Essen für den Erhalt der ErdeInterdisziplinäres Forschungsprojekt an der Universität Hamburg untersucht, welche Entscheidungen zu einer nachhaltigen Ernährung führen
10. Oktober 2018, von Anna Priebe
Foto: UHH/Priebe
Im vom „Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität“ geförderten Projekt „Sustainable Lives: Food Choices as Politics and Lifestyle“ arbeiten acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg fakultätsübergreifend zu der Frage, was uns zu bestimmten Ernährungsentscheidungen führt und inwiefern diese von anderen Ideen eines nachhaltigen Lebenswandels beeinflusst werden. Ein Einblick in die geplante Forschung.
Prof. Dr. Michael Brüggemann, Sprecher von „Sustainable Lives: Food Choices as Politics and Lifestyle“, erklärt die Grundidee des Projektes
Die Grundfrage unseres Projektes lautet: Wie kommen Menschen dazu, sich nachhaltig oder weniger nachhaltig zu ernähren? Um zu erklären, wie diese Entscheidungen getroffen werden, haben wir verschiedene Disziplinen integriert, die unterschiedliche Aspekte untersuchen.
Neben mir als Kommunikationswissenschaftler sind unter anderem Soziologen, Geographen, Ökonomen und Linguisten dabei. Für das Forschungsprojekt, das federführend an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften angelegt ist, haben wir vom Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität eine Anschubfinanzierung erhalten, um Pilotstudien durchzuführen und größere Nachfolgeanträge zu entwickeln.
Wir gehen von der Grundannahme aus, wie sie in zahlreichen Reports – unter anderem der Welternährungsorganisation – festgestellt wird, dass es für unsere Umwelt deutlich besser wäre, wenn wir weniger oder gar kein Fleisch äßen, und für die Menschen besser, wenn fair gehandelte Produkte gekauft würden.
Über ihre Ernährung können Konsumentinnen und Konsumente einen großen Einfluss ausüben.
Was wir rausfinden wollen, ist: Was bringt Menschen dazu, es zu tun oder eben nicht. Denn über diese Entscheidungen könnten Konsumentinnen und Konsumente wirklich einen großen Einfluss ausüben. Nachhaltige Ernährung definieren wir dabei als regionale und saisonale, vegane oder vegetarische Ernährung mit biologisch hergestellter, fair produzierter und gehandelter Ware, die auch darauf achtet, dass nicht zu viel Müll verschwendet und nicht zu viel Essen weggeschmissen wird.
Die Studien sind bereits gestartet und bei einem Workshop haben wir gerade unser internationales Beratungsgremium eingeladen, das aus Professorinnen und Professoren verschiedener Universitäten besteht und uns fachlich unterstützt. Wir haben unsere Konzepte und erste Ergebnisse diskutiert. Unsere Forschung verzahnen wir dabei durch Seminare auch mit der Lehre. Zum Beispiel wurden in einem Seminar die Facebook-Seiten von deutschen Supermärkten untersucht und analysiert, wie die Menschen dort über Klimawandel sprechen.
Prof. Dr. Stefanie Kley, Stellvertretende Sprecherin, untersucht, welche Rolle Wertvorstellungen bei der Ernährung spielen
Mein Team und ich haben eine Pilotstudie für Hamburg konzipiert, mit der wir die Frage bearbeiten wollen, inwiefern Normvorstellungen und Einstellungen zur Umwelt bei der täglichen Entscheidung, was die Menschen essen, eine Rolle spielen. Über das WiSo-Forschungslabor werden derzeit die Interviews durchgeführt. Unser Ziel ist es, 1500 zufällig ausgewählte Hamburgerinnen und Hamburger telefonisch zu befragen.
Wir fragen dabei sowohl nach den Essgewohnheiten als auch nach soziodemografischen Merkmalen – also wie viel Geld haben die Leute zur Verfügung, was haben sie für einen Bildungsgrad und wie sind die Haushalte organisiert. Das verbinden wir mit Fragen danach, was die Menschen für Einstellungen zum Umweltschutz haben. Unser Ziel ist, dass wir hinterher sagen können, zu welchen Anteilen die Menschen in Hamburg zum Beispiel vegetarisch leben.
Ähnliche Befragungen wurden bereits zu Umwelteinstellungen wie Abfallvermeidung durchgeführt. Da Ernährung ein sehr komplexes Feld ist, haben wir beschlossen, uns auf den Fleischkonsum zu konzentrieren. Das ist ein Thema, das noch untererforscht ist.
Ernährung hat ein Element der Vergemeinschaftung, aber auch eines der sozialen Ungleichheit.
Aus soziologischer Sicht ist Ernährung ein besonders interessanter Bereich. Auf der einen Seite hat Essen ein Vergemeinschaftungs-Moment, weil man zum Beispiel in der Familie gemeinsam isst oder sich online auf Plattformen über sein Essen austauscht, aber es hat sicher auch ein Element sozialer Ungleichheit, weil die Form der Ernährung auch vom Budget abhängt.
Die Frage ist also, wie die Leute damit umgehen. Im ersten Schritt machen wir dazu eine standardisierte Umfrage, d.h. die Antwortmöglichkeiten sind vorgegeben. Unser Anschlussprojekt, das wir mit Studierenden zusammen machen, zielt dann darauf, die Reaktionen breiter zu erfassen. Die Studierenden haben sich dazu ganz unterschiedliche Themen überlegt, zum Beispiel werden sie der Frage nachgehen, welchen Einfluss es hat, was man in der Familie gelernt hat.
