Ringvorlesung beleuchtet die Zukunft des LehramtsstudiumsInterview mit Prof. Dr. Drorit Lengyel
5. November 2018, von Anna Priebe
Foto: UHH
Wie sollte ein Lehramtsstudium in Zukunft gestaltet sein, damit es den wachsenden Anforderungen an die Lehrkräfte gerecht wird? Mit dieser Leitfrage beschäftigt sich das Projekt „Professionelles Lehrerhandeln zur Förderung fachlichen Lernens unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen“ (ProfaLe) an der Universität Hamburg. Im Rahmen der Ringvorlesung „Herausforderungen eines zukunftsorientierten Lehramtsstudiums“ werden die Ergebnisse der ersten Förderphase diskutiert – unter anderem in einem Beitrag von Ties Rabe, Senator für Schule und Berufsbildung, am 19. November. Zwei Wochen vorher gibt Prof. Dr. Drorit Lengyel, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erziehung und Bildung in multilingualen Kontexten, – gemeinsam mit Linguistin Prof. Dr. Kristin Bührig – einen Einblick in den „Umgang mit sprachlich-kultureller Heterogenität im Fachunterricht“.
Prof. Lengyel, Sie sprechen in der Ringvorlesung über „sprachlich-kulturelle Heterogenität“ in Schulen. Was ist unter diesem Begriff konkret zu verstehen?
Darunter verstehen wir, dass Schülerinnen und Schüler – insbesondere in urbanen Räumen wie Hamburg – unterschiedliche sprachliche Voraussetzungen mit in die Schule bringen, die kulturell und sozial bedingt sind. Diese können dadurch entstehen, dass ein Kind Deutsch als Zweit- oder Drittsprache lernt oder dadurch, dass Kinder mit Deutsch als Erstsprache ganz unterschiedliche Sprachlernerfahrungen in ihren Familie machen, die sich dann auf ihre Sprachentwicklung und ihr sprachliches Lernen auswirken.
Wir wissen nicht erst seit den großen Schulleistungsstudien wie PISA, dass Bildungserfolg nicht nur sehr stark von den familiär-sozialen Voraussetzungen abhängt, sondern auch von der Fähigkeit, die Sprache der Schule zu sprechen, die sogenannte Bildungssprache.
Was zeichnet Bildungssprache aus?
Es ist nicht das Deutsch, das wir auf dem Schulhof oder im Alltag mit Freunden sprechen, wenn wir uns zum Beispiel über einen Kinobesuch unterhalten. Es geht um die spezifische Sprache der Schule, mit der es möglich wird, ein Verständnis von schulischen Lerngegenständen zu entwickeln, zum Beispiel in Mathematik oder in Geschichte. Hierfür ist nicht nur eine Fachsprache notwendig, sondern eine abstraktere Sprache als die Alltagssprache, die Bildungssprache also. Wenn ich zum Beispiel etwas über das Wetter lerne, muss ich eine bestimmte Vorstellung davon entwickeln, wie Zusammenhänge sind – auch, wenn ich sie nicht greifbar vor mir habe.
Die Bildungssprache wird schon in der Grundschule gefordert. In den Familien, in denen sich viele sprachliche Lerngelegenheiten ergeben, in denen zum Beispiel viel vorgelesen wird, haben Kinder ein Verständnis davon, wie komplex Sprache ist, etwa dass man bestimmte Sachverhalte mit Nebensätzen ausdrücken kann. Andere Kinder machen diese Erfahrungen nicht.
Welche Herausforderungen ergeben sich aus dieser Heterogenität für Lehrende?
Die Herausforderung liegt darin, dass die Lehrenden befähigt werden müssen, das fachliche Lernen mit dem sprachlichen Lernen zu verbinden. Es geht nicht darum, dass Kinder eine besondere Sprachförderung bekommen, sondern Sprache muss dann thematisiert werden, wenn sie zum Verständnis des Unterrichtsgegenstandes gebraucht wird.
Einerseits müssen die angehenden Lehrkräfte ihre Zuständigkeit für diese sprachliche Bildung im Fachunterricht anerkennen und andererseits müssen sie in die Lage versetzt werden, einen sprachbewussten Fachunterricht zu gestalten.
Welche Fragestellung haben Sie in Ihrem Forschungsprojekt in der ersten Phase von ProfaLe untersucht?
In unserem Teilprojekt sind die Fachdidaktiken der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer sowie die Germanistische Linguistik und die Interkulturelle Bildungsforschung beteiligt. Wir haben ein Lernangebot entwickelt, das Studierenden helfen soll, spezifische Kompetenzen im Umgang mit Sprache im Fach zu entwickeln. Das Besondere an dem Lernangebot ist die Kombination aus fachübergreifenden und fachspezifischen Inhalten. In unserer Studie haben wir die Kompetenzentwicklung der Studierenden untersucht. Dies ist die erste Studie dieser Art in Deutschland.
