Expansionsphase befinden. Dies könnte auf die sich stark verändernden Lebensbedingungen um Island seit der letzten Eiszeit zurückzuführen sein. Dr. Martin Schwentner, Kurator der Sammlung Krebstiere des Naturhistorischen Museums Wien, betont: „Wie sich die aktuellen Klimaveränderungen auf diese Krebse und die Tiefseekorallen auswirken werden, ist noch nicht abzusehen und muss weiter erforscht werden.“
Originalpublikation
Martin Schwentner & Anne-Nina Lörz, Population genetics of cold-water coral associated Pleustidae (Crustacea, Amphipoda) reveals cryptic diversity and recent expansion off Iceland, in Marine Ecology
Über die Forschungsschiffe SONNE, METEOR und MARIA S. MERIAN
Die Universität Hamburg ist Betreiberin dreier im weltweiten Einsatz befindlicher deutscher Forschungsschiffe. Die SONNE und die METEOR sind Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die MARIA S. MERIAN gehört dem Land Mecklenburg-Vorpommern, vertreten durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. Die an der Universität angesiedelte Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe ist für den operativen Betrieb der Schiffe verantwortlich sowie für die wissenschaftlich-technische, logistische und finanzielle Organisation aller Expeditionen.