Erste Professur für ProvenienzforschungJuniorprofessorin Dr. Gesa Jeuthe erforscht die Herkunft von Kunstobjekten
21. Februar 2018, von Ellen Schonter
Foto: UHH/Dingler
Woher stammt ein Kunstwerk? Von wem wurde es gehandelt, geraubt oder wann zerstört? Und wem gehört es rechtmäßig? Provenienzforschung ist eine Disziplin der Kunstwissenschaft, die sich mit der Herkunft von Kunstobjekten beschäftigt. Gesa Jeuthe hat an der Universität Hamburg die erste Professur Deutschlands zu diesem Thema inne: die „Liebelt-Stiftungsprofessur für Provenienzforschung in Geschichte und Gegenwart“. Im Interview erzählt die Juniorprofessorin, warum ihr Forschungsbereich derzeit so prominent ist, von ihren Plänen an der Universität Hamburg – und von den Herausforderungen bei der Entwicklung einer neuen Wissenschaft.
Frau Jeuthe, Ihre Juniorprofessur ist die erste Professur in Deutschland, die explizit der Provenienzforschung gewidmet ist. Warum ist Provenienz derzeit ein so großes Thema?
Letztlich ist die Provenienzforschung nichts Neues, sondern war schon immer Teil der Kunstgeschichte, um die Echtheit und den Wert von Kunstwerken zu bestimmen. Aber durch die Washingtoner Erklärung von 1998 sind neue Fragen in den Fokus gerückt.
Auf der Konferenz hatten sich die unterzeichnenden Staaten darauf festgelegt, NS-Raubkunst als solche zu identifizieren, die rechtmäßigen Erben und eine gerechte und faire Lösung zu finden. Seitdem spielen die Fragen nach Besitzübergängen, Handelswegen und deren historische Kontexte eine immer größere Rolle – und haben zur Ausbildung einer eigenen Disziplin geführt.
Aber die Konferenz ist nun schon 20 Jahre her.
Für Betroffene, die Restitutionsansprüche, also Ansprüche auf die Rückübertragung von Kunstwerken erheben, ist das natürlich eine lange Zeit, aber die Provenienzforschung beginnt auch nicht erst jetzt, sondern findet seit Jahren an den Museen statt. Für die Einrichtung eigener Professuren für die Provenienzforschung sind 20 Jahre hingegen relativ kurz.
Nach der Konferenz wurde unterschätzt, welche Dimension die Provenienzforschung annehmen würde. Man war der Meinung, die Überprüfung der Bestände nach NS-Raubkunst in zwei oder drei Jahren pro Museum leisten zu können – doch es wurde deutlich, dass die Forschung in dieser kurzen Zeit bei Weitem nicht zu leisten ist. Dass die Provenienzforschung nun an der Universität verankert wird, ermöglicht es uns, fehlende wissenschaftliche Grundlagen zu erarbeiten und die neue Disziplin in der Lehre zu etablieren.
Die Schaffung solcher Grundlagen haben Sie auch in Ihrer Antrittsvorlesung beschrieben; sie trug den Untertitel „Von der Fußnote zur methodischen Neubestimmung“. Was verbirgt sich dahinter?
In der Provenienzforschung fehlt derzeit noch ein Standard, in welcher Form wir die Herkunft eines Objekts angeben. Momentan wird nur eine Abfolge von Besitzern in sogenannten Provenienzzeilen aufgelistet – ohne Belege oder Kontext, und vom Stil her je nach Geschmack des Autors. Daher entwickelt der Arbeitskreis für Provenienzforschung e. V. gerade einen Leitfaden: Jede Provenienzzeile soll wissenschaftlich nachvollziehbar, das heißt mit Quellen in einer Fußnote belegt werden.
