„Prognosen werden nie zutreffen“Warum die Chance hoch ist, dass die nächste Wirtschaftskrise nicht vorhergesagt wird
27. Dezember 2018, von Daniel Meßner
Foto: UHH/SaintPere
Was bringt die Zukunft? Prof. Dr. Ulrich Fritsche könnte die Antwort wissen, denn der Sozialökonom beschäftigt sich in seiner Forschung mit Erwartungen und Prognosen. Im Interview erklärt er, warum unsere Gesellschaft auf Vorhersagen angewiesen ist.
Was erwarten Sie für das Jahr 2019?
Persönlich erwarte ich mir ein schönes Universitätsjubiläumsjahr. Bei der wirtschaftlichen Entwicklung wird es hingegen immer schwieriger, konkrete Aussagen über die Zukunft zu treffen. Die Komplexität, Vorhersagen zu treffen, hat durch Digitalisierung, Globalisierung und andere Prozesse deutlich zugenommen.
Meine persönliche Haltung ist aber durch meinen Optimismus geprägt, daher glaube ich, dass es ein gutes Jahr 2019 wird.
Sie erforschen Erwartungen und Prognosen: Was untersuchen Sie genau?
Kapitalistische Gesellschaften brauchen Vorhersagen. Prognosen reduzieren Unsicherheit, weil sie uns als Orientierung und Eckpfeiler dienen.
In unseren ökonomischen Modellen, die wirtschaftliches Handeln erklären, spielen Erwartungen deshalb eine große Rolle. Die meisten Modelle gehen aber von Menschen aus, die komplett rational handeln. Aber natürlich wissen alle Ökonomen und Ökonominnen, dass das Verhalten von Haushalten und Unternehmen nicht diesem Idealbild folgt, sondern dass auch weitere Faktoren eine Rolle spielen – , wie Emotionen, der Einfluss von Medien oder Verlustaversion, das heißt, die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne.
Wir versuchen in unserer Forschung den empirischen Gehalt von solchen Modellen quantifizierbar zu machen. Dazu nutzen wir z. B. Umfragen und Interviews und schauen uns an, wie Prognostiker und Prognostikerinnen auf Fehler in ihren Vorhersagen reagieren: Ob sie ihre Prognosen anpassen und wie sie das tun.
Wer ist denn überhaupt Prognostiker oder Prognostikerin?
Die Szene ist relativ überschaubar. Dazu zählen insbesondere die Wirtschaftsforschungsinstitute, einige internationale Organisationen, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), verschiedene Zentralbanken und eine Reihe von Versicherungsfirmen und Banken.
Und auch diese professionellen Prognostikerinnen und Prognostiker arbeiten nicht vollständig rational. Die Forschung zeigt, dass sie sehr zurückhaltend sind, wenn es um die Vorhersage von schlechten Ereignissen geht. Bei den Konjunkturprognostikern wäre das z.B. eine Finanzkrise oder Rezession.
Was ist der Grund für die Zurückhaltung?
Ein Punkt sind selbsterfüllende Prophezeiungen. Es gibt eine Reihe von Prognostikerinnen und Prognostikern, die in unseren Umfragen angegeben haben, dass sie nicht dafür verantwortlich gemacht werden wollen, wenn es zu einer Rezession kommt. Wenn das Gerücht erst einmal in der Welt ist und viele Leute daran glauben, führt es zu einer Kauf- und Investitionszurückhaltung. Und dann entsteht tatsächlich durch einen Stimmungsumschwung eine Rezession.
Außerdem spielt Reputation eine große Rolle. Wird eine Rezession von einem Experten oder einer Expertin vorhergesagt und sie tritt nicht ein, dann besteht die Sorge, den eigenen Ruf zu verlieren. Hinzu kommt, dass in manchen Fällen zwischen Prognostikern und Auftraggebern nicht genügend Unabhängigkeit besteht.
Stimmen denn dann wenigstens die Wachstumsprognosen?
Eine Prognose ist immer eine bedingte Aussage, bedingt durch die Annahmen, die getroffen werden. Und als bedingte Aussage muss sie am Ende des Tages immer falsch sein, weil wir nie alle Annahmen einer Prognose vollständig kontrollieren können. Insofern ist jede Prognose von vornherein immer zum Scheitern verurteilt.
Andererseits bleibt uns gar nichts anderes übrig, um Richtlinien für politisches und wirtschaftliches Handeln vorzugeben. Wir wissen zwar, dass die Prognose zum Scheitern verurteilt ist, trotzdem braucht der politische Prozess eine Richtlinie als Entscheidungsgrundlage.
Also Prognosen sind wichtig, weil sie unsere Handlungen in der Gegenwart beeinflussen, mit denen wir die Zukunft gestalten?
Richtig, insofern ist jede Prognose ambivalent. Wir wissen, dass sie exakt in der Form nicht zutreffen wird. Andererseits ermöglicht sie, unser Handeln quantifizierbar zu machen und damit Unsicherheit zu reduzieren. Ohne diese Prognosen wäre Handeln in unserer Gesellschaft, die auf einer kapitalistischen Produktionsweise basiert, gar nicht mehr möglich.
Stichwort Zukunft: Wir können aber davon ausgehen, dass die nächste Rezession nicht vorhergesagt wird?
Nachdem, was wir empirisch aus dem Verhalten von Prognostikerinnen und Prognostikern gelernt haben, können wir davon ausgehen, dass sie nicht vorhergesagt wird. In der Vergangenheit war es in der Regel so, dass Rezessionen nicht vorhergesagt wurden. Es gibt einzelne Ausnahmen. Aber die Mehrheit der Expertinnen und Experten wird sie nicht vorhersagen.