Kleine Zunge, riesige KräfteWencke Krings über ihre Forschung zur Raspelzunge von Landschnecken
25. Juli 2019, von Anna Priebe
Foto: UHH/Wohlfahrt
Schnecken sind quasi kleine Industriemaschinen. Die Zähne ihrer Raspelzunge, Radula genannt, wirken punktuell mit einem Druck von 4700 bar auf die Nahrung ein. Wencke Krings erläutert im Interview die erstmals durchgeführten Messungen des Centrums für Naturkunde der Universität Hamburg und des Zoologischen Instituts der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
4700 bar klingen unglaublich. Was verbirgt sich hinter dieser Zahl?
Das ist ein Wert, den wir auf Grundlage unserer Messungen errechnet haben. Mithilfe eines Sensors haben wir die Kraft ermittelt, mit der die Radula – also die Zunge der Schnecke – die Nahrung aufnimmt. Das waren rund 107 Millinewton.
Wenn die Schnecke frisst, spannt sie die Radula wie ein Band, sodass die Zähne etwas abstehen und zum Kratzen genutzt werden können. Wir haben die Zähnchen gezählt, die sich auf der Radula befinden und konnten durch Videoaufnahmen sehen, dass nur etwa 15 Prozent der Zunge überhaupt beim Aufkratzen der Nahrung zum Einsatz kommen. Das entspricht knapp 3300 der insgesamt rund 22.000 Zähne.
Die Zähne sind spitz und auch nur die äußersten Punkte werden abgenutzt. Wir haben diese Kontaktfläche mit 227 Quadratmikrometern berechnet. Zusammen mit der gemessenen Kraft ergibt sich daraus, dass die einzelne Zahnspitze umgerechnet mit einem Druck von bis zu 4700 bar auf die Nahrung wirkt.
Wie sind Sie auf dieses Forschungsthema gekommen?
In meiner Promotion forsche ich zu der Härte von Schneckenzähnen. Grundsätzlich ist es bei diesen Tieren so, dass die Zähne weicher sind als die Nahrung. Obwohl sie von der Härte vergleichbar sind mit Holz, können die Schnecken mit ihnen durchaus eine frische Karotte fressen. Dadurch gibt es eine hohe Abnutzung und die Schnecke bildet pro Tag mehrere Zahnreihen neu. Wir wollten uns jetzt anschauen, was Schnecken mit ihren Zähnen eigentlich leisten können.
Was waren die Herausforderungen bei der Forschung?
Es war relativ schwierig, den Versuchsaufbau zu entwickeln, weil wir sichergehen mussten, dass die Schnecke mit nichts anderem als der Radula den Sensor berührt. Daher mussten wir mit der Größe des Sensors und des Lochs in der Platte experimentieren. Den Kontakt haben wir mit einer Kamera und Spiegeln kontrolliert.
Außerdem mussten wir das richtige Futter finden. Die Tiere fressen am liebsten feuchte Nahrung. Im Experiment ist das aber nicht besonders gut umsetzbar. Wir haben unter anderem versucht, Karottenstückchen an den Sensor zu kleben, was aber nicht funktioniert hat. Dann sind wir auf die Paste gekommen, die die Schnecken relativ leicht ablösen konnten. Das bedeutet aber auch, dass die gemessenen Kräfte das untere Minimum darstellen. Die Schnecken könnten noch viel mehr Kraft aufbringen, wenn sie müssten.
Welche Forschungsfragen können mit den Ergebnissen bearbeitet werden?
Die große Frage in diesem Projekt ist die nach der Evolution der Tiere. Natürlich sind Schnecken unterschiedlich, aber prinzipiell sind die 80.000 Arten sehr ähnlich. Natürlich gibt es auch Land- und Wasserschnecken, welche mit Gehäuse und welche ohne, aber insgesamt sind die Arten nicht so variabel. Da ist die Frage: Wie schaffen sie es, nebeneinander zu existieren? Die Zähne sind da ein wichtiger Hinweis, denn sie unterscheiden sich größtenteils von Art zu Art. Wir wollen sie daher näher untersuchen.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Kauprozesse bei Schnecken sind, wie gesagt, von Art zu Art verschieden und sehr komplex. Wir haben jetzt Landschnecken genommen, weil sie relativ groß sind und der Versuchsaufbau realisierbar war. Eine Frage für uns wäre jetzt, ob man diese Experimente zum Beispiel auch unter Wasser durchführen kann, um zu schauen, wie Wasserschnecken fressen.
Publikation
Krings W, Faust T, Kovalev A, Neiber MT, Glaubrecht M, Gorb S. 2019 In slow motion: radula motion pattern and forces exerted to the substrate in the land snail Cornu aspersum (Mollusca, Gastropoda) during feeding. R. Soc. Open Sci. 6: 190222. http://dx.doi.org/10.1098/rsos.190222