Soziale Medien – Gefahr oder Chance für die Politik?
23. Mai 2019, von Felix Willeke
Foto: pixabay/arembowski
Der Wahlkampf zur Europawahl 2019 läuft auf vollen Touren. Außer auf klassischen Plakaten, Anzeigen oder in Talkrunden werben die Parteien auch in den sozialen Netzwerken für ihre Politik. Die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw vom Fachbereich Sozialwissenschaften über Facebook, Instagram & Co.
Sind soziale Medien eher Chance oder Gefahr für die Politik?
Bei diesem Stichwort muss ich erstmal Entwarnung geben: In Deutschland spielen die sozialen Medien noch keine große Rolle. Für nur sieben Prozent der deutschen Bevölkerung sind soziale Netzwerke das Hauptmedium, ein Prozent informiert sich dort ausschließlich.
Der Großteil sucht seine Informationen immer noch auf anderen Kanälen. Das gilt insgesamt für die meisten Länder in Europa, die über einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk verfügen.
Soziale Medien sind ein Weg, Menschen zu motivieren, sich für Wahlen und Politik zu interessieren. Gleichzeitig sind sie aber auch ein Einfallstor für falsche Informationen. Im Moment haben wir aber noch keine Hinweise, dass diese Wahlen in Deutschland von Seiten der sozialen Medien gefährdet sind. Das Problem sind hier aktuell nicht irgendwelche Mächte von außerhalb, sondern politische Akteure, die es mit der Wahrheit nicht besonders genau nehmen.
Wie wichtig sind sozialen Medien für die Parteien?
Sie setzen immer stärker darauf. Die Parteien haben das Gefühl, dass die Bürgerinnen und Bürger von ihnen erwarten, dort präsent und sichtbar zu sein, und das stimmt auch. Auch wenn sich viele Menschen noch in den klassischen Medien informieren, werden so genannte Snack-News immer wichtiger. Das bedeutet, dass die Menschen möglichst schnell und nebenbei informiert werden wollen, und dann reichen in Zeiten von Smartphones häufig Überschriften. Genau diese Art von kurzen, schnellen Information liefern Facebook & Co. Außerdem können Menschen, die sonst keine Nachrichten verfolgen und sich niemals eine Zeitung kaufen würden, in den sozialen Medien zufällig mit Nachrichten in Kontakt kommen. Wir nennen das „incidental news exposure“. Die Nachrichten reihen sich zufällig in die bunt gemischte Timeline bei Facebook ein.
Welche Macht haben in diesem Zusammenhang die sozialen Netzwerke?
Die Algorithmen der Plattformen orientieren sich am Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer, genauso wie an dem ihrer Freunde. Sie stellen dann die Inhalte bereit, die gefallen. Diese Nutzungserfahrungen wollen die sozialen Netzwerke optimieren und das kann dazu führen, dass die Nutzerinnen und Nutzer in ihrer eigenen ‚Echokammer‘ bleiben. Das heißt: Sie bleiben unter Personen, die sich nicht für Politik interessieren, keinen Nachrichtenmedien folgen und auch nicht mit Menschen befreundet sind, die das tun. Und deshalb tauchen auch keine dementsprechenden Inhalte bei ihnen auf. Somit sind nicht nur die Algorithmen der Plattformen das Problem, sondern eher die persönliche Entscheidung, wem ich folge oder was ich auswähle. In Bezug auf Desinformationskampagnen müssen wir an die Menschen appellieren, die Inhalte in sozialen Netzwerken aufmerksam und kritisch zu hinterfragen. Denn Netzwerke wie Facebook sind mit so viel Inhalt bestückt, dass sie kaum mehr kontrollierbar sind, weder durch Menschen noch durch Maschinen, und das haben auch die Netzwerke selbst viel zu spät erkannt.
Welche Netzwerke sind in Deutschland besonders wichtig?
Das kommt immer auf die Zielgruppe an. Die Netzwerke spielen in unterschiedlichen sozialen Gruppen eine unterschiedliche Rolle: In Deutschland ist Facebook das wichtigste Netzwerk, weil es die meisten Menschen erreicht. Bei den Jüngeren stehen jedoch Plattformen wie YouTube oder WhatsApp stärker im Fokus. Und Twitter wird stärker von ohnehin politisch interessierten Menschen genutzt.
Wie gut sind die Parteien in Deutschland im Umgang mit sozialen Medien?
Das ist sehr unterschiedlich. Für rechtspopulistische Parteien sind die sozialen Medien der zentrale Ort, um zu rekrutieren und ihre Botschaft anzubringen. Hier können sie weitestgehend ungestraft behaupten, was sie wollen, und damit für ihre Position werben. Mit ihrem Know-how und dem Wissen, wie Netzwerke funktionieren, erreichen sie viele Menschen. Ihre Botschaften sind zudem häufig emotional und auf diese Inhalte zielen soziale Netzwerke ab. Denn wenn Emotionen geweckt werden, bleiben die Menschen länger dran, das ist das Ziel der Plattformen und wir fallen darauf herein. Andere Parteien hingegen tun sich immer noch schwer, diesen Ton zu finden. Man merkt, es ist nicht ihre normale Art zu kommunizieren.
Weitere Informationen
Vom 23. bis 26. Mai 2019 findet die neunte Wahl zum Europäischen Parlament statt. Die Bürgerinnen und Bürger wählen dabei die Abgeordneten für das Parlament der Europäischen Union. Zuerst stimmen am 23. Mai die Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs und die der Niederlande ab. Am 24. Mai folgen die Republik Irland und zum Teil die Tschechische Republik. In der Slowakei, auf Malta, in Lettland und erneut in der Tschechische Republik wird am 25. Mai gewählt. Die restlichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union – und somit auch in Deutschland – stimmen am Sonntag, den 26. Mai 2019 über die Neubesetzung des Europäischen Parlament ab.