Auf der Suche nach einem Ort für das Einstein-TeleskopEin neues Fenster ins Universum
2. Oktober 2018, von Heiko Fuchs
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg wollen zusammen mit Partnern aus Belgien und den Niederlanden sowie der Technischen Hochschule RWTH Aachen die Suche nach einem geeigneten Standort für das geplante europäische Gravitationswellenobservatorium „Einstein-Teleskop“ voranbringen. Die ersten Voruntersuchungen sollen sich auf das Dreiländereck zwischen Belgien, Deutschland und den Niederlanden konzentrieren.
Schon vor der experimentellen Bestätigung von Gravitationswellen durch Beobachtungen am LIGO (Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium) in den USA und die Vergabe des Physik-Nobelpreises für diesen Nachweis, war für die wissenschaftliche Community klar, dass mit einem leistungsstärkeren Gravitationswellenobservatorium ganz neue Objekte im Weltall entdeckt werden könnten. Der europäische Entwurf eines solchen Observatoriums, das zehnmal sensibler als das LIGO wäre, wurde „Einstein-Teleskop“ getauft. Es handelt sich dabei nicht um ein optisches Teleskop, sondern um eine riesige unterirdische Anlage, die aus drei ca. zehn Kilometer langen Röhren besteht, die zu einem Dreieck angeordnet sind.
In den Röhren wird mit einem Laserstrahl die Entfernung zwischen zwei Spiegeln exakt gemessen. Die Spiegel sind dabei in luftleeren Kammern als Pendel aufgehängt, um seismische Erschütterungen auszuschließen. Das Laserlicht im Einstein-Teleskop läuft innerhalb der Röhren in ebenfalls je zehn Kilometer langen Stahlrohren, aus denen 99,999999999 Prozent der Luft herausgepumpt wird, damit die Laserstrahlen nicht durch Gasmoleküle gestört werden. Sehr wichtig ist eine optimale Abschirmung gegenüber menschgemachten Geräuschen und seismischen Aktivitäten der Erde, die ansonsten zu Messfehlern führen können.
Läuft eine Gravitationswelle durch den Erdball, so würden im Einstein-Teleskop winzige Abstandsänderung zu den Spiegeln sichtbar gemacht werden können, da sich die Lauflänge der Laserstrahlen ändern würde. Ein Laserstrahl käme dann später an als der andere, was einen direkten Nachweis der Dehnung und Stauchung der Raumzeit durch eine Gravitationswelle darstellen würde.
Die Machbarkeitsstudie der Europäischen Union
Bereits 2010 wurde von der Europäischen Union eine Machbarkeitsstudie für das Einstein-Teleskop gefördert. Dabei wurden drei geeignete europäische Standorte für ein solches System identifiziert: Die Insel Sardinien, das ungarische Mátra-Gebirge und das Dreiländereck zwischen Belgien, Deutschland und den Niederlanden besitzen die notwendigen seismischen Voraussetzungen für den Bau und Betrieb einer solchen Anlage.
Ein neuer Anlauf zu einem europäischen Gravitationswellenobservatorium
Trotz der erfolgten Machbarkeitsstudie ist noch völlig offen, ob und wann der Bau des Einstein-Teleskops gefördert wird. Im Jahr 2018 nahmen die Bestrebungen der wissenschaftlichen Community zur Realisierung des Einstein-Teleskops neue Fahrt auf und die wissenschaftlichen Untersuchungen an den drei ermittelten Standorten gingen in die nächste Phase. Durch gezielte Messungen soll an den drei Orten die seismologische Eignung genau überprüft werden.
Mitte September 2018 hat die Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften der Universität Hamburg zusammen mit zwölf Institutionen aus Belgien und den Niederlanden sowie der RWTH Aachen eine Absichtserklärung unterschrieben, um die Aktivitäten zu bündeln und sich zunächst auf die Untersuchungen des Standorts im Dreiländereck zwischen Belgien, Deutschland und den Niederlanden zu konzentrieren.