Prof. Dr. Grischa Perino erforscht, welche Argumentationsmuster sich tatsächlich auf das Essverhalten auswirken
Ich bin Umweltökonom, das heißt, ich beschäftige mich unter anderem mit der Frage, wie sich Individuen – insbesondere Konsumentinnen und Konsumenten – verhalten, wenn es darum geht, dass sie den privaten Nutzen (wie schmeckt es mir und wie viel Geld bezahle ich) gegen öffentlichen Nutzen (Umweltschutz) abwägen müssen. Wie kann man das Verhalten erklären und ggf. auch beeinflussen?
Unser Fokus bei diesem Projekt liegt auf den verschiedenen Argumentationsmustern, die man in der öffentlichen Debatte dazu findet, warum es sinnvoll ist, sich auf eine nachhaltige Art und Weise zu ernähren.
Wir fragen uns, welche Argumente tatsächlich das Essverhalten der Menschen beeinflussen.
Wir wollen untersuchen, welchen Einfluss die Auseinandersetzung mit bestimmten Argumenten auf das tatsächliche Essverhalten der Menschen hat. Ändern Menschen ihr Verhalten eher, weil ihnen ihre Gesundheit wichtig ist, oder weil sie die Umwelt vor negativen Konsequenzen bewahren wollen? Zu dieser Frage planen wir ein Feldexperiment, indem Menschen über ein paar Wochen ihre Ernährung protokollieren und eine Reihe von Fragen zu ihren Wertvorstellungen und Vorlieben beantworten. Dabei sollte sich das normale Essverhalten in seiner Breite möglichst auch in unserer Versuchsgruppe wiederfinden.
Was das Projekt für mich noch interessanter macht, ist, dass wir eine gemeinsame Fragestellung und ein gemeinsames Untersuchungsobjekt haben, aber ganz unterschiedliche Perspektiven. Es gibt aber viele Berührungspunkte und die Möglichkeit, sich gegenseitig weiterzubringen. Wir können zum Beispiel die Ergebnisse der Kommunikations- und Medienwissenschaft nutzen, wenn es darum geht, welche Argumentationsmuster überhaupt üblich sind. Ich kann das Destillat benutzen, und im Rahmen von Experimenten überprüfen, ob es wirkt.
Dr. Radhika Mittal, Projektkoordinatorin, analysiert, wie Medien über nachhaltige Ernährung berichten
Der Klimawandel ist vom Menschen gemacht oder zumindest extrem verstärkt worden. Die Frage ist also, wie wir zu dieser Verschärfung beigetragen haben und was wir dagegen machen können. Essen ist da ein zentraler Aspekt.
In unserem Projekt stellen wir die Frage, wie die Medien nachhaltige Essensentscheidungen framen, also in welchem Kontext sie dargestellt werden. Wir schauen uns dafür überregionale Tageszeitungen in den USA, in Deutschland und in Indien an – in diesem Fall pro Land eine konservative und eine liberale Zeitung. Unser Untersuchungszeitraum umfasst zwei Jahre; gerade sind wir dabei, die Beiträge zu sortieren und beginnen dann mit einer qualitativen Diskurs-Analyse, das heißt, wir schauen, welche Kontexte die Medien verwenden, um in den drei Ländern über nachhaltiges Essen zu berichten. Später möchten wir die Untersuchung auf Online-Jugendmedien und deutsche Lokalzeitungen ausweiten.
Klimafreundliche Ernährung wird in Medien oft distanziert dargestellt.
Ich habe bereits in meiner Dissertation anhand von australischen und US-amerikanischen Zeitungen erforscht, wie klimafreundliches Essen in den Medien dargestellt wird. In den meisten Zeitungen wurde der Zusammenhang zwischen nachhaltiger, also veganer bzw. vegetarischer Ernährung sowie Klimawandel gar nicht oder kaum dargestellt. Es wurde vielmehr eine Distanz zu dem Thema hergestellt und kaum personalisiert. Das ist kein sehr ermutigender Zustand. Obwohl es seit 2010 sicherlich eine Änderung in der öffentlichen Wahrnehmung gegeben hat, wird es spannend sein, zu sehen, wie das Thema heute dargestellt wird.
Besonders gespannt bin ich auf die Untersuchung der indischen Medien. Die indische Küche ist eigentlich überwiegend vegetarisch. Es gibt aber eine Zunahme an Fleisch und tierischen Produkten; manche Studien vermuten, dass sich in Ländern wie Indien und China der Konsum dieser Produkte bis 2050 verdoppeln wird, da es vor allem in den Städten eine wachsende Mittelschicht gibt, die schnell „westliche“ Wertesysteme und Lebensstile annimmt. Das spiegelt sich auch in den Medien: Lifestyle-Ressorts in Zeitungen berichten oft über die Diäten, denen auch die Leute im Westen folgen.
Sustainable Lives: Food Choices as Politics and Lifestyle
Das Projekt "Sustainable Lives: Food Choices as Politics and Lifestyle" ist eine fächerübergreifende Antragsinitiativen, die vom Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität gefördert wird. Von der Universität Hamburg sind folgende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt: Prof. Dr. Michael Brüggemann, Prof. Dr. Jannis Androutsopoulos, Dr. Imke Hoppe, Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw, Prof. Dr. Stefanie Kley, Dr. Radhika Mittal, Prof. Dr. Grischa Perino und Prof. Dr. Anke Strüver. Hier gibt es weitere Informationen.