Training für die Sinne
21. Oktober 2019, von Felix Willeke
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Wie können Menschen ihre Sinnesorgane schärfen? Das ist eine der Fragen, mit denen sich PD Dr. Kirsten Hötting in der Arbeitsgruppe Biologische Psychologie und Neuropsychologie der Universität Hamburg beschäftigt. Vor dem nächsten Treffen ihrer Arbeitsgruppe mit blinden Sportlern erklärt sie, wie Sport die Funktion des Gehirns beeinflussen kann und welche Unterschiede es dabei zwischen blinden und sehenden Menschen gibt.
Wie können wir unsere kognitiven – also mentalen – Fähigkeiten beeinflussen?
Eine Möglichkeit, gleichzeitig körperliche und kognitive Fähigkeiten zu trainieren, sind Sport und Bewegung. Studien zeigen: Wenn sich insbesondere ältere Menschen regelmäßig bewegen, können sich Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Planungskompetenzen verbessern. Sport und Bewegung haben Einfluss auf die Nervenzellen im Gehirn. So wurde beobachtet, dass sich durch körperliche Aktivität die Struktur und Funktion des Gehirns positiv beeinflussen lässt.
Gibt es besonders geeignete Sportarten für das Training kognitiver Fähigkeiten?
Lange Zeit dachte man, Ausdauertraining sei besonders wirksam. Mittlerweile gehen wir aber davon aus, dass verschiedene Trainingsformen wahrscheinlich spezifische Effekte haben. So hat Dr. Ann-Kathrin Rogge aus unserer Arbeitsgruppe ein 12-wöchiges Balancetraining durchgeführt. Dieses hatte bei den Probanden Verbesserungen im Gedächtnis und des räumlichen Vorstellungsvermögens zur Folge. Außerdem haben wir Veränderungen im Gehirn der Probanden beobachtet: Areale, die Informationen aus dem Gleichgewichtssinn verarbeiten, wurden stimuliert und wir vermuten daher, dass Balancetraining diese Bereiche speziell anspricht.
Gibt es bei solchen Übungen einen Unterschied zwischen blinden und sehenden Menschen?
Wir wissen, dass der Sehsinn für das Gleichgewicht sehr wichtig ist. Daher hat Frau Dr. Rogge die Studie auch mit blinden Probanden durchgeführt. Bei dem Balancetest schnitten diese zunächst durchschnittlich schlechter ab als die Sehenden. Mit der Trainingsstudie konnten wir jedoch zeigen, dass blinde Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach 12 Wochen Training in Balancetests genauso gut abschnitten wie untrainierte sehende Personen mit geöffneten Augen.
Das heißt, blinde Menschen können mit Sport ihre anderen Sinnesorgane trainieren?
Den fehlenden Sehsinn können blinde Erwachsene vermutlich durch gezieltes Training anderer Sinne wie den Gleichgewichtssinn und die Propriozeption – also die Wahrnehmung des eigenen Körpers und der eigenen Bewegungen – zum Teil kompensieren. Diese Vermutung konnten wir durch Daten aus der Magnetresonanztomographie stützen. Nach dem Training waren strukturelle Anpassungen im Gehirn der blinden Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Gebieten zu beobachten, die für den Gleichgewichtssinn und die Propriozeption relevant sind.
Weitere Informationen
Am 23. Oktober 2019 findet im Betriebssportzentrum „Claus-Günther Bauermeister" (Wendenstraße 120, 20537 Hamburg) das nächste Treffen der Arbeitsgruppe Biologische Psychologie und Neuropsychologie der Universität Hamburg mit blinden Sportlern statt. Neben Vorträgen gibt es einen Blindentennis-Workshop, bei dem jeder Besucher ausprobieren kann, wie es ist, Tennis zu spielen, ohne etwas zu sehen.