„Geplant sind gemeinsame Messungen der seismischen Aktivität in ca. 100 Meter Tiefe. Dort liegt ein Granitdom, in dem die Lasertunnel eine optimale Abschirmung gegenüber menschgemachten Geräuschen und seismischen Aktivitäten des Erdballs hätten“, sagt der Laser- und Quantenphysiker Prof. Dr. Roman Schnabel vom Fachbereich Physik der Universität Hamburg.
„Eine Vielzahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg sind an einer entscheidenden Rolle bei der Realisierung des Einstein-Teleskops interessiert. Das Forschungsgebiet der Gravitationswellen ist bereits jetzt ein wichtiger Teil des universitären Forschungsschwerpunkts Elementarteilchen- und Astrophysik und wurde in den vergangenen Jahren immer weiter verstärkt“, so Prof. Schnabel.
Ein Blick auf den Anbeginn von Zeit und Raum
Was bringt das Einstein-Teleskop, denn Gravitationswellen wurden ja bereits entdeckt? Die Antwort ist simpel: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möchten Gravitationswellen für astronomische Untersuchungen benutzen, um in Bereiche und Zeiten zu sehen, die Licht- und Radio-Teleskopen für immer verschlossen sind.
Beispielsweise ist es mit herkömmlichen Observatorien nicht möglich, bis zum Urknall zurückzusehen, sondern nur bis zu einer Zeit, die ca. 400.000 Jahre nach diesem Ereignis liegt, da vorher das Universum undurchsichtig und auch für Radiowellen undurchdringlich war. Gravitationswellen waren von Anfang an vorhanden und mit dem Einstein-Teleskop werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermutlich die Erschütterungen der Raumzeit nachweisen können, die noch vom Urknall selbst stammen.
„Ein solcher Nachweis würde zunächst die Urknalltheorie an sich bestätigen und erklären, wie der Urknall abgelaufen ist ̶ vielleicht auch warum“, sagt Prof. Schnabel. „Wie hat sich die dunkle Materie gebildet und was ist sie überhaupt? Wie und wann sind die gigantischen schwarzen Löcher entstanden, die die Zentren der Galaxien bilden? Wir könnten alle diese heute noch unbekannten kosmologischen Prozesse verstehen und das von der ersten Sekunde an.“
Gravitationswellen
Vor mehr als hundert Jahren stellte Albert Einstein die Physik komplett auf den Kopf. Seine revolutionäre Theorie: Raum und Zeit gehören zusammen und Gravitation sei nichts anderes, als eine Krümmung dieser „Raumzeit“. Zum großen Erstaunen seiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen bestätigten Astrophysiker während einer Sonnenfinsternis 1919 Einsteins Hypothese.
Einsteins Theorie greift aber noch viel weiter: Sie besagt, dass alle beschleunigten Massen, z. B. Massen auf einer Kreisbahn, eine bestimmte Art von Wellen durch die Raumzeit aussenden, die sogenannten Gravitationswellen. Diese kräuseln die Raumzeit, ähnlich wie Wellen die Oberfläche eines Sees. Und je abrupter ein Objekt seine Bewegungsrichtung ändert, umso stärkere Gravitationswellen werden erzeugt. Einstein rechnete aus, dass diese Kräuselungen der Raumzeit extrem winzig sind, und war sich nicht sicher, ob man diese Veränderungen je experimentell messen könnte. Es dauerte einhundert Jahre, bis 2015 Gravitationswellen erstmals beobachtet werden konnten. Sie stammten von zwei kollidierenden Schwarzen Löchern in 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung von der Erde. Die Beobachtung gelang in den USA am LIGO (Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium) unter Beteiligung deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Für diesen wissenschaftlichen Meilenstein erhielten die drei US-Forscher Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne 2017 den Nobelpreis für Physik.