Weniger Übergewichtige durch „gesunde Mehrwertsteuer“?Interview mit Dr. Tobias Effertz zu neuer Studie
14. Dezember 2017, von Giselind Werner
Foto: privat
Was wäre, wenn Chips, Limos und Süßigkeiten höher, Obst und Gemüse aber gar nicht mehr besteuert würden? Würde das dazu führen, dass wir uns gesünder ernähren und in der Folge die Krankheitskosten im deutschen Gesundheitswesen sinken? PD Dr. Tobias Effertz von der Fakultät für Betriebswirtschaft hat hierzu eine Studie durchgeführt, die nachweist, dass genau das der Fall ist.
Was genau konnten Sie in Ihrer Studie „Auswirkungen der Besteuerung von Lebensmitteln auf Ernährungsverhalten, Körpergewicht und Gesundheitskosten in Deutschland“ nachweisen?
Krankhaftes Übergewicht in der Bevölkerung, die sog. Adipositas, kann signifikant reduziert werden, wenn man ein gängiges Instrument unserer Finanzordnung – die Mehrwertsteuer – so umgestaltet, dass Obst und Gemüse komplett steuerbefreit sind und Lebensmittel mit hohem Fett-, Salz-, und Zuckeranteil nicht mehr mit dem reduzierten Satz von 7%, sondern dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19% besteuert werden.
Dies ermöglicht eine Reduktion des Adipositas-Aufkommens um mehr als 10% und direkte jährliche Einsparungen im medizinischen Bereich von bis zu 3,8 Mrd.€.
Das sind schon beachtliche Effekte, wenn man bedenkt, dass sämtliche Bemühungen der letzten Jahrzehnte absolut nichts an der Entwicklung der Adipositas in Deutschland verändern konnten.
Wie konnten Sie die Auswirkungen einer veränderten Mehrwertsteuer ermitteln?
Dazu wurden Modellrechnungen durchgeführt. Allerdings mussten hierzu zunächst einige Eingangsgrößen bestimmt werden, beispielsweise die Reaktionen der Verbraucher auf Veränderungen der Lebensmittelpreise und die Kalorienanteile der täglich aufgenommenen Lebensmittelmengen.
Ebenso wurde simuliert, wie sich Veränderungen im Verzehr der Lebensmittel langfristig – betrachtet wurde der Zeithorizont von einem Jahr – auf das Körpergewicht auswirken. Die Berechnungen wurden jeweils differenziert nach Geschlecht, Schichtzugehörigkeit und Alter durchgeführt. Die Gruppe der adipösen Personen wurde ebenfalls separat betrachtet.
Die Berechnungen erfolgten für verschiedene Steuerszenarien, die sich hinsichtlich der Einteilung der Lebensmittel – insbesondere der steuerlichen Behandlung von Softdrinks – unterscheiden.
Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der größte Gesundheitseffekt eintritt?
Hier gilt es zwischen der kurz- und der langfristigen Perspektive zu unterscheiden. Der größte direkte bzw. kurzfristige Effekt tritt natürlich ein, wenn die Steuerstruktur stark verändert wird. Dann sind die Preisveränderungen spürbar und die Menschen reagieren entsprechend.
Wichtig ist aber auch – und das wird jeder bestätigen, der es schon erfolglos mit einer Diät versucht hat – die Nachhaltigkeit: Das Körpergewicht soll dauerhaft gesenkt werden.
Eine Ernährungsumstellung erfährt eher Akzeptanz, wenn sie in kleinen effektiven Schritten geschieht und sich der Effekt dann allmählich kumuliert und auf das Gewicht durchschlägt.
Dabei ist es wichtig, dass alle Lebensmittel in die Steuerstrukturveränderung einbezogen werden; sonst entstehen Ausweich- und Kompensationsmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
Gibt es schon Länder, in denen eine solche Steuer eingeführt wurde? Mit welchem Ergebnis?
Solche Steuern wurden in der Regel nur bei einzelnen Produktgruppen angewendet und die Befunde sind gemischt. Besonders erfolgreich waren die Steuereinführungen für Softdrinks und Junkfood in Mexiko sowie die Softdrinksteuer in der Stadt Berkeley in Kalifornien/USA.
In Frankreich bedienten die inzwischen wieder abgeschaffte Palmölsteuer oder auch die Steuer auf Softdrinks eher den Fiskalzweck, erzielten also Einnahmen für den Staat ohne überzeugende Ernährungsverbesserungen zu erreichen.
In Dänemark wurden besonders fettige Lebensmittel bis 2012 besteuert mit durchaus ermutigenden Ergebnissen im Ernährungsverhalten. Leider wurde sie aufgrund starker Lobbyarbeit und dem vermeintlichen Argument, die Steuer sei „sozial ungerecht“, ebenfalls wieder abgeschafft.
Auch die bereits beschlossene und ab 2018 dann implementierte Softdrinksteuer in UK überzeugt mich nicht; die Höhe ist viel zu niedrig, als dass ich eine gewünschte Wirkung für realistisch halte.
Was spricht dafür, dass das komplexe Problem der wachsenden Fettleibigkeit in Industrienationen am ehesten durch ökonomische Anreize wie die „gesunde Mehrwertsteuer“ zu bekämpfen ist?
Essen ist emotional. Im Restaurant greifen wir nicht zur Kalorientabelle und lassen daraufhin den halben Sauerbraten zurückgehen. Man isst, bis man sich satt fühlt, teilweise auch darüber hinaus.
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler hat, wie viele andere Kollegen auch, sehr deutlich gezeigt, dass Menschen Informationen nicht oder nur verzerrt wahrnehmen und verarbeiten. Deshalb funktionierten die vielen Präventionsprojekte, die allesamt auf Informationsvermittlung an den „mündigen Verbraucher“ setzen, nicht.
Mit dem Steueransatz setzt man beim Portemonnaie der Konsumenten an. Ein höherer Preis symbolisiert dabei nicht nur die gesundheitlichen Folgekosten, sondern wird, übrigens insbesondere bei den sehr preissensiblen Haushalten unterer sozialer Milieus, bei Konsumentscheidungen direkt berücksichtigt. Ein Haushaltsbudget ist bindend.
Selbstverständlich erscheint der Vorschlag für Politiker zunächst unattraktiv; man fürchtet um Wählerstimmen. Ebenso existiert eine enorm starke Lobby, die auf die Politik einwirkt, möglichst harmlose Maßnahmen umzusetzen, um den Umsatz nicht zu gefährden; allerdings wird das Problem drängender und die Kosten steigen an. Ich sehe da leider keine erfolgsversprechende Alternative.