Transferprojekt: Ergebnisse von Panelbefragung veröffentlichtMusiknutzung sinkt weiter - auch in Coronazeiten
22. September 2020, von Tim Schreiber
Foto: privat
Die Menschen in Deutschland hören deutlich weniger Musik als noch vor zwei Jahren: Das ist eines der Ergebnisse der fünften Befragungswelle der Studie zur Musiknutzung. Über die Gründe dafür und weitere Trends sprechen Studienleiter Michel Clement, Professor für Marketing und Media an der Universität Hamburg, und sein Wissenschaftlicher Mitarbeiter Michael Kandziora.
Die aktuelle Befragungswelle ihrer Studie fand im Juni statt und damit genau in der Zeit der starken Corona-Einschränkungen. Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Nutzung von Musik?
Michel Clement: Wir sehen, dass die monatlichen Ausgaben für Musik in nahezu allen Formaten stark eingebrochen sind. Insbesondere der Absatz physischer Tonträger verzeichnet aber einen drastischen Einbruch gegenüber dem Vorjahr. So sind CD-Verkäufe um 25 Prozent eingebrochen, Ausgaben für Konzerte sogar um 80 Prozent. Auf der anderen Seite sind die Ausgaben für Streaming im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum um 22 Prozent gewachsen.
Michael Kandziora: Interessanterweise ist aber die wöchentliche Hördauer, also die Zeit, in der die Teilnehmenden Musik hören, rückläufig. Diesen Trend können wir schon seit Beginn der Studie beobachten und er scheint sich trotz Corona fortzusetzen. Seit Start der Studie im August 2018 hat der wöchentliche Musikkonsum sogar um eine Stunde und 46 Minuten abgenommen.
Wie erklären Sie sich den Rückgang im Musikkonsum? Haben die Menschen nicht gerade jetzt mehr Zeit, sich mit Musik zu beschäftigen?
Michel Clement: Während der Coronapandemie hat sich der Fokus sicherlich auf den Konsum von Nachrichten verschoben. Die Menschen informieren sich über Fallzahlen, Risikogebiete und Restriktionen. Aber auch die eingeschränkte Mobilität kann dazu beigetragen haben – viele Menschen hören Musik, wenn sie unterwegs sind. Unabhängig von der Pandemie sehen wir aber, dass es vor allem auf dem Smartphone Konkurrenz für Musik gibt. Vor allem junge Menschen verbringen ihre Freizeit auf sozialen Medien wie TikTok und Instagram.
Sind seit Beginn der Erhebung weitere Trends erkennbar?
Michael Kandziora: Insbesondere bei der Nutzung von Streaming und der Nutzung technischer Geräte zum Musikhören ist bereits eine dynamische Entwicklung zu beobachten. Zum einen zeigt die Studie, dass immer mehr Personen einen kostenpflichtigen Streaming-Dienst nutzen. Zum anderen sehen wir, dass immer mehr Menschen in Deutschland einen Smart Speaker zum Musikhören nutzen. Bereits 19 Prozent der Teilnehmenden besitzt einen Smart Speaker und hört damit in der Regel Musik. Dieser Wert hat sich seit der ersten Befragungswelle nahezu verdoppelt. Das Wachstum der Smart Speaker in Deutschland hat sicherlich auch einen positiven Einfluss auf die weitere Entwicklung im Streaming.
Gibt es aus Sicht der Musikindustrie auch positive Entwicklungen?
Michael Kandziora: Die positive Entwicklung von Streaminganbietern wie Spotify und Amazon Music ist ungebrochen. Insbesondere die beiden genannten Anbieter schaffen es, Nutzer von der kostenlosen Version auf die kostenpflichtige Premium Version zu konvertieren. Dies sehen wir an den Nutzerzahlen, aber auch an den monatlichen Ausgaben im Bereich Streaming. Abseits der Musik profitieren diese Unternehmen aber auch vom gestiegenen Interesse an Nachrichten bzw. Podcasts. So gehören regelmäßige Informations- und Wissensformate wie beispielsweise Expertenmeinungen zur Corona-Pandemie zu den beliebtesten Angeboten.
Welche Veränderungen erwarten Sie für die kommenden Jahre?
Michel Clement: Zum einen sind wir natürlich gespannt, inwiefern wir in der anstehenden letzten Befragungswelle bereits einen Erholungseffekt in den Ausgaben für Musik beobachten können. Darüber hinaus hat die zunehmende Nutzung von Smart Speakern wichtige Implikationen für die Branche: Da wir diese Geräte allein über unsere Stimme und ohne visuelles Interface bedienen, werden Menschen Musik zukünftig anders suchen und konsumieren.
Über die Studie
Die Musiknutzungsstudie ist eine halbjährliche Panelbefragung, die in sechs Befragungswellen durchgeführt wird. Die erste Befragungswelle fand im August 2018 statt, die vorliegende fünfte Welle im Juni 2020. Dabei wird ein breites Spektrum an Fragen zur Musiknutzung gestellt – vom Musizieren über Hören bis zum Kauf. Da bei der Erhebung immer wieder dieselben Personen befragt werden, können die Wissenschaftler sehr genau Entwicklungen entlang der befragten Personen beobachten. Vor allem bei sogenannten exogenen Schocks, wie beispielhaft der COVID-19 Pandemie, ist diese Methode der Datenerhebung sehr vorteilhaft. Die Executive Summary sowie die detaillierten Analysen der Musikstudie stehen zu Download bereit.