IPBES-Bericht zur Biodiversität„Das Artensterben bedroht die Existenz des Menschen“
2. Mai 2019, von Christina Krätzig
Foto: pixabay/FINTANOBRIEN
Am 6. Mai veröffentlichte der Weltbiodiversitätsrat IPBES den bisher umfassendsten Bericht zur Situation der biologischen Vielfalt auf der Erde. Die Ergebnisse: Das Artensterben wird sich extrem beschleunigen. Bis zu einer Million Arten droht das Aus, vielen bereits in den kommenden Jahrzehnten. Dr. Kerstin Jantke von der Universität Hamburg hat als Reviewerin an dem Bericht mitgearbeitet.
Drei Jahre haben 450 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus über 50 Ländern das weltweit vorhandene Wissen zur Artenvielfalt, genetischen Vielfalt und Vielfalt von Lebensräumen zusammengetragen, analysiert und gewichtet. Eine Woche diskutierten Abgeordnete aus 132 IPBES-Mitgliedstaaten in Paris über den entstandenen Bericht, am 6. Mai wurden die Kernaussagen veröffentlicht.
Dr. Kerstin Jantke hat das Kapitel „Bewertung der Fortschritte bei der Erreichung wichtiger internationaler Ziele“ als Reviewerin geprüft. „Der Bericht kommt zu den gleichen Ergebnissen wie ich in meinen Forschungen“, kommentiert die Umweltwissenschaftlerin dessen Ergebnisse. „Im Naturschutz hinken wir in fast allen Bereichen unseren selbstgesteckten Zielen hinterher und sind insgesamt nicht auf dem richtigen Weg.“
Schutzgebiete können zur Rettung der Artenvielfalt beitragen – wenn man sie richtig plant
An der Universität Hamburg beschäftigt sich Jantke mit der systematischen Planung von Schutzgebieten – und mit einem Paradox: Obwohl weltweit immer mehr Flächen unter Naturschutz gestellt werden, verschwinden Tier- und Pflanzenarten weiterhin in einem beängstigenden Tempo. Warum das so ist, untersucht die Wissenschaftlerin nicht mit der Käferfalle im Gebüsch, sondern am PC.
Sie hat beispielsweise analysiert, wie viele Flächen weltweit bereits unter Naturschutz stehen und ob die Staatengemeinschaft internationale Vorgaben zum Artenschutz erfüllt. Dabei hat sie festgestellt: „Häufig schützen Staaten zwar große Flächen, aber dabei handelt es sich um gleichförmige Gebiete, die für die menschliche Nutzung wenig Wert haben. Andere Ökosysteme, die für den Erhalt der Artenvielfalt ebenfalls wichtig wären, fallen unter den Tisch.“ (Mehr dazu unten)
Hinzu kommt, dass das Artensterben viele Gründe hat. Dazu gehört nicht nur die Zerstörung von Lebensräumen, beispielsweise durch die Rodung von Wäldern oder das Trockenlegen von Mooren. Auch die Degeneration von Ökosystemen durch Überweidung oder Überfischung, durch die Verwandlung von Ackerland in Agrarwüsten oder den Eintrag von Schadstoffen ist ein Problem. „Schutzgebiete sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen beginnen, die gesamte Erde nachhaltig zu bewirtschaften, sonst werden wir den Trend nicht mehr aufhalten“, erklärt Jantke.
Das heutige Artensterben ist eines der größten in der Geschichte der Erde
Die vorab bekannt gewordenen Zahlen aus dem IPBES-Bericht sind weder für sie noch für ihren Kollegen Matthias Glaubrecht, Professor für die Biodiversität der Tiere, eine Überraschung. „Lange wurde das Ausmaß des Artensterbens unterschätzt, doch seit einigen Jahren weisen alle Forschungsergebnisse in dieselbe Richtung“, sagt Glaubrecht, der auch Direktor des Centrums für Naturkunde an der Universität Hamburg ist. Die Welt erlebt das umfangreichste Artensterben seit der Existenz des Menschen – aber nicht das erste Massensterben überhaupt. Bereits fünfmal kam es zu solchen Ereignissen: erstmals vor 444 Millionen Jahren, letztmalig vor 66 Millionen Jahren. Damals endete das Zeitalter der Dinosaurier, und mit ihnen verschwanden 85 Prozent aller damals lebenden Arten.
Dass der derzeitige Verlust von Biodiversität ähnliche Ausmaße annimmt, hält Matthias Glaubrecht für möglich. "Wenn in den kommenden Jahrzehnten jede zehnte der heute schätzungsweise sieben Millionen Tierarten und einer Million Pflanzenarten auf der Erde verschwindet, hat das unvorhersehbare Konsequenzen. Bestehende Ökosysteme werden grundlegend gestört, Nahrungsnetze brechen zusammen. Letztlich bedroht das auch die Existenz des Menschen.“
Matthias Glaubrecht drängt darauf, dass die internationale Wissenschaftsgemeinde in den kommenden Jahren ihre Bemühungen verstärkt, die Artenvielfalt der Erde zu erforschen. Noch seien gar nicht alle Arten bekannt; dies sei aber eine unerlässliche Voraussetzung dafür, den Wandel der Biodiversität zu erfassen. Dr. Kerstin Jantke sieht darüber hinaus die Politik in der Pflicht. „Gerade mit dem IPBES-Bericht hat die Forschung einen wichtigen Teil ihrer Arbeit erfüllt“, meint sie. „Die Fakten sind bekannt – jetzt geht es darum, endlich zu handeln.
IPBES
Die Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES, zu Deutsch: Zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen) ist eine UN-Organisation mit 132 Mitgliedsstaaten. Sie wurde 2012 gegründet und hat ihren Sitz in Bonn. Ihre Aufgabe besteht darin, politischen Entscheidungsträgern zuverlässige, unabhängige und glaubwürdige Informationen zur Verfügung zu stellen, um die Erhaltung und nachhaltige Nutzung von biologischer Vielfalt und Ökosystemdienstleistungen weltweit sicherzustellen. In dieser Funktion ist sie beispielsweise mit dem Weltklimarat IPCC vergleichbar.