Die Zaubersprüche der Ägypter
4. April 2018, von Ellen Schonter
Foto: UHH/Dingler
Eifersucht, Geldsorgen oder Ungewissheit über die Zukunft – wie einfach wäre es doch, seine Probleme mit Magie zu lösen. Diesen Wunsch hatten auch schon die Ägypter der Antike vor hunderten von Jahren: Professionelle Magier führten aufwändige Zauberrituale aus, die uns heute auf Papyrus überliefert sind. Tobias Nowitzki aus dem Fachbereich Geschichte untersucht für seine Doktorarbeit rund 320 dieser Zauberpapyri.
Warum gab es Zaubersprüche im antiken Ägypten?
Die Rituale versprachen eine Lösung für jede Art von Wünschen und Problemen: Beliebt waren Wahrsagungen für die Zukunft, besonders die Bestimmung des eigenen Todestages. Viele Zauber richteten sich gegen Feinde, die verletzt oder getötet werden sollten; im Gegenzug waren auch Heil- oder Schutzzauber beliebt. Männliche Kunden nutzte oft Liebeszauber; es gab aber auch Lösungen für Alltagsprobleme, etwa bei Insektenbefall im Haus oder wenn man etwas verloren hatte.
Wer nahm die Dienste der Magier in Anspruch?
Generell hatte die Magie wohl eine große Bedeutung in der Gesellschaft, obwohl sie offiziell verboten war. Daran hat sich natürlich keiner gehalten. Magie gab es wahrscheinlich für alle Lebensbereiche, Schichten und in allen Preisklassen – angeboten wurde sie von professionellen Magiern. Zu einem großen Teil stammten die Kunden aber vermutlich aus der Oberschicht, denn oft brauchte es teure Zutaten für einen Zauber: Ein Rezept verlangt zum Beispiel zehn spezielle Räuchermittel – und schon der Wert eines Räuchermittels entsprach dem Tageslohn eines Tagelöhners.
Wer führte die Zauber aus?
Leider haben wir kaum Quellen über Magier, daher können wir nur Rückschlüsse aus den Papyri ziehen. Vermutlich waren es Männer, da Frauen kein Zutritt zu Orten wie Tempeln hatten. Außerdem mussten die Magier gebildet sein: Zum einen mussten sie die Sprüche lesen können – zur damaligen Zeit war Lesen nicht verbreitet und Frauen auch nur in Ausnahmefällen möglich in der Antike. Zum anderen stammten die Kunden häufig aus der Oberschicht und erwarteten ein gewisses Niveau; die Magier mussten ihnen also eine anspruchsvolle Show bieten können. Ob die Magier selbst an ihre Rituale geglaubt haben, wissen wir nicht – sicherlich aber die Kunden.
Wie sollte die Magie funktionieren?
Man glaubte, der Magier spricht im Ritual zu Göttern oder Totengeistern und kontrolliert sie, sodass sie zum Beispiel den Feind verletzen. Spannend dabei: In den Papyri werden alle verschiedenen Götter angerufen, an die man damals glaubte, also griechische und ägyptische Götter, aber auch der jüdische Gott Jahwe. Seit der Eroberung Ägyptens durch Griechenland 323 v. Chr. haben sich die Kulturen vermischt und weiterentwickelt. Die Zaubersprüche zeigen, dass die Bevölkerung damals die Koexistenz verschiedener, gleichberechtigter Götter akzeptierte.
Wie läuft ein Zauberritual ab?
Das steht im Papyrus: Zuerst werden die benötigten Gegenstände und Zutaten genannt, dann folgen Handlungen, die während des Zaubers ausgeführt werden müssen, etwa: „Blicke nach Osten“. Zuletzt folgt der Zauberspruch selbst, also die Worte, die gesagt, geschrieben oder gesungen werden müssen. Der Zauber selbst dauerte nicht so lange, aufwändiger waren die Vorbereitungen oder die Handlungen, die nach dem Zauber befolgt werden mussten – zum Beispiel, dass sich der Magier vor dem Zauber vierzig Tage von Frauen fernhalten solle.
Wie sind die Zauberpapyri überliefert?
Die Papyri können kleine Papierfitzel mit wenigen Worten sein, aber auch 20-seitige Handbücher. Durchschnittlich ist ein Zauberritual etwa eine DIN-A4-Seite lang und in griechischer Sprache, da sich seit der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen Griechisch als Amtssprache verbreitet hatte. Die meisten Papyri stammen aus dem 3. bis 4. Jahrhundert nach Christus; in meiner Arbeit untersuche ich rund 320 Zauberpapyri aus dem1. Jahrhundert vorChristus bis zum 6. Jahrhundert nach Christus, die zusammen das Corpus „Papyri Graecae Magicae“ bilden. Die Originale liegen aber in Museen auf der ganzen Welt verstreut, ich arbeite mit englischen Übersetzungen und Editionen der griechischen Originaltexte.
Was möchten Sie mit Ihrer Untersuchung herausfinden und wie gehen Sie dabei vor?
Anhand der Ritualbeschreibungen will ich Gemeinsamkeiten und Strukturen in der Ritualkonzeption feststellen: Welche Sprüche gibt es? Welche Götter werden genannt? So erstelle ich zunächst eine systematische Übersicht aller Arten von Zaubersprüchen. Dabei will ich auch Rückschlüsse ziehen auf die sozio-kulturelle Identität der Kundschaft und der professionellen Magier. Wie war die Mentalität dieser Menschen? Welchen Stellenwert hatte die Magie?
In einem zweiten Teil der Arbeit will ich die Traditionslinien der Zaubersprüche nachzeichnen: Wie verhalten sich die Zaubersprüche zu anderen Magie-Kulturen? Dafür vergleiche ich die Zauberpapyri mit Quellen aus kulturell, zeitlich und geographisch benachbarten Kulturen – zum Beispiel dem hebräischen „Buch der Geheimnisse“ aus dem 7. Jahrhundert nach Christus.
In einem dritten Teil werde ich untersuchen, wie sich der ägyptische Ritualbestand in späteren literarischen Darstellungen wiederfindet, zum Beispiel in Texten des antiken römischen Dichters Ovid oder in Hexendarstellungen.
Welcher Spruch hat Sie besonders beeindruckt?
Kein konkreter, aber überrascht war ich von der Gewalt und den brutalen Details der Zaubersprüche. So soll zum Beispiel ein Spruch dafür sorgen, dass eine Frau so lange keinen Schlaf findet, bis sie daran stirbt – eine Vorstellung, die sehr an Foltermethoden erinnert und einiges über die Rachsucht des betreffenden Menschen aussagt. Allgemein finde ich alle Rituale beeindruckend, bei denen man die Menschlichkeit und die Emotionen greifen kann, die dahinter stecken. Die Sprüche verraten viel darüber, warum die Menschen so verzweifelt sind – zum Beispiel wenn ein Kunde eine Beziehung eines Paars beenden will, weil er selbst gerne der Partner wäre. Die Zaubersprüche geben also gute Einblicke in die Mentalität und das individuelle Religionsverständnis der Menschen.
Jetzt mal ehrlich: Haben Sie selbst einen Spruch ausprobiert?
Nein, das wäre wissenschaftlich unredlich (lacht). Aber das könnte ich auch gar nicht. Viele Zutaten gibt es heute nicht mehr und bei einigen Beschreibungen ist unklar, welche Zutat gemeint ist. Aber ich kann nur empfehlen, sich die Zaubersprüche in den Büchern der Staatsbibliothek anzusehen – sie sind hochspannend!