Studierende erforschen die Geschichte der Volksschule EduardstraßeAls Diktat ein Gedicht zu Hitlers Geburtstag
29. Oktober 2019, von Anna Priebe
Foto: UHH/Ohme
19 Studierende der Universität Hamburg haben in einem Seminar die Geschichte der Grundschule Eduardstraße in Hamburg-Eimsbüttel während des Nationalsozialismus erforscht. Das Ergebnis ist ein Kompendium, das von der Landeszentrale für politische Bildung herausgegeben wird. Studentin Elisabeth Jena und Projektorganisatorin Prof. Dr. Birthe Kundrus über Herangehensweise und Ergebnisse.
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie die Geschichte dieser Schule untersucht haben?
Kundrus: Die Grundschule in der Eduardstraße existiert seit 1905 und war lange eine getrennte Mädchen- und Jungenschule. In Jubiläumsschriften hieß es immer: „Der Nationalsozialismus ist gewissermaßen spurlos an uns vorbeigegangen.“ Dann wurden bei Sanierungsarbeiten im Keller Stahlhelme und alte Akten gefunden. Die Schulleitung wollte nun gerne wissen: Stimmen diese Erzählungen eigentlich? Mit dieser Frage ist sie dann an uns herangetreten.
Was für Material stand Ihnen zur Verfügung?
Jena: Neben den Stahlhelmen und einem alten Schreibtäfelchen haben wir vor allem Dokumente gefunden, zum Beispiel das Diktatheft einer Schülerin von 1934, ein Aufsatzheft sowie Briefe von ehemaligen Schülerinnen und Schülern. Hinzu kamen sogenannte Schülerbögen, in denen die wichtigsten Daten der Kinder festgehalten wurden.
Kundrus: Ganz wichtig war auch ein Konferenzbuch der Mädchenschule. Es enthält Protokolle von Lehrerkonferenzen von 1932 bis 1943, als die Schule durch Bombenangriffe zerstört wurde. Das Buch war sehr ergiebig, weil man sehen kann, wie die Vorgaben der neuen NS-Schulbehörde aufgenommen und umgesetzt werden.
Wie sah der Alltag an der Volksschule während des Nationalsozialismus aus?
Kundrus: Die Volksschule war damals die Schulform, die vermutlich über 90 Prozent der Hamburger Kinder durchliefen, die nicht auf Privatschulen waren. Sie umfasste die erste bis achte Klasse und unterrichtet wurden Lesen, Schreiben und Rechnen, aber auch Geografie und Geschichte.
Die Umstellung des Lehrmaterials erfolgte nach 1933 langsam. Wir stellen uns das mitunter etwas zu schnell und zu umfassend vor, aber es gab – auch in der Eduardstraße – lange ein Nebeneinander von Neuem und Altem. Manche NS-Inhalte sind dabei auf Begeisterung gestoßen, der Turnunterricht hat eine ganz andere Bedeutung bekommen, das dauernde Flaggenhissen war eher umstritten, fiel doch dadurch auch aus der Sicht mancher Lehrer zu viel Unterricht aus.
Jena: Da ist das Diktatheft ein schönes Beispiel: Gleich das erste Diktat war ein Gedicht zum Geburtstag von Adolf Hitler. Im Konferenzbuch konnte man auch viel herauslesen über die Lehrpläne, die geändert wurden, und über die Bücher, die verboten wurden.
Kundrus: Wobei man auch sagen muss: Nach dem Gedicht zu Hitlers Geburtstag kommt inhaltlich lange Zeit gar nichts mehr zu diesem Thema. Da geht es dann in Aufsätzen zum Beispiel um Klassenfahrten zum Dom oder deutsche Märchen.
Frau Jena, Sie haben bei der Recherche zur Geschichte der Schule Eduardstraße speziell das Thema Volksgemeinschaft untersucht. Worum ging es dabei?
Jena: Es gibt eine Definition des Begriffs Volksgemeinschaft und davon, was sie ausmacht. Ich habe geschaut, ob ich das in dem Material finde. Zum Beispiel war die Wohlfahrt immer etwas, das für die Volksgemeinschaft als sehr wichtig angesehen wurde. In dem Konferenzbuch konnte man sehr viele solche „wohltätige“ Veranstaltungen finden, bei denen zum Beispiel Geld gesammelt wurde.
Ich habe mir auch die Schülerbögen angeschaut, die ab Mitte der 1930er-Jahre durch Meldebögen ergänzt wurden. Auf denen mussten die Eltern und Großeltern Auskunft geben, ob sie jüdischer Abstammung waren. In den Meldebögen waren die Angaben zur „Abstammung“ allerdings oft gar nicht oder unvollständig ausgefüllt. Trotzdem wurden sie abgeheftet und es hat anscheinend niemanden gekümmert.
Haben Sie auch mit Zeitzeugen gesprochen?
Jena: Wir haben zwei Zeitzeuginnen interviewt. Bei beiden gab es einen großen Redebedarf in Bezug auf den Krieg. Aber es war für uns schon eine Herausforderung: Wie frage ich eigentlich eine 90-Jährige, ob sie damals im Alter von zehn Jahren den Hitlergruß gemacht hat – ohne dass sie sich angegriffen fühlt? An den Reaktionen hat man auch gemerkt, dass sie darüber nicht sprechen wollten. Häufig hieß es dann: Daran erinnere ich mich nicht.
Was sind die Haupterkenntnisse dieses Projektes?
Kundrus: Während zur Geschichte anderer Schulformen im Nationalsozialismus, etwa von Gymnasien, viele Studien vorliegen, sind Volksschulen bisher wenig erforscht. Wir haben durch unser Buch versucht, diese Lücke in der Hamburger Schulgeschichte ein bisschen zu schließen.
Die Schule in der Eduardstraße war dabei ein Beispiel dafür, wie sehr Ambivalenzen Unterricht und Schulalltag bestimmten, so ein Wechsel von Mitmachen, auch eigenem Vorpreschen und leiser Distanz – und zwar auf allen Ebenen. Es gibt sowohl die überzeugte Annahme von Vorgaben als auch die weniger überzeugte Durchsetzung anderer Aspekte. Quellen aus dem Schulalltag von Volksschulen dieser Zeit findet man selten und es war ein großes Glück, dass die Schule uns informiert hat. Auch bei der Durchführung hat sie uns dankenswerterweise unterstützt.
Jena: Es war auf jeden Fall eine interessante Art des Arbeitens. Durch dieses forschende Lernen baut man einen viel engeren Bezug zum Thema auf – auch nach Ende des Projektes hängt man noch daran. Mit den Zeitzeugen zu sprechen, war für mich eine sehr aufregende Erfahrung und am Ende zieht man da sowohl wissenschaftlich als auch für sich persönlich viel Mehrwert draus.
Festakt in der Grundschule Eduardstraße
Heute ist die Einrichtung eine Ganztags-Grundschule mit einer Vorschulklasse und hat ca. 200 Schülerinnen und Schüler. Am 30. Oktober 2019 wird Hamburgs Schulsenator Ties Rabe in der Grundschule Eduardstraße in einem internen feierlichen Akt das Buch zur Geschichte der Schule übergeben. Anschließend wird es bei der Landeszentrale für Politische Bildung für eine Servicepauschale von 2,50 Euro erhältlich sein. Zudem ist es als Download online verfügbar unter: https://www.hamburg.de/politische-bildung/