Wie wichtig ist Erwerbsarbeit?Studie zeigt Geschlechter-Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland
15. August 2018, von Viola Griehl
Foto: UHH/Beblo
Ob Frauen sich in Deutschland für eine Berufstätigkeit entscheiden, hängt nicht nur von Anreizen wie Elternzeit, Betreuungsangeboten oder Steuervergünstigungen ab, sondern auch davon, wie wichtig ihnen generell die Erwerbstätigkeit relativ zu anderen Arten der Zeitverwendung ist. Hierbei gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Männern ist die Erwerbsarbeit durchschnittlich relativ wichtiger als Frauen. Dieser Geschlechterunterschied ist aber in Ostdeutschland systematisch kleiner. Das haben die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Prof. Dr. Miriam Beblo und Luise Görges vom Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg in einer soeben erschienenen Studie gezeigt.
Frau Professorin Beblo und Frau Görges, warum interessieren Sie sich dafür, wie unterschiedlich Männer und Frauen Erwerbsarbeit bewerten?
Wir interessieren uns vor allem dafür, wie solche Unterschiede überhaupt entstehen. Nach Jahrzehnten des Aufholens sind Frauen auch heute noch in nahezu allen Ländern der Welt ökonomisch weniger erfolgreich als Männer. Im Durchschnitt sind sie weniger erwerbstätig, verdienen geringere Löhne und haben weniger Vermögen. Ökonominnen und Ökonomen haben deshalb im letzten Jahrzehnt verstärkt Geschlechterunterschiede in Präferenzen, beispielsweise für bestimmte Entlohnungsformen, in den Blick genommen. Dabei gehen sie davon aus, dass die unterschiedlichen ökonomischen Erfolge von Frauen und Männern zumindest teilweise darauf beruhen, dass sich die Vorlieben für bestimmte Tätigkeiten unterscheiden – z. B. dass Frauen eher als Männer Situationen vermeiden, in denen sie sich mit anderen messen müssen. Es gibt in der Ökonomik viel Literatur, die diese Geschlechterunterschiede bei Präferenzen dokumentiert, aber wenig reflektiert, wie solche Unterschiede entstehen. Darüber wollten wir mehr wissen und haben uns deshalb angeschaut, ob Geschlechterunterschiede in Präferenzen – im konkreten Fall für Erwerbsarbeit – durch staatliche Eingriffe beeinflussbar sind.
Sie haben die Einstellung von Frauen und Männern zur Erwerbsarbeit in Ost- und Westdeutschland verglichen, welches sind die bedeutendsten Unterschiede?
Der Unterschied zwischen Frauen und Männern ist zwar seit Anfang der 1990er-Jahre in beiden Teilen des Landes gesunken, er ist jedoch in Ostdeutschland über den gesamten Zeitverlauf deutlich kleiner. Im Jahr 2012 ist ostdeutschen Frauen ihre Erwerbstätigkeit sogar genauso wichtig wie Männern, westdeutschen Frauen dagegen nicht, zumindest im Durchschnitt.
Warum ist das so?
Unsere Analysen zeigen, dass die persönliche Erfahrung mit den Institutionen der DDR eine entscheidende Rolle bei der Ausformung der Präferenz für Erwerbsarbeit spielt. Frauen, die selbst erlebt haben, dass ihre Beteiligung am Erwerbsleben nicht nur gesellschaftlich gewollt, sondern auch institutionell unterstützt wird, insbesondere auch während der Familiengründungsphase, bewerten die Wichtigkeit von Arbeit auch langfristig deutlich höher.
Wie haben Sie die Präferenzen für Erwerbsarbeit ermittelt?
Als Datengrundlage diente uns die Allgemeine Bevölkerungsumfrage (ALLBUS) des GESIS-Instituts, das seit 1980 Menschen in Westdeutschland zu ihren Einstellungen zu verschiedenen Themen befragt. Seit 1991 umfasst das Befragungsgebiet auch die „neuen“ Bundesländer. Drei dieser Erhebungswellen – 1991, 1998 und 2012 – enthalten Fragen zur Wichtigkeit verschiedener Lebensaspekte, z.B. „Familie und eigene Kinder“, „Freizeit und Erholung“ – und eben auch „Beruf und Arbeit“. Die Befragten bewerten die Aspekte auf einer Skala von 1–7, je höher der Wert, desto höher die Wichtigkeit. So können wir untersuchen, wie hoch verschiedene Gruppen – Männer und Frauen in Ost- und Westdeutschland – die Bedeutung von Arbeit im Durchschnitt bewerten und wie sich das über die Zeit verändert.
Unter welchen Umständen kann sich die Einstellung von Frauen und Männern zur Erwerbstätigkeit angleichen?
Unsere Ergebnisse zeigen, dass es vor allem darauf ankommt, dass sowohl Männer als auch Frauen Erfahrungen in unterschiedlichen Rollen sammeln. Insofern schlussfolgern wir, dass Politik Geschlechterunterschiede in Präferenzen verringern kann, wenn sie Männer und Frauen ermutigt, eine für ihr Geschlecht eher untypische Rolle innerhalb der Gesellschaft auszufüllen. Zum Beispiel können Geschlechterquoten in Führungsposition oder die Partnermonate beim Elterngeld die Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen und von Männern in Elternzeit nicht nur rein zahlenmäßig erhöhen, sondern darüber hinaus auch die Präferenzen für diese Tätigkeiten verändern und somit langfristig einen Beitrag leisten, die Geschlechterlücke zu schließen.
Link zur Studie
Beblo/Görges (2018), On the nature of nurture. The malleability of gender differences in work preferences, Journal of Economic Behavior and Organization, 151, 19-41, https://doi.org/10.1016/j.jebo.2018.05.002