Dieser Leitfaden ist zwar ein wichtiger, praktikabler Schritt – aber er löst noch nicht ein weiteres Problem, nämlich dass der gesamte Forschungsstand zu einer Provenienz nirgends nachvollziehbar abgebildet wird. Ein Provenienzforscher muss derzeit alle Hinweise zu einer bestimmten Provenienz, z. B. einem Kunsthändler, immer wieder neu recherchieren, obwohl dies an einem anderen Haus vielleicht schon erfolgte – das ist ineffizient. Mein Ziel ist es daher, gemeinsam mit verschiedenen Einrichtungen ein Wissensmanagement für die Provenienzforschung zu konzipieren.
Welche Pläne haben Sie noch an der Universität Hamburg?
Meine Stiftungsprofessur ist epochenübergreifend angelegt. Da ich auf den Kunstmarkt spezialisiert bin, möchte ich vor allem auch den Hamburger Kunsthandel erforschen, der noch wenig aufgearbeitet ist. Außerdem biete ich seit dem letzten Wintersemester gemeinsam mit der Hamburger Kunsthalle eine viersemestrige Seminarreihe zu dem ehemaligen Bestand des Museums an. Dabei beschäftigen wir uns mit Werken, die durch verschiedene Ereignisse heute nicht mehr zur Sammlung gehören, etwa aufgrund der Beschlagnahme von sogenannter „entarteter Kunst“ durch die Nationalsozialisten im Jahr 1937.
Im letzten Semester war es dabei Ziel, mit den Studierenden plausible Szenarien und eine sinnvolle These zu entwickeln, durch welche Hände ein Kunstwerk gegangen sein könnte: Welche Akteure wie Kunsthändler oder Ministerien kommen infrage? Was sind typische Handlungsweisen oder Geschäftspartner dieser Akteure? Im Sommersemester widmen wir uns dann Verkauf- und Tauschgeschäften von 1919 bis in die 1960er-Jahre und betrachten die Umstände, unter denen Kunstwerke freiwillig abgegeben wurden.
Die Herangehensweise der Provenienzforschung ist für viele Studierende der Kunstwissenschaft übrigens ungewohnt.
Warum?
Die Fragen, die die Provenienzforschung interessieren, sind nicht unbedingt kunsthistorisch. Natürlich brauchen wir Provenienzforscher ein Grundverständnis von den Kunstwerken und dem Kunstbetrieb – aber wir nehmen zum Beispiel keine klassische Bildanalyse vor, sondern fragen: Wieviele Versionen gab es von dem Werk? Gehörte der Rahmen schon immer zum Bild? Was lässt sich aus Etiketten ablesen? Durch welche Hände, könnte das Objekt gegangen sein?
Als Provenienzforscher braucht man neben dem Grundverständnis für das Objekt, Kenntnisse in der Archivablage, Quellenanalyse, Rechtsprechung sowie historischen und ökonomischen Gegebenheiten. Am Ende generieren wir Erkenntnisse, die dann wiederum für die Kunsthistorik interessant sind. Provenienzforschung also ist in hohem Maße interdisziplinär. Ich selbst habe ja auch neben Kunstgeschichte Betriebswirtschaft studiert und bin über die Kunstmarktforschung zur Provenienzforschung gekommen.
Welche Möglichkeiten bieten sich Ihnen in Hamburg?
Hamburg ist allein deshalb eine Besonderheit, weil die Hamburger Kunsthalle als eine der ersten Museen eine feste Stelle für Provenienzforschung geschaffen hat. In Hamburg sitzt also mit Ute Haug die dienstälteste Provenienzforscherin Deutschlands.
Dass nun an der Universität Hamburg die erste Professur für Provenienzforschung eingerichtet wurde, ist ein großes Glück. Durch die Verortung unserer Disziplin an einer Universität lässt sich die notwendige Interdisziplinarität erreichen.
Hier in Hamburg gibt es viele Fachbereiche und Einrichtungen, mit denen ich zusammenarbeiten möchte: neben Historikern und Ökonomen zum Beispiel die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ und die Walter A. Berendsohn-Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur, das Institut für die Geschichte deutscher Juden und natürlich viele Museen.