Gemeinsam erinnern – aber wie?5 Fragen zum Forschungsnetzwerk POEM
7. Februar 2019, von Anna Priebe
Foto: Cedric Mercken
Ob positive Ereignisse wie Sportveranstaltungen oder schlimme Katastrophen – wie erinnern wir uns, einzeln und als Kollektiv? Das ist eine der Fragen im Zentrum des EU-geförderten Forschungsnetzwerks „Participatory memory practices“ (POEM), in dem vor allem Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler forschen. Eine von ihnen ist Jennifer Krückeberg, Doktorandin am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie der Universität Hamburg.
In dem Projekt geht es sowohl darum, wie sich Gesellschaften gemeinsam erinnern, aber auch um das Erinnern des Einzelnen. Wozu arbeiten Sie genau?
In meinem Projekt geht es darum, wie junge Menschen bestimmte Bedingungen und Medien nutzen, um ihre persönlichen Erinnerungen zu bewahren. Zum Beispiel spielen ja die sozialen Medien eine immer größere Rolle – und Teil des Projektes ist es, zu erfahren, wie digitale Medien das Erinnern verändern.
Das ist eher ein medienwissenschaftlicher Aspekt, aber es geht auch um anthropologische Aspekte, wie: Was für Bedeutungen messen junge Menschen dem Erinnern bei? Warum stellen sie manche Sachen in die Öffentlichkeit und warum bleiben andere Sachen privat? Wenn man zum Beispiel mit seinen Freunden feiern geht, warum veröffentlicht man dann einige Bilder im Internet und andere nicht. Für uns ist dann auch interessant, ob sozio-ökonomische Hintergründe oder sozio-kulturelle Zugehörigkeit eine Rolle dabei spielen, wie Menschen ihre Erinnerungen teilen.
Es ist eine ethnografische Arbeit, das heißt, ich bin vor allem am Alltagsleben junger Leute interessiert. Deshalb beobachte ich nicht nur, wie sie ihre Erinnerungen online teilen, sondern versuche den Kontakt mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern direkt aufzubauen. Zum Beispiel spreche ich interessante Personen auf Instagram an, die viel teilen, und frage sie, ob sie mitmachen möchten, um durch spätere Interviews mehr über die Hintergründe und Formen des Erinnerns zu lernen.
Erinnerung heißt also nicht unbedingt, dass es um ein historisches Ereignis gehen muss? Es geht um die persönliche Erinnerung.
Genau. Wobei die persönliche Erinnerung natürlich immer wieder verbunden ist mit der kollektiven Erinnerung. Wenn jemand zum Beispiel ein bestimmtes Ereignis wie ein Sportfinale oder eine Tragödie wie das Loveparade-Unglück von 2010 selber miterlebt und das dann mit der Öffentlichkeit teilt, wird dieser Zusammenhang offensichtlich.
Über Gedenkkultur wird auch in den Medien und der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert. Muss man zwischen Erinnern und Gedenken unterscheiden?
Ich denke, dass sich auch das gegenseitig beeinflusst. Gedenken beruht in der Regel auf einem gesellschaftlichen Konsens – insbesondere, wenn dem ein eigener Tag gewidmet ist. Wie wir uns persönlich erinnern, kann sich davon unterscheiden. Dabei steht beides in einem Diskurs: Die Frage, woran wir uns erinnern sollten und woran nicht, wird immer wieder neu ausgehandelt – sowohl kollektiv, in der Gesellschaft, als auch individuell, mit uns selbst.
Auch diese inneren Verhandlungen wollen wir betrachten: Warum teilen manchen Menschen viel, andere wenig? Welche Gedankengänge spielen sich dabei ab? Ist das eine bewusste Entscheidung oder eher aus dem Bauch heraus?
Sie sind ja in einem Netzwerk mit vielen anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Was verbindet Ihre Forschung?
Unser übergreifendes Ziel ist, die Diskussion über Erinnerungs- und Gedenkkultur in die Institutionen zu bringen, die diese bewahren, zum Beispiel Museen, Galerien und Archive. Und vor allem wollen wir daran arbeiten, dass mehr Menschen an diesem Prozess bzw. an den Praktiken des Erinnerns beteiligt werden.
Was wir erreichen möchten, ist, dass die Rolle dieser Institutionen auch kritisch beleuchtet wird, und dass Gruppen, die historisch gesehen nicht repräsentiert wurden, gehört werden; Erinnerungen sollen gemeinsam kreiert und nicht nur von oben herab auferlegt werden.
Bei POEM arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler explizit mit den erwähnten Institutionen wie Museen und Archiven zusammen. Wie sieht das aus?
In meinem Projekt ist es nicht vorrangig, aber wir haben verschiedene Partnerorganisationen, zum Beispiel das Museum Europäischer Kulturen in Berlin, das im Konsortium tätig ist. Solche Einrichtungen bieten den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter anderem Praktika an. Da kann es dann darum gehen, wie mit Besucherinnen und Besuchern interagiert wird, es kann aber auch im Fokus stehen, wie sogenanntes Crowdsourcing – also die Sammlung von Informationen oder Material durch Viele – im Zusammenhang mit dem kulturellen Erbe funktioniert, welches kulturelle Wissen digitalisiert werden sollte und wie man das mit digitalen Kollektionen verbinden kann.
POEM
POEM ist ein European Training Network und im April 2018 offiziell gestartet. Es wird mit 3,2 Millionen Euro – rund 500.000 davon für Hamburg – gefördert und von Prof. Dr. Gertraud Koch vom Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie koordiniert. Insgesamt arbeiten fünf universitäre und zwei außeruniversitäre Einrichtungen im Konsortium sowie 14 internationale Partnerorganisationen zusammen. Mehr Informationen: www.poem-horizon.eu