Neues zum Nobelpreis-ThemaAuch Neutronensterne können Gravitationswellen auslösen
16. Oktober 2017, von Maike Nicolai
Foto: NSF/LIGO/Sonoma State University/A. Simonnet
Die Freude über die Auszeichnung dreier Pioniere der Gravitationswellen-Forschung mit dem Nobelpreis für Physik 2017 ist noch nicht verklungen – da wartet das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) mit der nächsten Entdeckung auf: Keine Schwarzen Löcher, sondern kollidierende Neutronensterne waren die Ursache der Gravitationswellen, die das LIGO und das europäische Virgo-Observatorium im August dieses Jahres empfingen. Wie die Betreiber des LIGO am 16. Oktober 2017 bekanntgaben, hatte das Gravitationswellensignal einen bisher nicht beobachteten zeitlichen Verlauf. Eine Simulation auf Basis der Allgemeinen Relativitätstheorie zeigte, dass das Signal von Neutronensternen stammte, aber nicht von Schwarzen Löchern, denen alle bisher gemessenen Gravitationswellen zugeschrieben worden waren.
Prof. Dr. Roman Schnabel, Leiter der Arbeitsgruppe „Nichtlineare Quantenoptik“ am Institut für Laserphysik (ILP) im Fachbereich Physik der Universität Hamburg und Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Quantenrauschen“ der LIGO Scientific Collaboration erklärt, welche Bedeutung Gravitationswellen für die Astrophysik haben und was die neue Beobachtung für die Fachwelt bedeutet.
Was sind Gravitationswellen und welche Rolle spielen sie für die Astrophysik?
Gravitationswellen sind Dehnungen und Stauchungen der Raumzeit: Wird ein Bereich des Universums von einer Gravitationswelle durchstrahlt, so wächst und schrumpft dieser Bereich mit der Frequenz der Welle. Der Effekt ist in der Regel unbeschreiblich klein.
Ausgehend von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie kann man mathematisch zeigen, dass es Gravitationswellen gibt und dass diese zum Beispiel von kollidierenden Schwarzen Löchern erzeugt werden. Die Rechnung gelang allerdings in überzeugender Form erst kurz nach Einsteins Tod. Einstein selbst war sich immer wieder unsicher, ob seine Allgemeine Relativitätstheorie wirklich Gravitationswellen vorhersagt. Spätestens seit der Beobachtung, dass Doppelsternsysteme allein deswegen Energie verlieren, weil sich die Sterne gegenseitig umkreisen, ist diese Frage geklärt. Gravitationswellen transportieren Energie, und sie tragen Information über die astrophysikalische Quelle, die die Wellen abstrahlt.
Wie misst man Gravitationswellen?
Um Gravitationswellen zu beobachten, wird ein Laserstrahl durch luftleeren Raum auf einen mehrere Kilometer weit entfernten Spiegel gestrahlt, der anschließend das Laserlicht auf genau den gleichen Weg zurückreflektiert. Auf diese Art und Weise misst man die Entfernung zum Spiegel. Die Anlage, in der dies geschieht, ist so aufgebaut wie ein Michelson-Interferometer. Damit die gemessene Entfernung die Dehnung beziehungsweise Stauchung der Raumzeit korrekt und möglichst störungsfrei wiederspiegelt, ist der Spiegel bis zu 40 Kilogramm schwer und an dünnen Quarzfasern aufgehängt.
Die Forschung an der Universität Hamburg hat zum Ziel, Gravitationswellen-Observatorien deutlich zu verbessern. Nach wie vor stellt das Photonenrauschen, ein Rauschen der Messkurven aufgrund von Schwankungen in der Intensität des Lichts, ein Problem dar. Ein weiteres Problem ist das Hin und Her der Atome in den Spiegeloberflächen, das wir als „Brown’sche Bewegung“ bezeichnen. In meinem Arbeitsbereich entwickeln wir Techniken, um beide Probleme zu lösen. Bei der Erforschung und Entwicklung von Licht mit geringerem Photonenrauschen, sogenanntem „gequetschtem Licht“ haben wir Pionierarbeit geleistet.
Was ist das Neue an der jüngsten Entdeckung?
Seit 2015 konnte das LIGO, und im jüngsten Fall auch das Virgo-Observatorium, insgesamt vier Verschmelzungen von Schwarzen Löchern beobachten. Zu hören war das berühmte kurze „Tschirp“. Doch jetzt wurde erstmals ein viel längeres Signal empfangen. Es dauerte ganze 100 Sekunden. Durch die Auswertung der Daten von LIGO und Virgo ließ sich die Quelle sehr gut lokalisieren. Außerdem haben etwa 70 andere Teleskope auf der Erde und im Weltraum Signale empfangen, zum Beispiel in Form eines intensiven Blitzes aus Gammastrahlen. Auch Röntgenstrahlen, sichtbares Licht und Radiowellen waren dabei. Diese gemeinsame Beobachtung ist völlig neu, denn wenn Schwarze Löcher verschmelzen, werden keine anderen Strahlen abgegeben, nur die Gravitationswellen. Aufgrund des Gravitationswellensignals wissen wir, wie schwer die beiden Neutronensterne waren und dass sie in „nur“ 130 Millionen Lichtjahren Entfernung verschmolzen sind. Auch wurde mit der neusten Entdeckung die Vermutung bestätigt, dass Gammablitze durch verschmelzende Neutronensterne entstehen.
Kosmische „Tschirps“, kollidierende Neutronensterne und verschmelzende Schwarze Löcher: Was verraten uns diese Beobachtungen über das Weltall – und welche Entdeckungen erwarten Sie als nächstes?
LIGO und Virgo werden in den kommenden Monaten weiter verbessert. Im Anschluss werden wir wahrscheinlich wöchentlich Verschmelzungen von Schwarzen Löchern und insbesondere auch Neutronensternen beobachten. Wenn man Gravitationswelle eines solchen Ereignisses mit hoher Auflösung beobachten könnte, wären sogar Rückschlüsse auf die Materie im Inneren von Neutronensternen möglich.
Wir haben uns auch bereits intensiv mit Entwürfen für die nächste Generation von Gravitationswellen-Observatorien beschäftigt. Weil sie deutlich empfindlicher sein werden, hoffen wir, dass wir damit Gravitationswellen aus den ersten Phasen des Urknalls beobachten zu können. Dann könnten wir tatsächlich verstehen, wie das Universum entstanden ist.
Gut zu wissen
Der Nobelpreis für Physik 2017 ging an drei Pioniere der Gravitationswellen-Forschung: Prof. Rainer Weiss vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) sowie Prof. Dr. Kip S. Thorne und Prof. Dr. Barry C. Barish vom California Institute of Technology (Caltech) trieben die Entwicklung des maßgeblich mit voran. Mit Hilfe dieses Observatoriums wurden 2015 erstmals Gravitationswellen nachgewiesen.