Den Walen auf der SpurCeNak-Forscherin auf Antarktisexpedition
13. Juni 2018, von Anna Priebe
Von März bis Mai war Dr. Helena Herr vom Centrum für Naturkunde (CeNak) auf dem Forschungsschiff Polarstern an der Westseite der Antarktischen Halbinsel unterwegs. Ihr Ziel: Die Verteilungsmuster von Finnwalen zu untersuchen, um die Folgen des Klimawandels für die Tiere besser abschätzen zu können. Ein Interview über die Herausforderungen und die Faszination der Walbeobachtung.
Welche Fragestellung sollen mit den Daten der Expedition genau beantwortet werden?
Es geht darum, herauszufinden, wie viele Tiere einer Art in einem bestimmten Gebiet vorkommen. Dieses Mal lag unser Fokus hauptsächlich auf den Finnwalen, weil wir während einer vorigen Reise erstaunlich hohe Zahlen in dieser Gegend gesehen hatten.
Finnwale sind zur Zeit des kommerziellen Walfangs (vor dem Moratorium 1986, Anmerk. d. Red.) unglaublich ausgebeutet worden, sodass die Populationen in der südlichen Hemisphäre auf unter zwei Prozent der ursprünglichen Bestände geschrumpft waren. Wir fragen uns in unserem Projekt daher: Wie viele Finnwale gibt es in dem Gebiet heute und wie verteilen sie sich – auch im Verhältnis zu anderen Umweltparametern.
Wie sah Ihr Forschungsalltag aus?
Jeden Morgen um acht Uhr war erstmal der Wettercheck. Es gibt an Bord des Schiffes einen eigenen meteorologischen Service. Beim Treffen waren neben den Meteorologen auch der Kapitän und die Fahrtleiterin anwesend sowie alle Leute, die an dem Tag potenziell den Helikopter nutzen wollten oder für die die Wetterbedingungen anderweitig wichtig waren, zum Beispiel wenn bestimmtes Gerät zu Wasser gelassen werden sollte.
Wenn dann das OK zum Fliegen kam, haben wir unsere Route geplant. Ziel war es, das Gebiet, das das Schiff besucht hat, möglichst gleichmäßig mit einem Raster aus Fluglinien abzudecken.
Um später das Wal-Vorkommen für das gesamte Gebiet berechnen zu können, sind wir festgelegte Linien abgeflogen und haben immer notiert, wie weit entfernt von der Linie die Wale gesichtet wurden.
Woran erkennt man denn die Wale?
Das erste, was man meistens sieht, ist der Blas, also das Ausatmen der Tiere, das man gerade in der kalten Luft der Antarktis gut erkennen kann. Der Blas kommt in der Regel zuerst, dann der Wal. Da gibt es bestimmte Kriterien, um die Arten zu unterscheiden – wie sie auftauchen etwa oder wie der Rücken sich an der Oberfläche zeigt.
Bei einem Blauwal zum Beispiel sieht man den Blas, dann sieht man sehr lange Rücken und dann kommt die Finne; beim Seiwal dagegen sieht man immer den Blas und die Finne gleichzeitig, weil die ein bisschen wie ein Stock auftauchen.
In gewisser Weise ist auch Farbgebung ein Identifikationsmerkmal, obwohl die durch den Lichteinfall im Wasser sehr variabel sein kann. Aber Finnwale zum Beispiel sind asymmetrisch gefärbt und haben immer einen weißen rechten Unterkiefer. Wenn man den sieht, kann man die Art sicher bestimmen. Insgesamt hatten wir während unserer Flüge 105 Sichtungen.
Gibt es schon erste Ergebnisse?
Auf dem Schiff haben wir bereits eine Verteilungskarte der Sichtungen angelegt. In der weiteren Analyse berechnen wir die Anzahl der Tiere im Untersuchungsgebiet. Zudem modellieren wir die Daten und stellen Beziehungen zu bestimmten Umweltparametern her, etwa der Wassertiefe oder der Entfernung zur Küste. So kann man herausfinden, in Abhängigkeit von welchen Parametern die Wale am häufigsten vorkommen.
Dabei ist natürlich der Krill besonders interessant. Den schauen wir uns dann in einem nächsten Schritt genauer an. Die Krill-Verteilung im Untersuchungsgebiet war das Hauptforschungsprojekt dieser Fahrt, das von Prof. Bettina Meyer vom Alfred-Wegener-Institut durchgeführt wurde. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass wir am Ende unsere Daten zusammenführen.
Schon ohne irgendwelche Analysen sehen wir deutliche Zusammenhänge: Immer, wenn die Krill-Forscher sich gefreut haben, weil die Netze voll waren, mussten wir nur aus dem Fenster schauen und haben Wale gesehen.
Die übergeordnete Frage ist dann, wie man die Wale schützen kann?
Schutz ist immer das Ziel. Zukünftige Bedrohungen für Wale in der Antarktis gehen vor allem vom Klimawandel aus, insbesondere über das Nahrungsnetz. Dort greift der Klimawandel am ehesten an, weil er sich durch den Rückgang des Eises auf die Krill-Bestände auswirkt, die das Eis brauchen, um ihre Larven zu überwintern. Auch die Ozeanversauerung ist ein Problem.
Um all diese Dinge abschätzen zu können, muss man überhaupt erstmal gucken, welche Abhängigkeiten zwischen Walen und ihren Nahrungsquellen bestehen.
Abschließend: Was ist Ihre schönste Expeditionserinnerung?
Bei der letzten Reise haben wir aus dem Helikopter eine Ansammlung von mehr als 70 Finnwalen beim Fressen beobachtet. Auch dieses Mal hatte ich die ganze Zeit gehofft, so etwas zu sehen. Und tatsächlich: An einen Tag, an dem wir nicht fliegen konnten, haben wir schon aus großer Entfernung gesehen, dass wir auf etwas ganz Tolles zukommen.
Das Schiff hat die Geschwindigkeit reduziert und wir haben uns dann ganz in Ruhe das Fressspektakel einer Gruppe von 50 Finnwalen angesehen. Das Wasser „kochte“, da waren lauter Vögel und Robben, die mitgefressen haben, es hat gesprudelt. Für mich war es beeindruckend, das so miterleben zu können.
Wir haben auch Filmaufnahmen gemacht und wollen das Verhalten jetzt weiter untersuchen. Von anderen Wal-Arten ist bekannt, dass sie kooperativ jagen. Bei Finnwalen ist das bisher nicht beschrieben. Aber das, was wir gesehen haben, wirkte schon so, als hätten sie gemeinsam etwas veranstaltet, um diesen Krill-Schwarm beieinander zu halten und auszubeuten.
Die Expedition
Die Daten wurden während der siebenwöchigen Expedition des Forschungsschiffes Polarstern von März bis Mai erhoben. Dr. Helena Herr arbeitet bei ihrem Projekt, das vom „Antarctic Wildlife Research Fund“ gefördert wird, zusammen mit Sacha Viquerat von der Tierärztlichen Hochschule Hannover und Fahrtleiterin Prof. Dr. Bettina Meyer vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. In zwei Jahren steht eine weitere Expedition an; dann sollen unter anderem Gewebeproben von den Walen genommen werden. Zudem sollen die Tiere mit Sendern ausgestattet werden, um zu sehen, wo sie herkommen und wohin sie nach dem Fressen in der Antarktis ziehen.