Schwachstellen von Bakterien im FokusAuf der Suche nach neuen Antibiotika
14. Juli 2020, von Maria Latos
Foto: privat
Weil multiresistente Erreger immer häufiger werden und Menschen gefährlich werden können, suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach neuen Antibiotika. Das Team von Prof. Dr. Daniel N. Wilson am Fachbereich Chemie der Universität Hamburg hat jetzt eine neue chemische Verbindung als mögliches Antibiotikum identifiziert. Sie kann mit den Ribosomen von Bakterien interagieren und deren Funktionen stören.
Das erste Antibiotikum kam im Jahr 1942 auf den Markt: Penicillin. Seine Entdeckung gilt als wichtiger Meilenstein der Medizingeschichte und bescherte seinen Entdeckern den Nobelpreis. Auch heute gehören Antibiotika zu den wichtigsten Arzneimitteln gegen bakterielle Erkrankungen. Das Problem jedoch: Bakterien vermehren sich und mutieren ihre DNA, was dazu führen kann, dass ein bestimmtes Antibiotikum bei ihnen nicht mehr wirkt. Die Bakterien werden gegen das Mittel resistent.
Besonders problematisch wird es, wenn die Bakterien multiresistent sind und gleich mehrere Antibiotika wirkungslos werden. Solche Erreger sind in den vergangenen Jahren häufiger geworden und treten vermehrt dort auf, wo viele Antibiotika im Umlauf sind: in Kliniken und in der Massentierhaltung.
Untersuchung der Struktur und Bindung
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchen daher nach alternativen Wirkstoffen, welche als neuartige Antibiotika dienen könnten „Wir konzentrieren uns auf chemische Verbindungen, die an Ribosomen andocken und untersuchen, wie der Bindungsmechanismus funktioniert“, sagt Prof. Wilson vom Fachbereich Chemie der Universität Hamburg. Ribosomen sind große Moleküle und kommen in den Zellen von Pflanzen, Tieren, Menschen sowie Bakterien vor. Ihre Aufgabe: Sie stellen bei der sogenannten Proteinbiosynthese für alle Organismen essentielle Proteine her.
Einige Antibiotika setzen genau hier an: Sie hemmen die Proteinherstellung, indem sie sich an eine Untereinheit der Ribosomen ankoppeln und Ablesefehler oder gar Ablesestopps verursachen. Dadurch werden fehlerhafte Proteine gebildet, die ihre biologische Funktion verlieren und das Bakterium stirbt.
Erst kürzlich hat die Arbeitsgruppe des Fachbereichs Chemie zusammen mit einem internationalen Forschungsteam eine Studie in der Fachzeitschrift „Nature Chemical Biology“ veröffentlicht, in der sie eine neue potenziell wirksame Verbindung vorstellen: Tetracenomycin X (TcmX). „Tetracenomycin bindet an eine bestimmte Stelle des bakteriellen Ribosoms und stoppt damit die Proteinbiosynthese komplett“, sagt Maximiliane Wieland. Sie ist Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Wilson und eine der Erstautorinnen und -autoren der Studie.
Um die Bindungsstelle von TcmX an das bakterielle Ribosom zu bestimmen, hat das Team mithilfe der Kryoelektronenmikroskopie (Kryo-EM) zunächst die Struktur von TcmX untersucht und es mit dem Ribosom des Kolibakteriums (Escherichia coli) zusammengeführt.
Ausschluss von Kreuzresistenzen
In den Untersuchungen stellten die Forschenden fest, dass TcmX an einer anderen Stelle an das Ribosom bindet als bekannte Antibiotika, die ebenfalls die Proteinbiosynthese von Bakterien hemmen. Das Forschungsteam schließt daraus, dass keine Kreuzresistenzen von TcmX vorliegen. Diese treten auf, wenn eine Bakterienart unempfindlich gegen mehrere Antibiotika mit einem ähnlichen Aufbau und Wirkungsmechanismen ist.
„Wir denken, dass der Wirkmechanismus von TcmX sowie das Fehlen einer Kreuzresistenz mit anderen Antibiotika wahrscheinlich für die ganze TcmX-Familie erhalten bleibt“, sagt Wieland. „Das macht die Mitglieder dieser Familie zu potenziell attraktiven Leitverbindungen für die Entwicklung neuer Antibiotika.“
Um die Ergebnisse der Studie zu bestätigen und den genauen Wirkmechanismus zu ergründen, müssen weitere Test durchgeführt werden. So könnte beispielweise die Verbindung optimiert werden, um sie für den Menschen verträglicher zu machen. „In unserer Arbeitsgruppe führen wir solche Studien leider nicht durch“, ergänzt Wilson. „Aber genau deshalb veröffentlichen wir unsere Ergebnisse in der wissenschaftlichen Community, damit andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon profitieren und mit unseren Ergebnissen weiterarbeiten können.“
Originalpublikation
Osterman, I.A., Wieland, M., Maviza, T.P. et al. Tetracenomycin X inhibits translation by binding within the ribosomal exit tunnel. Nat Chem Biol (2020). https://doi.org/10.1038/s41589-020-0578-x