Welche Schlüsse können sie aus den Ergebnissen für die zukünftige Lehrerbildung ziehen?
Wir haben herausgefunden, dass ein gutes Drittel der Studierenden der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer, die an unserem neuen Modell teilgenommen haben, einen deutlichen Kompetenzzuwachs aufweisen. Das heißt, dass sie für die Herausforderungen des sprachlichen und fachlichen Lernens sensibilisiert wurden und in der Lage sind, theoriebasiert Schlüsse für den Unterricht zu ziehen. Das ist sehr positiv und zeigt: Wir können mit der universitären Lehre und der Steuerung der Lerngelegenheiten den Kompetenzzuwachs erheblich beeinflussen. Das kann auch für andere Hochschulen wegweisend sein, daher werden wir die Ergebnisse auch in den entsprechenden Fachzeitschriften publizieren.
Allerdings sieht man an den Ergebnissen auch, dass wir viele Studierende noch nicht erreichen konnten und dafür mehr Lernzeit im Studium notwendig ist. Insbesondere bei den Studierenden, die kein „Sprachfach“ studieren und sich daher erst Grundlagen erarbeiten müssen, die Kommilitoninnen und Kommilitonen, die etwa Deutsch oder Englisch studieren, bereits haben.
Wie wird dieses Problem in der 2. Förderphase ab Januar 2019 angegangen? Können Sie mehr Lernzeit schaffen?
Es fügt sich gut, dass eine grundlegende Reform der Lehrerbildung in Hamburg ansteht. Wir sind zuversichtlich, dass in diesem Rahmen zum Beispiel den Studierenden des Grundschullehramts mehr Lernzeit zugesprochen werden wird. Im Sekundarbereich muss es darum gehen, die Kooperationsbeziehungen, die wir während ProfaLe 1 aufgebaut haben, auszuweiten – auch auf die anderen, insbesondere die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer. Wir wollen gemeinsame Lernangebote entwickeln, sodass die Studierenden in unterschiedlichen Veranstaltungen ein fachdidaktisches, aber auch ein auf die Sprache bezogenes Wissen aufbauen können. Das ist eine Möglichkeit, wie man einerseits die Lernzeit erhöhen und andererseits allen Studierenden ermöglichen kann, diese Kompetenzen zum Umgang mit Sprache im Fachunterricht zu entwickeln.
Was erwartet Besucherinnen und Besucher Ihres Vortrags im Rahmen der Ringvorlesung?
Der Fokus werden die Ergebnisse von ProfaLe 1 sein. Aber es wird auch einen Ausblick darauf geben, was wir in der zweiten Förderphase tun wollen. Neben der genannten Ausweitung der Fächer und der Lernzeit ist das auch die Abstimmung mit der zweiten Phase der Lehrerbildung, die ja vom „Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung“ verantwortet wird. Da geht es darum, sich abzustimmen: Was kann jede Phase eigentlich leisten und wie gelingt es uns, diesen Übergang zu verbessern, sodass im Vorbereitungsdienst die Seminarleitungen wissen, worauf sie aufbauen können und auf was sie in methodisch-didaktischer Hinsicht – insbesondere, was die Unterrichtsgestaltung anbelangt – ihren Fokus richten können.
Ringvorlesung
Die Ringvorlesung „Herausforderungen eines zukunftsorientierten Lehramtsstudiums“ findet seit dem 22. Oktober alle zwei Wochen montags um 18 Uhr im Von-Melle-Park 8 (Anna-Siemsen-Hörsaal) statt. Am 5. November sprechen Prof. Dr. Drorit Lengyel und Prof. Dr. Kristin Bührig zum Thema „Umgang mit sprachlich-kultureller Heterogenität im Fachunterricht – Was kann die erste Phase der Lehrerbildung leisten?“ Am 19. November folgt Ties Rabe, Senator für Schule und Berufsbildung der Freien und Hansestadt Hamburg, zu „Wie sollte ein Studium in Zukunft gestaltet sein, das den wachsenden Anforderungen an professionelles Lehrerhandeln gerecht werden muss?“
ProfaLe
Das Projekt „Professionelles Lehrerhandeln zur Förderung fachlichen Lernens unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen (ProfaLe)“ der Universität Hamburg wird im Rahmen der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die erste Förderrunde lief von 2015 bis 2018. In der zweiten Förderphase, die im Januar startet und fünf Jahre dauert, wird „ProfaLe“ die von den zuständigen Behörden – Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB), Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (BWFG) – beabsichtigte Reform der Lehrerbildung wissenschaftlich begleiten. Dafür erhält ProfaLe rund 5,3 Millionen Euro.
Weitere Informationen:
www.profale.uni-hamburg.de/projekt.html
www.qualitaetsoffensive-lehrerbildung.de/de/programm-50.html