Bakterien als Plastikmüllabfuhr?
29. August 2018, von Maria Latos
Foto: UHH/MIN/Latos
Könnten Mikroorganismen zukünftig Mikroplastik fressen und damit aus der Umwelt entfernen? Dieser Frage gehen Prof. Dr. Wolfgang Streit und sein Team vom Fachbereich Biologie der Universität Hamburg nach.
Herr Streit, Sie und Ihr Team suchen nach Bakterien, die Plastik fressen. Sie sollen zukünftig das Mikroplastik aus der Umwelt entfernen. Wie kann man sich das vorstellen?
Stellen Sie sich einen Tanker vor, der Öl im Ozean verliert. Als erste Einsatzeinheit rücken die Feuerwehr und die Naturschutzorganisationen an, um das Rohöl grob zu entfernen. Wenn diese wieder abrücken, kommen die Mikroorganismen als eine Art Müllabfuhr der Natur zum Einsatz, fressen das Öl und verdauen es mit Enzymen. Sie können Verschmutzungen wie diese vielleicht nicht gänzlich ungeschehen machen, aber deutlich verbessern. So in etwa stellen wir uns das auch für Mikroplastik vor.
Wie schwerwiegend ist das Problem Mikroplastik aus Ihrer Sicht?
Den großen Plastikmüll wie Flaschen oder Tüten kann man leicht aufsammeln und entsorgen. Die Verunreinigung durch Nano- und Mikroplastik dagegen sieht man nicht. Wir können nicht sagen, wo es überall enthalten ist und wie die Stoffflüsse sind. Wir wissen zwar, wie viel Mikroplastik pro Jahr von der Industrie produziert wird, jedoch ist unklar, wo es letzten Endes landet. Teilweise im Trinkwasser, in den Meeren und Ozeanen, aber auch im Boden. Derzeit gibt es noch keine Studie, die wirklich beweist, dass Plastik toxisch ist oder in mehreren Jahren sein wird. Aber es ist gut möglich. Plastik könnte eine tickende Zeitbombe sein.
Im Jahr 2016 haben Forscher aus Japan die ersten plastikfressenden Bakterien gefunden. Wieso erst so spät?
Tatsächlich wurden bereits 1998 die ersten plastikfressenden Bakterien von Kollegen an der damaligen Gesellschaft für Biotechnologie, dem heutigen Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, identifiziert (Kleeberg et al., Appl. Environ. Microbiol. 1998 64(5):1731-5). Dahinter standen aber weniger umwelttechnische, sondern zunächst eher wirtschaftliche Überlegungen.
Welche Überlegungen waren das?
Zellulasen sind Enzyme, die von Bakterien gebildet werden und Baumwollfasern schneiden können. Diese werden deshalb Waschmitteln zugesetzt, um den Peeling-Effekt zu verhindern. Sie sollen also die Bildung von kleinen Baumwollknötchen an Pullovern oder Hosen stoppen. Waschmittelhersteller suchten dann in Bakterien ähnliche Enzyme für synthetische Materialien wie Polyester. Sie haben diese auch gefunden, allerdings sind die nicht stark genug, um für den Plastikabbau in der Natur eingesetzt zu werden.
Und wie aktiv sind die Bakterien der japanischen Forscher?
Sie haben immer noch sehr langsame Zersetzungsraten. Bis sie eine Plastikflasche im Boden zersetzt haben, können bis zu 500 Jahre vergehen. Kleine Partikel können sie vielleicht schneller zersetzen, dazu haben wir aber keine verlässlichen Daten.
Warum sind sie so langsam?
Evolutionäre Prozesse spielen sich in der Regel innerhalb von Millionen Jahren ab. PET und andere Kunststoffe gibt es aber erst seit ungefähr 60 Jahren. Das ist für Bakterien eine viel zu kurze Zeit, um sich daran richtig gut anzupassen. Außerdem wurde PET so designt, dass es extrem lange haltbar ist und eben nicht verrottet. Nichtsdestotrotz haben wir schon plastikfressende Bakterien gefunden und wir sind auf der Suche nach Bakterien, deren Umsatzraten noch besser sind.
Wo suchen Sie nach den Mikroorganismen?
Wir fragen uns, wo es in der Natur ähnliche Oberflächen wie Kunststoff gibt und haben drei Orte identifiziert, an denen wir vermehrt nach Bakterien suchen: Auf wachshaltigen Blattoberflächen, zum Beispiel im Botanischen Garten. Zweitens in der Nähe von Erdölreservaten, etwa in Wietze, einem Gebiet in dem an obertägigen Teerkuhlen Öl gewonnen wurde. Das dritte Suchgebiet ist der Hamburger Hafen, wo durch Schiffe und menschliche Aktivitäten sicher schon mal Öl in kleineren Mengen ausgetreten ist.
Und wie gehen Sie weiter vor?
Wir analysieren die verschiedenen Bakterien dieser Standorte. Weil sich ungefähr 99 Prozent dieser Bakterien nicht kultivieren lassen, versuchen wir, die Enzyme, die für die Zersetzung dieser Stoffe nötig sind, mit kulturunabhängigen Methoden zu identifizieren. Konkret suchen wir nach sogenannten PET-Hydrolasen.
Britische Wissenschaftler gehen einen anderen Weg. Sie wollen die bereits bekannten Enzyme verändern und damit deren Umsatzraten erhöhen. Wird das Ihrer Meinung nach funktionieren?
Ja und nein. Der Ansatz wird sehr schnell an seine Grenzen stoßen. Die jetzigen Enzyme sind so langsam, dass selbst die Erhöhung um einen Faktor zehn nicht für eine effiziente Umsetzung des Plastiks reichen würde. Die Grundenzyme müssen aktiver sein.
Sind Enzyme denn gänzlich unbedenklich, auch wenn man sie genetisch verändern würde?
Enzyme sind eine sehr umweltschonende und sichere Methode. Es sind ja keine Organismen. Sie werden auch in anderen Bereichen eingesetzt, zum Beispiel zur Herstellung von Fruchtsäften, Wein oder Backwaren wie Pizza und Brot.
Wie könnte der Einsatz von Mikroorganismen beziehungsweise deren Enzymen zukünftig generell aussehen?
Man könnte die Enzyme Kläranlagen oder Waschmitteln zugeben. Ein weiterer möglicher Einsatz wäre an Standorten, die mit Mikroplastik verseucht sind, oder in der Biotonne, in der hin und wieder Plastik landet. Dort könnte dann ein Enzymcocktail hinzufügt werden, der das Plastik zersetzt und aus der Umwelt entfernt.