Hund, Katze, Kind – Interview mit Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Ulrich Gebhard zur Beziehung von Kindern und Tieren
25. Oktober 2017, von Anna Priebe
Foto: privat
Ein Haustier zu halten bedeutet viel Verantwortung für Kinder – die Tiere können aber auch positive pädagogische Effekte für die Entwicklung der Kinder haben. Prof. Dr. Ulrich Gebhard, Professor für die Didaktik der Biowissenschaften an der Universität Hamburg, forscht unter anderem zur Bedeutung von Natur und Tieren für die kindliche psychische Entwicklung. Er hält am 1. November eine der zwölf Vorlesungen der Ringvorlesung „Tierisch (gut)!“.
Wer auf die Haustiere in Deutschland blickt, sieht auf der einen Seite Terrier mit Schleifchen in kleinen Pullovern, auf der anderen Seite überfüllte Tierheime nach Weihnachten. Was macht die Beziehung von Mensch und Tier so komplex?
Die Tierbeziehung ist ja vor allem in westlichen Industriestaaten eine ganz besondere Beziehung. Das sind dann eben nicht nur Nutztiere, sondern Heim- oder Haustiere, zu denen man so etwas wie eine Beziehung haben kann.
Man kann vielleicht sagen, dass die Tierbeziehung – zumindest in Mitteleuropa – als eine ganz besondere Art des Naturkontakts interpretiert werden kann: Im Tier kann der Mensch dem „Anderssein“ begegnen, kann seine Ferne oder Entfremdung von der Natur durch die Nähe zur unverstellten Triebnatur des Tieres punktuell aufheben.
Welche pädagogischen Argumente sprechen für ein Haustier für Kinder, d. h. wie können Kinder davon profitieren?
Das ist inzwischen sehr gut erforscht – im Rahmen von pädagogischen und auch von therapeutischen Kontexten. So haben Kinder mit einer engen Bindung an Tiere zum Beispiel höhere Empathiewerte. Die – zumindest versuchte – Einfühlung in ein Tier geschieht angesichts des Fehlens expliziter verbaler Kommunikation. Das fördert die Entwicklung nonverbaler, intuitiver und auch empathischer Kommunikationsarten.
Viele Kinder, die Tiere besitzen, haben ausgeprägte soziale Fähigkeiten, sind z. B. in Klassenzusammenhängen beliebter und können auch besser auf Menschen zugehen. Ein weiterer interessanter Befund ist, dass Tiere ein Gefühl der Sicherheit und Vertraut¬heit vermitteln können. In Familien können Tiere gewissermaßen als kommunikative Ressourcen fungieren: Wenn man sich nichts mehr zu sagen hat, kann man mit dem Hund reden oder auch über den Hund.
Gelten diese Befunde für alle Tierarten?
Die Versuche sind überwiegend mit Hunden gemacht worden, aber gerade bei der nonverbalen Kommunikationsfähigkeit funktioniert das beispielsweise auch mit anderen Tieren.
Wann kann die Beziehung zwischen Kindern und Haustieren problematisch werden? Kinder können die positiven Chancen im Kontakt mit Tieren nur nutzen, wenn Tiere keinen Ersatz für die eigentlich fehlende Beziehung zu Menschen darstellen. Wenn Tiere zum Ersatz für soziale Bezie¬hungen werden, sind Kinder im Sinne des Wortes „auf den Hund gekommen”.
Sie forschen auch zur sogenannten anthropomorphen, also vermenschlichenden Wahrnehmung von Tieren. Wie unterscheidet sich diese bei Kindern und Erwachsenen?
Wenn sich eine Beziehung zu einem Tier vertieft, wird es z. T. so gesehen und behandelt wie ein Mensch. Das Tier wird vermenschlicht, anthropomorph interpretiert. Viele Kinder – und auch Erwachsene – tendieren dazu, mit dem Tier zu sprechen, sei¬nen Geburtstag zu feiern oder ein Bild von ihm aufzustellen.
Die Unterschiede sind da nicht sehr groß. Lange Zeit wurde angenommen, dass das Vermenschlichen von Tieren, aber auch von Gegenständen wie Autos oder Computern, ein rein kindliches Phänomen ist, das ab der Grundschule geradezu aberzogen werden sollte. Heute weiß man: Eine vermenschlichende Wahrnehmung findet bei Erwachsenen in ähnlicher Weise statt wie bei Kindern. Erwachsene – auch Biologen und Zoologen – können nicht länger mit einem Tier zusammenleben, ohne es teilweise wie einen Menschen zu interpretieren. Allerdings kann man von einer Koexistenz von rationaler und anthropomorph-animistischer Denkweise ausgehen. Das erlaubt es, sowohl in naturwissenschaftlichen Begriffen als auch in anthropomorphen Geschichten zu denken, ohne dabei durcheinander zu kommen. Und das gilt nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder.
Haben Sie selbst Haustiere?
Ja, mein Sohn hat sich als Kind einen Hund gewünscht. Bei einem Familienurlaub in Griechenland haben wir mehrere ausgesetzte Welpen gefunden – und einen haben wir behalten. Inzwischen ist er gestorben, aber er ist 15 Jahre alt geworden. Ich konnte die Erfahrungen, zu denen ich geforscht habe, so auch zu Hause bestätigen.
Ringvorlesung „Tierisch (gut)!“
Lange setzten sich ausschließlich die zoologischen Disziplinen mit der Erforschung von Tieren auseinander, z.B. die Physiologie und die Evolutionsbiologie. In den Geisteswissenschaften standen Tiere dagegen lange nicht im Fokus, dabei sind sie eigentlich in Literatur, Musik und darstellenden Kunst häufig vertreten. Mit den „Culture Animal Studies“ hat sich diese Verteilung geändert. In der Ringvorlesung „Tierisch (gut)!“ werden verschiedene Forschungsgebiete zum Thema vorgestellt – anknüpfend und begleitend zu einer Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe. Bis zum 31. Januar 2018 gibt es insgesamt zwölf Vorträge.