Wie sich das Ansehen des Nichtstuns seit den 1950er-Jahren verändert hat
30. Oktober 2019, von Anna Priebe
Foto: FZH/Maike Raap
Arbeit, Studium, Freizeit – der Terminplan ist oft dicht gedrängt. Wie wäre es da einfach mal mit Nichtstun? Dr. Yvonne Robel von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg erforscht, wie sich die gesellschaftliche Haltung zum Müßiggang historisch verändert hat. Ihr Fazit: Früher zum Teil noch bestraft, gibt es heute dazu sogar Ratgeber.
Frau Robel, wie haben Sie sich dem Nichtstun wissenschaftlich genähert?
Ich erforsche nicht, wie man nichts tut, sondern es geht mir um die öffentliche Wahrnehmung von Nichtstun und wie sie sich im Zeitraum von den 1950er-Jahren bis heute verändert hat. In den 50er- und 60er-Jahren gab es den Begriff kaum. Der kommt erst ab den 90er-Jahren und vermehrt ab den 2000ern auf. Die früheren Debatten laufen unter Begriffen wie Müßiggang, Muße und Faulheit.
Wie hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung im Laufe der Zeit verändert?
Verallgemeinerungen sind schwierig, aber es sind grobe Trends zu beobachten: In den 50er- und 60er-Jahren herrschten auf der einen Seite extreme Sehnsüchte, etwa nach dem sogenannten „Dolce far niente" – dem süßen Nichtstun im Italienurlaub. Auf der anderen Seite gab es bis 1969 Arbeitshäuser zur Disziplinierung von sogenannten Arbeitsscheuen. Ab den 70ern kam dann eine große Unsicherheit mit Zukunftsängsten auf. Nichtstun wurde hier als Risiko gesehen. Vor allem mit den 80er-Jahren setzten sich individuellere Ansätze von Nichtstun durch. Das schlug sich zum Beispiel in Ratgebern, aber auch in Debatten um Arbeitslosigkeit nieder.
Und heute?
Inzwischen steht mehr im Fokus, dass jeder für sich und sein Wohlergehen verantwortlich ist – und dazu gehört eben auch, sich um Auszeiten zu kümmern. Nichtstun erfährt dabei übrigens eine vermehrte Bedeutungsaufladung. Das eine wichtige Stichwort ist Gesundheit, ein weiteres ist Kreativität. Nichtstun ist ja nicht einfach nur Rumhängen, sondern wird mit Ratgebern, die erklären, wie man richtig und effektiv nichts tun kann und dabei noch kreativ wird, quasi gestaltet. Auch Aktionstage wie der „Zero Tasking Day“ zeigen eine Veränderung im Umgang mit dem Nichtstun. Sie sind ein Hinweis auf die wachsende Popularität des Themas, aber auch auf eine Art von Vermarktbarkeit von Nichtstun. Es gibt Anleitungsbücher, die muss man kaufen, es gibt Kurse im Nichtstun, es gibt eine Akademie der Muße – solche Tage treffen damit sozusagen den Zeitgeist.
Früher war Nichtstun also schlecht, heute erstrebenswert?
Das kann man so nicht sagen. Gemeinhin wird immer angenommen, dass Faulheit und Müßiggang negativ belegt sind, Muße aber positiv. Dabei wurden diese Begriffe – wie auch Nichtstun – im Laufe der Zeit sowohl positiv als auch negativ verwendet.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein Schlagwort wäre der sogenannte Boreout, also die Idee, dass Menschen, die am Arbeitsplatz zu wenig zu tun haben und nichts tun können, krank werden. Hier wird eine negative Verbindung zwischen Nichtstun und Gesundheit vorgenommen. Auf der anderen Seite beobachtet man, dass der Ratgebermarkt stark wächst. Bücher, die propagieren, dass „Faule länger leben“, verdeutlichen, dass dem Faulsein also gleichzeitig eine positive Wirkung auf die Gesundheit attestiert wird.
Wie erforschen Sie die Geschichte des Nichtstuns?
Im ersten Schritt bin ich zu den Rundfunkanstalten gegangen und habe die Radio- und Fernseharchive auf Sendungen zu meinen Schlagwörtern durchsucht. Da habe ich mehr Beiträge gefunden, als ich erwartet hatte, vor allem Info-Formate und Talkshows. Es gab aber auch einige Spielfilme wie „Dreht euch nicht um, der Golem geht um / das Zeitalter der Muße“ von 1971. In dem Fernsehzweiteiler wird eine Zukunft gezeigt, in der Menschen maximal eine Stunde arbeiten und sonst nur Freizeit haben. Der Film spiegelt die damals weit verbreiteten Ängste vor zu viel Zeit und den Folgen. Man kann da also schon fündig wären.
Was ist mit anderen Medien?
Ich habe mir auch populäre Zeitschriften sowie Wochenzeitungen wie die ZEIT und Magazine wie den Spiegel angeschaut. Ich wollte wissen: Wann spricht man über das Thema? Zudem habe ich populärwissenschaftliche Magazine, insbesondere aus der Psychologie untersucht, um auch zu schauen, wo das Wissen über Nichtstun überhaupt herkommt, also zum Beispiel, welche Studien zitiert werden, wer als Experte wahrgenommen wird.
Haben Sie auch mit Nichtstun-Experten gesprochen?
Nein, aber ich beschäftige mich mit spezifischen Gruppen, die mit diesen Begriffen in Verbindung stehen, etwa den sogenannten Gammlern in den 60ern oder den Punks in den 80ern. Da versuche ich, Material zu finden, in dem diese Personen selbst zu Wort gekommen sind. Für die neuere Zeit wäre das zum Beispiel die Gruppe „Die glücklichen Arbeitslosen“, die sich ganz bewusst in einer emanzipativen Form auf Nichtarbeit beruft.
Welche Tipps zum Nichtstun haben Sie für sich aus der Forschung mitgenommen?
Ich persönlich finde diese Anleitungen wenig hilfreich. Was man in den Debatten immer wieder findet, ist die Angst vor Passivität – auch im heutigen Hype um Muße: Ich entscheide mich aktiv fürs Nichtstun und gestalte das dann. Ich würde dagegen sagen: Es ist auch schön, wenn man auf gewisse Weise mal passiv sein kann. So wie im Film „The Big Lebowski“. Der Hauptcharakter ist richtig schön passiv faul.