Gedenkstätte Sandbostel: Geomagnetische Messungen unterirdischer StrukturenArchäologie ohne Bagger und Schaufeln
24. April 2020, von Viola Griehl
Im Februar und März konnte man an der Kriegsgefangenenlager-Gedenkstätte im niedersächsischen Sandbostel ein seltsames Schauspiel beobachten: Mehrere Personen zogen ein seltsames Gefährt durch die Landschaft. Doch es waren keine Experimente mit landwirtschaftlichen Techniken, sondern modernste archäologische Erkundungsmethoden mithilfe einer Sonde. Fragen an den Projektleiter Dr. Robert Schumann vom Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie.
Herr Schumann, konnten Sie die Untersuchungen noch abschließen, bevor die Auflagen wegen der Corona-Pandemie in Kraft traten?
Ja, ich arbeite jetzt zwar aus dem Homeoffice, aber die Untersuchungen haben wir Ende Februar und in der ersten Märzwoche durchgeführt, also noch in einem Zeitraum, bevor die Corona-Pandemie hier voll eingesetzt hat. Daher konnten wir die zweiwöchige Kampagne auch wie geplant abschließen.
Was genau haben Sie in Sandbostel untersucht?
Die Bereiche des Lagers, die heute nicht mehr erhalten sind, sondern unter Ackerland liegen. Dabei ging es uns darum zu prüfen, wie viele Überreste des Lagers noch im Boden schlummern. Dies wollten wir aber nicht durch eine Ausgrabung, sondern durch eine nicht-invasive Methode herausfinden.
Was kann die Archäologie an Erkenntnissen zu Kriegsgefangenenlagern gewinnen, was die Geschichtswissenschaft noch nicht aus Tagebüchern oder Zeitzeugenberichten herausgefunden hat?
Archäologie geht ja immer von der Betrachtung materieller Hinterlassenschaften aus. Die zeitgeschichtliche Archäologie kann somit das Bild aus anderen Quellen ergänzen oder dieses auch widerlegen, da sie sich mit eigenen Methoden und anderen Quellen der Thematik annähert. Wir können deshalb auch Bereiche behandeln, über die andere Quellen schweigen, beispielsweise die Alltagskultur in solchen Lagern, wenn bei Ausgrabungen oder Begehungen materielle Hinterlassenschaften entdeckt werden. Auch in Sandbostel ist die Quellenlage aus historischer Sicht nicht lückenlos, da zahlreiche Akten vernichtet wurden oder nicht erhalten sind. Es gab schon vor einigen Jahren Ausgrabungen in Sandbostel, die durch unsere Messungen nun großflächig ergänzt werden. Grundsätzlich kann die Archäologie zur Erweiterung der Sichtweise in der interdisziplinären Forschung beitragen und durch die Sichtbarmachung nicht erhaltener Lagerteile und die Bergung von materieller Kultur auch ein Teil Erinnerungsarbeit sein. Daher sind unsere Untersuchungen auch ein Kooperationsprojekt mit der Gedenkstätte und der Kreisarchäologie.
Aus der Medizin kennen wir minimalinvasive Eingriffe, in Sandbostel haben Sie nun sogar nichtinvasive Erforschung gemacht, also Archäologie ohne Ausgrabung. Wie muss man sich das genau vorstellen?
Wir haben geomagnetische Messungen durchgeführt. Hierbei wird mit einer Sonde die unterschiedliche Magnetisierung des Bodens und potenzieller Baureste oder Gegenstände gemessen. Die Messbilder können dann von uns interpretiert werden. So erhalten wir einen Eindruck von der sich noch im Boden befindlichen archäologischen Substanz.
Was ist der Vorteil dieser Methode?
Der Vorteil ist, dass sie ohne Ausgrabung ermöglicht, verschiedene Fragen zu beantworten. Eine Ausgrabung ist sehr zeit- und kostenintensiv und auch immer eine Zerstörung eines Denkmales. Denn was einmal ausgegraben wurde, kann nicht unter anderen Rahmenbedingungen, mit anderen Methoden oder neuen Fragestellungen noch einmal ausgegraben werden. Mit unseren Messungen können wir aber schon eine ganze Menge Daten erhalten und auswerten, ohne das Denkmal anzutasten. Außerdem können wir große Bereiche des Lagers messen, Ausgrabungen dagegen können immer nur sehr kleine Ausschnitte beleuchten.
Welches Ziel hatten die Untersuchungen?
Zum einen wollten wir testen, welche Ergebnisse wir mit unseren Geräten und Methoden bei zeitgeschichtlichen Orten wie einem Kriegsgefangenenlager erlangen. Zum anderen ging es uns um die Frage des Denkmalerhalts. Teile des Lagers stehen heute noch als Gedenkstätte. Aber da weite Teile des Lagers vollständig eingeebnet wurden, weiß man nicht, ob und wenn ja wie viel Substanz noch im Boden erhalten ist. Dies ist für die regionale Denkmalpflege und für die Kreisarchäologie aber von großem Interesse und dort kann man auf Grundlage unserer Messungen besser planen.
Darüber hinaus geht es aber auch um Fragen nach der Rekonstruktion von Lagerplänen, der Lokalisierung einzelner Baracken im Boden, der Messung von Bereichen, in denen der Lageraufbau nicht in Archiven oder Luftbildern nachgewiesen ist, und damit auch um die Rekonstruktion eines Lagerplanes. Die Messungen können auch für die bauhistorischen Forschungen der Gedenkstätte weiterführende Daten liefern und sollen auch Ausgangspunkt für weiterführende Fragestellungen sein, zum Beispiel zur Frage nach der Nutzung von Lagerbereichen, die kaum in anderen Quellen dokumentiert sind. Unsere Feldforschungen dienen aber auch immer der Lehre. Ein Masterstudent hat die technische Leitung der Kampagne übernommen und weitere Studierende haben mitgearbeitet.
Von welchen Ergebnissen können Sie heute schon berichten?
Wir sind erst am Anfang der Auswertung, aber wir können jetzt schon einzelne Bereiche des Lagers genauer lokalisieren. Wir können auch die Denkmalsubstanz gut einschätzen und teilweise Bautypen und Konstruktionsdetails aus unseren Bildern ableiten und somit auch zur Baugeschichte beitragen.
Das Kriegsgefangenenlager Sandbostel
Das Kriegsgefangenenlager Sandbostel (im heutigen Landkreis Rotenburg/Wümme) wurde von der Wehrmacht 1939 bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs errichtet. Es war zunächst für die Unterbringung von 10.000 Kriegsgefangenen vorgesehen. Im Laufe des Krieges sollten es insgesamt über 313.000 werden. Zehntausende Kriegsgefangene, vor allem aus der Sowjetunion, und etwa 3.000 KZ-Häftlinge starben im Stammlager oder in den zahlreichen Arbeitskommandos. Die genauen Zahlen sind bis heute unbekannt. Das Lager wurde am 29. April 1945 durch die britische Armee befreit. Die geophysikalischen Messungen des Instituts für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der Universität Hamburg fanden statt im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit der Gedenkstätte Lager Sandbostel und der Kreisarchäologie Rotenburg (Wümme). Die neuen Untersuchungen ergänzen die bisherigen Ausgrabungen.