Rätsel gelöstTeilchenschauer aus fernen Galaxien
19. Oktober 2017, von Viola Griehl
Foto: www.auger.org/ Guillermo E. Sierra
Unsere Erde wird ständig von Strahlung aus dem All hauptsächlich in Form elektrisch geladener Teilchen getroffen. Viele davon stammen von der Sonne, doch es gibt auch extrem energiereiche Teilchen, deren Herkunft seit ihrer Entdeckung in den 1960er Jahren bisher ungeklärt war. An der weltweit größten Detektoranlage zur Untersuchung kosmischer Strahlung, dem Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien, forschen mehr als 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 18 Ländern an diesem Phänomen. Jetzt haben sie entdeckt: Die Strahlung kommt von außerhalb unseres Sonnensystems und sehr wahrscheinlich auch von außerhalb unserer eigenen Galaxie. Im Rahmen eines Verbundprojekts des Bundesforschungsministeriums ist auch ein Team der Universität Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr. Günter Sigl vom II. Institut für Theoretische Physik an dem Projekt beteiligt.
Herr Professor Sigl, wie muss man sich einen kosmischen Teilchenschauer vorstellen?
Da treffen Teilchen, kleiner als ein Atom, mit der Energie eines hart geschlagenen Tennisballs auf die Atmosphäre. Durch die Wechselwirkung mit den Molekülen der Luft spalten sie sich in sogenannte Sekundärteilchen auf – das sind z. B. Pionen, also Teilchen von etwa einem Zehntel der Masse eines Protons. Diese wechselwirken wiederum in der Atmosphäre und erzeugen weitere Sekundärteilchen. Dadurch entsteht eine Kaskade; dieser Luftschauer hält an, bis die Energie pro Teilchen nicht mehr ausreicht, um weitere Pionen zu erzeugen. Was wir mit dem Pierre Auger-Experiment messen können, sind die Zerfallsprodukte dieser Teilchen.
Das Rätsel bestand darin, dass die Herkunft bestimmter Teilchen mit hoher Energie nicht geklärt war. Wann hat man diese Strahlung entdeckt und wie kann man sie überhaupt aufspüren?
1912 fand Viktor Hess heraus, dass sich geladene Elektroskope (Messgeräte für die elektrische Ladung eines Körpers) mit zunehmender Höhe über der Erdoberfläche schneller entladen. Das kann nur durch ionisierende Strahlung von außerhalb der Atmosphäre erklärt werden. 1938 fand Pierre Auger, nach dem das Experiment benannt ist, in Teilchendetektoren, die viele Meter voneinander entfernt waren, zeitlich zusammenfallende Signale, was auf die Existenz von ausgedehnten Luftschauern schließen ließ. Im Pierre-Auger-Experiment werden solche Luftschauer mithilfe von Photomultiplikatoren nachgewiesen, das sind extrem empfindliche Lichtsensoren. Sie fangen die Signale auf, die von Elektronen, Positronen und Myonen ausgelöst werden. Die Luftschauer erzeugen außerdem eine Fluoreszenzstrahlung, die man mit Teleskopen beobachten kann.
Und wie hat man herausgefunden, dass die Strahlung von außerhalb unserer Milchstraße stammt?
Die Detektoren messen die Ankunftsrichtungen der Teilchen. Wären die Quellen in unserer Milchstraße, müssten die Ankunftsrichtungen in Richtung der Ebene unserer Galaxie gehäuft auftreten. Der jetzt beobachtete Überschuss von etwa 12% der von einer Himmelshälfte kommenden Teilchen relativ zur Teilchenrate aus der entgegengesetzten Hälfte zeigt jedoch in eine vom galaktischen Zentrum 120 Grad entfernte Richtung.
Welche Rolle haben Sie und Ihr Team bei dem Projekt?
Die Hamburger Gruppe ist ein Team von Phänomenologen - das heißt, wir beschreiben Prozesse und Eigenschaften mit theoretischen Modellen und arbeiten an der Schnittstelle zwischen dem Experiment und astrophysikalischen Szenarien für die Interpretation der Daten. Wir beschäftigen uns insbesondere mit der Simulation der Ausbreitung der kosmischen Strahlung unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen und Ablenkung in kosmischen Magnetfeldern.
Was folgt jetzt aus dem Ergebnis des Experiments?
Wir versuchen zu bestimmen, wo sich die Quellen dieser Teilchen befinden. Dazu vergleichen wir die Messergebnisse mit Modellvorhersagen und simulieren die Ankunftsrichtungen unter verschiedenen Hypothesen für die Verteilung der Quellen und Magnetfelder. Wir interessieren uns auch für die Frage, um welche Mischung aus Protonen, leichten und schweren Atomkernen, es sich genau handelt. Dazu arbeiten wir auch mit Teilchenphysikgruppen an der Universität Hamburg zusammen.