15.000 Dokumentarfilme seit 1945:Deutschlandweit umfangreichste Datenbank zu Dokumentarfilmen ist online
6. August 2018, von Viola Griehl
Foto: UHH/Weber
Werke aus mehr als 70 Jahren deutscher Dokumentarfilm-Produktion in einer Online-Datenbank – das ist das Ergebnis eines Kooperationsprojekts der Universität Hamburg mit der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF und dem Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms. Das Projekt „Die Erforschung der Dokumentarfilme in Deutschland von 1945 bis heute“ wurde seit 2012 mit 2,5 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt. Verantwortlich an der Universität Hamburg ist Prof. Dr. Thomas Weber vom Institut für Medien und Kommunikation.
Herr Professor Weber, Sie und das Forschungsteam haben sich sechs Jahre lang mit Dokumentarfilmen beschäftigt. Eines der Ergebnisse ist jetzt eine Datenbank mit den Metadaten zu 15.000 Filmen. Welches war dabei für Sie die interessanteste Entdeckung?
Das Verblüffendste war, dass es viel mehr Dokumentarfilme gibt, als anfangs von uns angenommen. Wir waren nach einer Vorstudie von 4000 Filmen ausgegangen. Es gibt dafür ja keinen zentralen Katalog, in dem das recherchierbar wäre. Entdeckt haben wir dann aber sehr viel mehr. Das Problem ist: Die meisten Filme verschwinden in zahllosen Archiven, die für Recherchen nur schwer zugänglich sind, sie werden schlicht vergessen oder sie verfallen physisch. Vor allem Videos gehen schneller kaputt als Arbeiten auf Filmmaterial. Aber ausgerechnet zwischen den frühen 1970er und den 1990er Jahren war eine Blütezeit der kritischen Dokumentarfilmarbeit in Westdeutschland, bei der viel mit Videos gearbeitet wurde. Besonders betroffen ist damit eine Epoche, in der die demokratischen Grundwerte der Bundesrepublik Deutschland neu ausgehandelt wurden. Damals ging es um Themen wie Gleichstellung von Frauen, Kritik an der Atomkraft bis hin zu Umweltschutz, Reformpädagogik oder Migration, um hier nur einige zu nennen. Diese gesellschaftlichen Grundwerte werden heute parteiübergreifend geteilt, aber sie mussten einst, wie die Filme zeigen, von zivilgesellschaftlichen Bewegungen erkämpft werden.
Die Bewahrung dieser Zeitdokumente – etwa durch Digitalisierung – wäre dringend geboten. Das ist derzeit von der staatlichen Archivpolitik aber nicht einmal angedacht. Wir haben die paradoxe Situation, dass die Filmarchive der beiden deutschen Diktaturen, die der NS-Zeit und die der DDR, in besserem Zustand sind als die des demokratischen Deutschlands.
Was bietet die Datenbank für die Filmrecherche?
Sie bietet eine systematische Übersicht über deutsche Dokumentarfilme, die von 1945 bis 2005 im Kino oder auf hervorgehobenen Sendeplätzen im Fernsehen liefen. Allerdings sind nicht die Filme selbst enthalten, sondern aus rechtlichen Gründen nur ihre filmographischen Metadaten: d.h. die Filmtitel, die Filmlänge, die beteiligten Personen, die Inhaltsbeschreibung der Filme und in vielen Fällen auch die Standorte in Archiven. Die Datenbank ist damit ein zentrales Mittel, um Filme zu finden oder eine Übersicht über alle Filme zu einem bestimmten Thema oder von einem Filmemacher zu bekommen. Es gibt außerdem verschiedene Möglichkeiten, Fragen miteinander zu verknüpfen, z. B. das Jahr und ein Thema oder eine Person. Man kann auch mithilfe einer Volltextsuche nach Filmen suchen oder mit Schlagworten zu Themengebieten wie „Migration”, „Arbeit”, „Krieg” oder „Umwelt”.
Warum sind Dokumentarfilme so wichtig?
Weil sie ein reichhaltiges Weltwissen über Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Alltagsleben einer Gesellschaft beinhalten. Das könnte jeden interessieren, der wissen will, wie es früher war, was sich vielleicht verändert hat oder der sich einfach zu eigenen Erinnerungen anregen lassen will. Vor allem bieten dokumentarische Filme ein gigantisches Wissensarchiv, das ist für zahlreiche Wissenschaftsdisziplinen ein unschätzbares Quellenmaterial. Wir hoffen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Soziologie, Geschichte, Kulturwissenschaften, Politologie, Anthropologie oder Ethnologie den dokumentarischen Film künftig stärker für ihre Forschungen nutzen werden, als dies ohne Datenbankmöglich war.
Wie geht es mit dem Projekt jetzt weiter?
Das Projekt wird im Herbst 2018 abgeschlossen sein. Wir müssen uns überlegen, wie wir für die Datenbank eine nachhaltige Betreuung organisieren können – und das schließt auch die Ergänzung und die Korrektur von Daten mit ein. Neben dem Aufbau der Datenbank haben gut 40 Autorinnen und Autoren für das Projekt Hunderte von Artikeln verfasst, die nun publiziert werden sollen. Geplant ist ein umfangreiches Kompendium, das die Geschichte des dokumentarischen Films seit 1945 nachzeichnen soll. Das Erscheinungsdatum hierfür steht aber noch nicht fest. Die Datenbank steht allen Interessierten zur Nutzung bereit.
Datenbank
Link zur Datenbank: www.dokumentarfilmgeschichte.de/