Norddeutsches Zentrum für Künstliche Intelligenz in der Medizin„Künstliche Intelligenz hilft heute schon, Krankheiten zu entdecken“
19. September 2019, von Felix Willeke
Foto: UHH/MIN/Fuchs
Der Informatiker Prof. Dr. Frank Steinicke ist einer der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Universität Hamburg, die am neuen „KI-Space für intelligente Gesundheitssysteme“ mitarbeiten. Im Interview erklärt er, was künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin leisten kann und welche Chancen sie für Ärzte und Patienten bietet.
Was macht das „KI-Space für intelligente Gesundheitssysteme“?
Wir wollen in Norddeutschland ein Kompetenzzentrum für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im medizinischen Bereich aufbauen. Dabei bringen wir Expertise aus Kliniken, der Wissenschaft und der Wirtschaft zusammen. Koordiniert wird das Zentrum in Lübeck, wir an der Universität Hamburg sind Ansprechpartner für Unternehmen und Kliniken aus Hamburg, die an dem Projekt mitarbeiten. Ziel ist es Produkte zu entwickeln, die in der täglichen Praxis zu Anwendung kommen können.
Woran arbeiten Sie konkret?
Die Universität Hamburg und das UKE sind mit mehreren Projekten beteiligt. Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit intelligenten Hörhilfen. Im Moment haben Hörgeräte noch den Nachteil, dass sie in großen Menschenansammlungen störende Geräusche nur schwer herausfiltern können. Das wollen wir ändern. KI ist heute schon in der Lage, bestimmte Geräusche zu ignorieren. Der Mensch kann allerdings in großen Menschenmengen durch Aufmerksamkeit Gespräche in der Umgebung ausblenden und nur einer Unterhaltung folgen. Das irgendwann auch mit KI zu ermöglichen, wäre ein Ziel.
Die Universität Hamburg wirkt außerdem maßgeblich bei der Entwicklung der KI-Plattform des Kompetenzzentrums mit. Über sie werden Daten und Erkenntnisse geteilt, dadurch wird das bundesländerübergreifende Arbeiten möglich. Meine Kolleginnen und Kollegen sorgen unter anderem dafür, dass diese Plattform den aktuellen Datenschutzrichtlinien entspricht sowie Datensicherheit und Privatsphäre sichergestellt werden.
Was bedeutet das?
Wenn KI lernt, braucht sie riesigen Datenmengen. Je mehr Bilder zum Beispiel von bösartigen Tumoren als Datensatz vorhanden sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die KI einen solchen Tumor in einem Verdachtsfall erkennt. Solche Daten dürfen die jeweiligen Kliniken nicht verlassen und das ist auch gut so. Damit die KI und ihre Algorithmen aber auch klinikübergreifend von einer möglichst großen Datengrundlage lernen können, müssen wir diese zugänglich machen. Dafür werden Algorithmen in den Kliniken trainiert aber auch Daten simuliert. Das heißt, eine abgewandelte Kopie des Bildes eines Tumors gleicht der Originalaufnahme in ihrer Struktur, kann jedoch keiner Klinik und keinem Patienten zugeordnet werden und ist somit datenschutzkonform.
Wo ist KI heute schon im Einsatz und wie geht die Entwicklung weiter?
KI hilft heute schon Ärzten, Krankheitsbilder zum Beispiel auf MRT-Aufnahmen zu erkennen. Künstliche Intelligenz gibt den Ärzten einen möglichst zuverlässigen Hinweis auf eine Diagnose, an der diese sich dann orientieren können. Bei diesen bildgebenden Verfahren ist die KI heute schon oft besser als der Mensch. Zukünftig ist es zum Beispiel vorstellbar, dass Pflegeroboter eingesetzt werden, die Essen bringen oder Patienten beim Gang auf die Toilette begleiten. Ein Szenario, das ich aber erst in frühestens 15 Jahren sehe.
Welche Folgen hat der Einsatz von KI in der Medizin für Ärzte und Patienten?
Uns geht es nicht darum, Menschen durch Maschinen zu ersetzen. Wir wollen Ärztinnen und Ärzten sowie dem Pflegepersonal mehr Zeit für die wichtigen Aufgaben, wie ein Patientengespräch, verschaffen. Der Einsatz von KI soll sie aber nicht abschrecken oder stören und deshalb arbeiten wir heute in der Forschung schon eng mit den Patientinnen und Patienten zusammen. Sie geben uns Rückmeldungen zum Einsatz.
Wie passt die Tätigkeit des KI-SIGS in ihrer aktuellen Forschung?
Da gibt es durchaus Überschneidungen. So forschen wir zurzeit am Einsatz von virtueller Realität zur Behandlung neurologischer Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson, aber auch im Bereich von Phobien. Hierbei üben beispielsweise Menschen, die Schwierigkeiten haben, vor vielen Menschen zu sprechen, mit Hilfe von VR-Brillen, sich an diese Situationen zu gewöhnen. Dass macht diese Form der Therapie günstiger und auch mobiler. Die Menschen können auch zu Hause an ihrer Erkrankung arbeiten.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft vom „KI-Space für intelligente Gesundheitssysteme“?
Das Zentrum ist jetzt mit über 20 Partnern für drei Jahre finanziert. Mein Wunsch wäre es, in diesen drei Jahren ein Ökosystem aufzubauen, welches sich in Zukunft selbst tragen kann. Damit könnten wir das Thema KI in Gesundheitssystemen europaweit als ein norddeutsches Thema platzieren.
Weitere Informationen
Die Universität Hamburg ist eine von vier am KI-SIGS beteiligten Universitäten. Die anderen sind die Universität Bremen, die Universität Kiel und die Universität Lübeck. Außerdem ist im Verbund der Länder Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein auch das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin (MEVIS) beteiligt. Hinzu kommen die Universitätskliniken der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein sowie einige Unternehmen. Gefördert werden soll das Zentrum mit 10 Millionen Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI). Mehr Informationen dazu finden Sie in der Pressemitteilung.
Von der Universität Hamburg sind neben Prof. Dr. Frank Steinicke sieben weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt: Die Informatiker Prof. Dr. Hannes Federrath, Prof. Dr. Mathias Fischer, Prof. Dr.-Ing. Timo Gerkmann und Prof. Dr. Stefan Wermter sowie die Informatikerin Prof. Dr. Simone Frintrop. Prof. Dr. Ingrid Schneider und Prof. Dr. Judith Simon beschäftigen sich mit den ethischen Fragen zu KI.