GenmutationenDas Geheimnis der giftigen Schmetterlinge
22. Oktober 2019, von Maria Latos
Foto: Cornell University/Ellen Woods
Der Monarchfalter ist gegen ein Pflanzengift immun, das beim Menschen zum Herzstillstand führen kann. Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg hat nun herausgefunden, welche Genmutationen es den Schmetterlingen ermöglichen, auf den giftigen Seidenpflanzen zu gedeihen.
Mit seinen schimmernden, orange-schwarzen Flügeln ist der Monarchfalter (Danaus plexippus) eine richtige Schönheit unter den Schmetterlingen. Dazu ist das filigrane Geschöpf auch besonders robust: Die Schmetterlingsart pendelt nicht nur mehrere Tausend Kilometer zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten, sondern ernährt sich auch noch von giftigen Pflanzen: Die Weibchen legen ihre Eier auf sogenannte Seidenpflanzen, von denen sich die geschlüpften Raupen anschließend ernähren. Die giftigen Wirkstoffe der Seidenpflanze machen ihnen nichts aus. Im Gegenteil: Sie werden sogar in den Schuppen der Schmetterlingsflügel gespeichert und bieten dann einen idealen Schutz vor Fressfeinden. Sollte dennoch ein Vogel auf die Idee kommen, eine Kostprobe der Falter zu nehmen, zeigt das Gift seine Wirkung – und löst einen Brechreiz aus.
Die giftigen Wirkstoffe in den Seidenpflanzen sind sogenannte Herzglykoside, die beim Menschen die Natrium-Kalium-Pumpe von zum Beispiel Nervenzellen blockieren und so die Reizweiterleitung stoppen. Die Folge einer zu hohen Dosierung ist ein Herzstillstand. In Medikamenten werden Herzglykoside in niedriger Konzentration jedoch bei der Behandlung von Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen eingesetzt.
Woher kommt die Giftresistenz?
Mit ihrer Gifttoleranz besetzen die Tiere eine sonst wenig genutzte ökologische Nische und steigern ihre Überlebenschancen. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Susanne Dobler aus dem Fachbereich Biologie hatte in den letzten Jahren aufgeklärt, durch welche Mutationen im Gen der Natrium-Kalium-Pumpe die Falter Resistenz gegen die Gifte erlangen und wie sich diese Fähigkeit in der Verwandtschaftsgruppe des Monarchfalters allmählich entwickelt hat. Mit Natrium-Kalium-Pumpen-Proteinen, die in Zellkultur hergestellt wurden, war der Arbeitsgruppe bereits der Nachweis gelungen, dass zwei spezifische Mutationen ausreichen, um eine resistente Natrium-Kalium-Pumpe herzustellen. Aber würde das in einem lebenden Organismus auch die gewünschte Anpassung an das Gift gewährleisten?
Kontrolle mit Fruchtfliegen
Nun hat ein internationales Forschungsteam unter Federführung von Prof. Dr. Noah Whiteman von der UC Berkeley und mit Beteiligung der Hamburger Arbeitsgruppe eine Antwort auf dieses Rätsel gefunden. In einer in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Studie beschreiben sie, wie sie Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) genetisch veränderten und züchteten. Dafür nutzten sie die neue Genschere Crispr/CAS9, die mit zuvor unerreichter Genauigkeit die DNA an frei wählbaren Punkten manipulieren kann. Die Fruchtfliegen ließen sich durch die Einführung der zwei Mutationen tatsächlich in kleine „Monarchfliegen“ verwandeln, die auf einmal wie der Monarchfalter das tödliche Gift vertrugen und es sogar selber in geringen Mengen im Körper anreicherten – ein erster Schritt, um für Fressfeinde ungenießbar zu werden.
Allerdings zeigte sich in dieser Studie auch, dass eine dritte Mutation notwendig war, um Nebeneffekte der Resistenz abzumildern. Die Idee, diese dritte, kompensatorische Mutation zu testen, kam den Forschern durch einen Vergleich verschiedener Insekten, die gegen die Gifte immun sind und alle diese ansonsten nicht auffällige Mutation trugen. Und tatsächlich: Während die Fliegen mit nur zwei Mutationen heftiges Schütteln nicht mehr vertrugen und lange brauchten, um sich wieder aufzurichten, kamen diejenigen mit der zusätzlichen dritten Mutation schnell wieder auf die Beine und waren gleichzeitig genauso unempfindlich gegen das Gift.
„Diesen Effekt hätten wir nur mit unseren Untersuchungen in Zellkultur niemals finden können. Solche neurologischen Probleme kann man erst im ganzen Organismus erkennen“, erklärt Dobler.
Originalpublikation
Marianthi Karageorgi, Simon C. Groen, Fidan Sumbul, Julianne N. Pelaez, Kirsten I. Verster, Jessica M. Aguilar, Amy P. Hastings, Susan L. Bernstein, Teruyuki Matsunaga, Michael Astourian, Geno Guerra, Felix Rico, Susanne Dobler, Anurag A. Agrawal & Noah K. Whiteman (2019): Genome editing retraces the evolution of toxin resistance in the monarch butterfly. In: Nature. DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-019-1610-8