Das Zuhause der Eiszeit-SpinneFür die Erforschung eines eisig-kargen Ökosystems erhält Robert Klesser den Preis der Deutschen Wildtier Stiftung
20. November 2017, von Ellen Schonter
Foto: UHH/Wohlfahrt
Karg, eisig, gut versteckt – und jede Menge Spinnen: Blockhalden klingen für manche Menschen nach einem unwirtlichen Ort, doch sie sind einzigartige Lebensräume aus Felsen, Höhlensystemen und urzeitlichen Eiskernen. Hochspezialisierte Arten wie die Wolfsspinne leben dort vermutlich seit zehntausenden Jahren – doch diese Habitate und ihre Bewohner sind weitgehend unerforscht. Das will Robert Klesser nun ändern: Der Biologe vom Centrum für Naturkunde (CeNak) untersucht in seiner Doktorarbeit „New bugs on the block“, wie sich in den Blockhalden Populationen entwickelt haben. Dafür hat er den Forschungspreis der Deutschen Wildtier Stiftung in Höhe von 50.000 Euro erhalten.
Blockhalden sind ein ganz besonderes Habitat. Warum?
Blockhalden sind einzigartige Geoökosysteme inmitten unserer Mittelgebirge. Anders als bei Geröll- oder Schutthalden gibt es auf Blockhalden keine Fein- oder Streuschicht, sodass die Vegetation nur aus Flechten und Moosen besteht, weil andere Pflanzen einfach keine Bedingungen vorfinden, unter denen sie wachsen können.
Und genau das Fehlen dieser Feinschicht macht die Besonderheit dieses Lebensraumes aus – zwischen den unzähligen Gesteinsblöcken existiert ein riesiges Miniaturhöhlensystem. Das sorgt dafür, dass im Winter der Frost so tief eindringen kann, dass sich Eiskerne innerhalb von Blockhalden bilden können, die wahrscheinlich auch über den Sommer nicht vollständig abschmelzen. Manche Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass diese Eiskerne schon seit den letzten Eiszeiten bestehen und in zehntausenden von Jahren nicht abgetaut sind.
Dadurch haben Blockhalden ein ganz besonderes Klima – nahezu alpine Verhältnisse. Manchmal entsteht sogar Sommereis! Wir haben es also mit Klimainseln zu tun, in denen hochspezialisierte Arten leben, die nun in den Fokus unserer Arbeit rücken, so wie die Blockhalden-Wolfsspinne (Acantholycosa norvegica sudetica).
Warum wissen wir bisher so wenig über dieses Gebiete und die darin lebenden Arten?
Blockhalden liegen erst einmal in den meisten Fällen sehr versteckt und sind schwer zugänglich. Ich habe schon einmal zwei Tage nach einer Blockhalde im Thüringer Wald gesucht und bin dabei bestimmt fünfmal in 50 Meter Abstand an ihr vorbei gegangen, ohne sie zu sehen. Außerdem muss man sich auch mit diesem Lebensraum intensiv beschäftigen, um seine Besonderheiten überhaupt wahrzunehmen. Für die meisten ist das nur ein Haufen Steine in der Landschaft, da vermutet niemand ein tolles Inselökosystem.
Grundsätzlich sind Blockhalden nicht ganz neu in der Wissenschaft. Der ein oder andere Ökologe hat sicher auch schon einmal die Blockhalden eines Gebietes unter die Lupe genommen. Solche Mammutprojekte, wie wir es nun planen, benötigen aber jede Menge Zeit, Geld und Helfer. So kam es bisher nie dazu, dass sich jemand die Genetik dieser besonderen Arten angeschaut hat und flächendeckend von den Alpen bis nach Skandinavien DNA-Proben sammeln konnte.
Wie erforschen Sie die Wolfsspinne und die anderen Arten?
Wir sind natürlich auch auf den Blockhalden unterwegs, messen Umweltparameter, kartieren und erforschen die Halden wie ganz klassische Biologen. Allerdings dienen diese Exkursionen immer dem Zweck, so viele DNA-Proben wie möglich von den besonderen Arten zu bekommen. Damit geht es dann ins Labor, wo mit modernsten Methoden nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Erbgut gesucht wird. Genetische Unterschiede sind Charakteristika, die uns unglaublich viel verraten können, z.B. das Alter von genetischen Linien, Verwandtschaftsgrade, Isolation und Migration, Populationsgrößen und genetische Vielfalt.
Solche inselartigen Lebensräume sind auch genau die Ökosysteme, in denen oft unentdeckte Arten sitzen. Der Grund ist, dass Isolation von Populationen die Artbildung begünstig. Trennt man also eine große Population in zwei kleinere auf und wartet 100.000 Jahre, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass aus der Ursprungsart zwei neue Arten entstanden sind. Wir schauen nun also auf genetischer und morphologischer Ebene, wie isoliert die verschiedenen Populationen voneinander sind und ob sich seit den Eiszeiten hier neue Arten abgespaltet haben.
Dazu kommt dann die ökologische Komponente. Um solche Lebensräume schützen zu können, muss man sie und ihre Bewohner erst einmal verstehen. Das heißt, wir ermitteln die Ansprüche der Arten, wollen auch als erste Wissenschaftler überhaupt in dieses Höhlensystem mit Kameratechnik hineinschauen und modellieren verschiedenste Szenarien, um Aussterberisiken abschätzen zu können.
Bedroht der Klimawandel das Überleben von Arten wie der Wolfsspinne?
Die Erderwärmung ist natürlich Gift für kälteliebende Arten und solche Klimainseln wie Blockhalden. Wenn das Kaltluftsystem erliegt, wird es sicher hart für die Blockhalden-Wolfsspinne und ihre Nachbarn. Denn fünf Meter neben der Blockhalde, wo es im Schnitt bis zu 5°C wärmer ist, kommen diese Tiere schon nicht mehr vor. Allerdings gab es auch in der Vergangenheit schon mehrfach Warmzeiten, die diese Blockhaldengemeinschaften überlebt haben und man muss nun schauen, wie warm es in Zukunft wird und wie das Ökosystem Blockhalde damit zurechtkommt.
Leider ist der Klimawandel aber nicht die einzige Bedrohung für Blockhalden. Nährstoffeinträge durch die Luft beschleunigen die Sukzession, also die Zuwucherung durch Pflanzen, und wenn sich die Höhlen verschließen, ist das mit großer Sicherheit das Ende für diese Spezialisten. Auch Geo- und Sporttourismus sind eine zu beachtende Gefahr. Im Fichtelgebirge gibt es gerade einen Fall, in dem eine Blockhalde in Konkurrenz zu einer Skipiste steht und aus diesem Duell wahrscheinlich nicht als Sieger hervorgehen wird. Blockhalden sind sehr instabil und eine kleine Erschütterung kann schon einen verheerenden Rutsch auslösen. Gut, dass viele Blockhalden so versteckt liegen.
Spinnen sind Tiere, die viele Leute abschrecken – Sie forschen dazu. Was fasziniert Sie daran?
Spinnen sind faszinierende Jäger, hocherfolgreich seit mehreren hundert Millionen Jahren. Vor einigen Jahren wurde eine Studie publiziert, die abschätzt, dass Spinnen in jedem Jahr 400-800 Millionen Tonnen Insekten auf der ganzen Welt vertilgen. Ich bewundere ihre vielen Strategien und die Effizienz, mit der sie jagen.