Interview mit Prof. Dr. Matthias HortForschungsdaten aus dem All
20. Juli 2018, von Anna Priebe
Foto: Benedikt Weiß
Die Forscherinnen und Forscher in der Geophysik beschäftigen sich unter anderem mit Vulkanausbrüchen, Erdbeben und der Kontinentalverschiebung. Dafür messen sie nicht nur auf dem Boden, sondern erheben auch Daten aus dem Weltall. Prof. Dr. Matthias Hort über die Bedeutung von Satelliten, Forschung mit seinem ehemaligen Promotionsstudenten Alexander Gerst und das Leben als Geophysiker als Vorbereitung auf die Astronauten-Karriere.
Alexander Gerst hat bei Ihnen seine Doktorarbeit geschrieben. Wie kann er seine Kenntnisse als Geophysiker jetzt anwenden?
Generell ist es so, dass bei einem Studium und einer Promotion in Physik oder Geophysik ein breites Verständnis für physikalische Prozesse vermittelt wird. Wichtig ist zudem vor allem Interesse für wissenschaftliche Fragestellungen. Ich denke schon, dass es vorteilhaft ist, wie Alexander als Wissenschaftler gearbeitet zu haben, da einem dann die Herangehensweise an wissenschaftliche Fragestellungen vielleicht etwas vertrauter ist.
Bei Alexander Gerst sehe ich zudem den Vorteil, dass er thematisch sehr breit aufgestellt ist. Er war schon als Promotionsstudent extrem gut in der Planung von Experimenten und bei der Aufnahme von Daten während eines Experiments, aber genauso in der Auswertung und einer Entwicklung der zur Erklärung der Daten notwendigen Theorie. Diese Dinge gingen für ihn immer zusammen.
Hinzu kommt: Geländearbeit auf Vulkanen ist auch eine Arbeit unter Extrembedingungen. So lebte Alexander in der Arktis schon vier Wochen im Zelt; wenn dann auch noch ein Schneesturm kommt, kann man unter Umständen für Tage gar nicht raus. Ich glaube, das sind Erfahrungen – wenn man die durchgestanden hat, demonstriert das eine gewisse physische und psychische Stärke. Das ist sicher nicht unerheblich für die Arbeit auf der ISS.
Er hat auf seiner ersten Mission 2014 Daten von der ISS zu einem Forschungsprojekt an Ihrem Institut beigetragen. Wie ist das damals abgelaufen?
Das war ein Projekt von Dr. Klemen Zaksek. Wir haben Alexander per E-Mail geschrieben, wenn gerade ein bestimmter Vulkan aktiv war. Wenn das dann mit der Bahn der ISS passte, hat er Fotos gemacht. Der große Vorteil bei Alexander war, dass wir ihm nicht lange erklären mussten, wofür wir diese Aufnahmen eigentlich brauchen; er wusste, wie er die Aufnahmen ungefähr machen muss, damit wir sie für unseren Zweck benutzen können. Er hat das Optimum für unsere wissenschaftliche Forschung rausgeholt.
Was genau haben Sie mit den Aufnahmen untersucht?
Es ging um eine Machbarkeitsstudie zur Photogrammetrie vulkanischer Eruptionssäulen. Aus Stereo-Fotoaufnahmen lässt sich ermitteln, wie hoch die Eruptionssäule bei einem Vulkanausbruch ist. Das ist ein enorm wichtiger Parameter, wenn es um Warnungen für die Luftfahrt vor vulkanischer Asche geht.
Dadurch, dass sich die ISS relativ schnell bewegt, ist es möglich die Eruptionssäule direkt nach ihrer Entstehung – wenn sie noch relativ gerade aufsteigt und noch nicht vom Wind verteilt wurde – aus verschiedenen Blickwinkeln zu fotografieren. Wenn das gelingt und man weiß, wo genau die ISS oberhalb der Erde war, kann man hinterher ein dreidimensionales Bild von der Eruptionssäule rekonstruieren.
Alexander hat zum Beispiel Aufnahmen von einem Vulkanausbruch in Kamtschatka gemacht. Er hatte die Möglichkeit, die Säule bei optimaler Flugbahn bestmöglich für uns zu fotografieren; dadurch konnten wir, ohne auf Satellitendaten zu warten, zeigen, dass die Berechnung funktioniert.
Grundsätzlich könnte man ja denken, dass man für geophysikalische Forschung eher in als auf die Erde schauen muss. Welche Erkenntnisse können aus der Raumfahrt gewonnen werden?
Für die geophysikalische Forschung ist es enorm wichtig, sehr große Gebiete flächendeckend beobachten zu können. Früher hat man das mit einzelnen Messgeräten am Boden machen müssen, heutzutage gibt es verschiedene Verfahren, um Positionen aus dem Weltraum zu bestimmen. GPS nutzt jeder, damit kann man aber auch Kontinentalverschiebungen messen.
Was für Daten werden dann mithilfe von Satelliten gewonnen?
Im Prinzip sind das Bilder, die mit verschiedenen aktiven und passiven Sensoren in verschiedenen Wellenlängenbereichen aufgenommen werden. Die Beobachtung von Geoprozessen aus dem Weltraum hat große Vorteile; die eine Einschränkung ist, dass diese Satelliten natürlich unter Umständen nicht immer gerade da sind, wo man sie braucht.
Wie kommen Sie an die Satellitendaten?
Es gibt einige Satelliten, deren Daten frei verfügbar sind. Bei anderen muss man einen Antrag stellen, um Zugang zu den Daten zu bekommen. Und dann gibt es natürlich noch kommerzielle Daten, für die man bezahlen muss. Aber viele der Fragen im wissenschaftlichen Bereich lassen sich meist sehr gut über Kooperationen und Anträge realisieren, ohne dass riesige Geldsummen aufgewendet werden müssen.
Ist die Forschung aus dem All denn noch verzichtbar?
Nein, die Satellitenaufnahmen sind nicht mehr verzichtbar. Es gibt inzwischen auch viele kommerzielle Satelliten, deren Daten von Leuten gekauft werden, um zu projizieren, wie sich zum Beispiel Lebensmittelpreise mittelfristig entwickeln, weil man abschätzen kann, wie sich Ernten in verschiedenen Ländern entwickeln. Ob es gut ist oder nicht, sei dahingestellt, aber es ist nicht mehr wegzudenken.
Haben Sie bei der jetzigen Mission eigentlich Kontakt zu Alexander Gerst, zum Beispiel falls irgendwo ein Vulkan ausbricht?
Ja, ich kann ihm E-Mails auf die ISS schreiben.
Alexander Gerst wurde kürzlich von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für seine Social-Media-Arbeit ausgezeichnet. „Folgen“ Sie ihm und wenn ja, welches was für Sie das beeindruckendste Bild?
Ich schaue recht regelmäßig auf Twitter nach, was es Neues gibt. Das beeindruckendste Bild ist schwer zu benennen, aber vielleicht ist es jenes, auf welchem man die Bahnen von Raketen bei einem Konflikt im Nahen Osten sehen kann. Das stimmt sehr nachdenklich.
Mein traurigstes Foto: von der #ISS aus sehen wir Explosionen und Raketen über #Gaza und #Israel pic.twitter.com/xRERusouyk
— Alexander Gerst (@Astro_Alex) 23. Juli 2014