Wissen bewahrenForschungsprojekt setzt sich für Förderung von immateriellem Kulturgut ein
7. August 2019, von Anna Priebe
Foto: UHH/Ohme
Ob Imkerei oder Volkstanz – immaterielles Kulturgut hat viele Formen. Wie man es schützen und vor allem für die nachhaltige Stärkung zentraleuropäischer ländlicher Regionen nutzen kann, untersucht das EU-Projekt ARTISTIC. Projektmitarbeiterin Dr. Eliane Fernandes Ferreira vom Institut für Empirische Kulturwissenschaft im Interview.
Was steckt hinter dem Begriff „immaterielles Kulturgut“?
Unter diesem Begriff sind Kenntnisse und Fähigkeiten zusammengefasst, die spezifisch für eine Region oder eine Kultur sind und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Das können Lieder oder Tänze sein, aber auch Handwerkstechniken. Das Wissen führt am Ende oft zu materiellen Gütern, dennoch wird häufig vergessen, wie wichtig Kultur für die Wirtschaft ist – auch in Hinblick auf den Tourismus.
Können Sie ein Beispiel aus Ihrem Projekt nennen?
In der Region Ostelbien rund um Torgau und Beilrode in Sachsen konzentriert sich unser Projektpartner vor Ort zum Beispiel darauf, das traditionelle Wissen im Bereich der Imkerei zu retten. Die Kenntnisse der dortigen Gemeinschaften sollen wiederaufleben.
Auch in der Landwirtschaft gibt es altes, gefährdetes Wissen. Zum Beispiel darüber, wie man auf traditionelle Weise Viehzucht betreibt und wie man in der speziellen Region eine Weide mit überlieferten Methoden ökologisch bepflanzen kann, um Futter für die Tiere zu bekommen. Das gehört auch zum immateriellen Kulturgut.
In Ihrem Projekt geht es um den Schutz dieses Gutes. Wie sieht das konkret aus?
Wir agieren in acht verschiedenen Ländern Zentraleuropas, unter anderem Deutschland, Italien, Polen, Ungarn und Slowenien. Erstmal ging es darum, das immaterielle Kulturerbe in den Regionen zu identifizieren und zu schauen, wer die Träger dieses Wissens sind. Dazu gab es unter anderem einen sogenannten Open Call, bei dem über das Internet dazu aufgerufen wurde, Initiativen und Projekte zum Schutz bestimmter immaterieller Kulturgüter vorzuschlagen. Die Bevölkerung war also selber aufgerufen, Ideen einzubringen.
In Ostelbien wurde daraufhin ein Projekt ins Leben gerufen, um die Gemeinden bei der Imkerei zu unterstützen. Die Projektpartner informieren die Menschen auf Veranstaltungen und für kleinere Projekte, etwa die Anschaffung von Bienenkisten, werden unter anderem Crowdfunding-Aktionen gestartet.
In Ungarn stehen dagegen traditionelle Methoden des Hausbaus im Fokus. Das ist Wissen, das immer mehr in Vergessenheit gerät. Aber wenn man eine ländliche Region für den Tourismus interessant machen möchte, braucht man auch solche Komponenten. Die Partner vor Ort haben daher zusammen mit der dortigen Universität eine Veranstaltung für Architekturstudenten organisiert, damit sie mit traditionellen Techniken des Hausbaus aus der Region in Berührung kommen.
Was ist die Rolle der Universität Hamburg?
Wir agieren als wissenschaftliche Begleiter des Projektes und evaluieren jeden Schritt. Dabei achten wir auch darauf, dass es nicht nur darum geht, wie mit dem Kulturerbe Geld verdient werden kann. Wichtig ist uns, dass die Wertschätzung und die Stärkung des immateriellen Kulturgutes im Vordergrund stehen.
Zu Beginn bestand unsere wichtigste Aufgabe darin, Information darüber bereitzustellen, was immaterielles Kulturerbe überhaupt ist und wie man es stärken kann. Zudem erklären wir, worauf man achten muss, damit die Essenz des immateriellen Kulturerbes erhalten bleibt und nicht gefährdet wird. Dazu beraten wir, in welcher Form immaterielles Kulturerbe finanziell gefördert werden könnte – auch jenseits von Crowdfunding oder von Businessplänen.
Daraus haben wir ein methodisches Tool-Set entwickelt, gewissermaßen einen Werkzeugkasten für die Menschen, die mit immateriellen Kulturgut arbeiten möchten. Welche Instrumente jeweils eingesetzt werden, haben wir zusammen mit sogenannten lokalen „Intangible Cultural Heritage-Desks“ (engl. für immaterielles Kulturerbe, Anmerk. d. Red.), kurz ICH-Desks, diskutiert. Dabei kommen sowohl Vertreter der Partnerorganisationen als auch Menschen aus der Bevölkerung zusammen.
Was ist aus wissenschaftlicher Sicht das Ziel?
Wir wollen bei dem Pilotprojekt der EU sehen, wie man es schafft, ländliche Regionen in diesen zentraleuropäischen Ländern mithilfe der Förderung und Wertschätzung des immateriellen Kulturgutes ökonomisch und gleichzeitig nachhaltig zu entwickeln. Dabei ist es wichtig, dass das Kulturgut nicht gefährdet wird. Ab Dezember erwarten wir die ersten Ergebnisse der Partner. Dann können wir zum Beispiel sehen, in welcher Form und in welchem Bereich Crowdfunding funktionieren kann.
Zum Abschluss des Projektes im Juni 2020 wollen wir der EU ein Modell liefern, das für alle Regionen eingesetzt werden kann. Es soll den Weg ebnen, damit auch andere ländliche Regionen den methodischen Werkzeugkasten einsetzen können.
ARTISTIC
Das Projekt „ARTISTIC – Valorization of Intangible Cultural Heritage (ICH) Assets for local sustainable development in CE Regions” ist Teil des grenzübergreifenden EU-Förderprogramms „InterReg“. Es wird in acht zentraleuropäischen Ländern mit insgesamt zwölf Projektpartnern umgesetzt. Die Universität Hamburg ist der einzige wissenschaftliche Partner; hier wird das Projekt geleitet von Prof. Dr. Gertraud Koch, Professorin für Volkskunde/Kulturanthropologie. Anliegen des Projektes ist die Identifizierung, Auswahl und Förderung immateriellen Kulturerbes in den Regionen. Die beteiligten Länder sind Italien, die Slowakei, Slowenien, Ungarn, die Tschechische Republik, Österreich, Polen und Deutschland.