Pflanzenkommunikation: Mais im Mehrfach-Stress
29. August 2017, von Maike Nicolai
Foto: UHH/Nicolai
Pflanzen reagieren auf einzelne Reize und übermitteln dann Signale mithilfe elektrischer Ströme – zum Beispiel von den Wurzeln an die Blätter, um bei Trockenheit die Photosynthese zu drosseln. Ein Forschungsteam aus der Holzbiologie hat jetzt in einem Experiment gezeigt, dass Pflanzen sogar zwei verschiedene, gleichzeitig auftretende Reize nacheinander verarbeiten können.
Zwei nadelspitze Elektroden punktieren die Hauptader eines Blatts unter der scharfen Linse eines Mikroskops, ein anderes Blatt ist in eine kleine, violett leuchtende Messbox eingeklemmt. Kabel verbinden Sensoren mit Bildschirmen und einem Signalschreiber. Das Hauptobjekt des Experiments ist inmitten des komplexen Setups kaum noch zu sehen: eine Maispflanze – wissenschaftlich Zea mays.
Jasmin Vuralhan-Eckert und Prof. Dr. Jörg Fromm haben die Pflanze verkabelt und eingespannt, um in deren Innerstes zu schauen. Der Leiter der Abteilung Holzbiologie am Zentrum Holzwirtschaft der Universität Hamburg und die Promotions-Studentin möchten herausfinden, wie der Mais zwei verschiedene, gleichzeitig auftretende äußere Reize verarbeitet.
„Pflanzen haben ja kein Gehirn und treffen keine bewussten Entscheidungen“, verdeutlicht Prof. Fromm. „Darum haben wir uns gefragt, wie Mais mit zwei gleichzeitigen Reizen umgeht: Ob er sie nacheinander in einer bestimmten Reihenfolge abarbeitet, ob sich die Signale vermischen oder ob er schlichtweg kapituliert, also sozusagen verwirrt ist.“
Verschiedene elektrische Signale für verschiedene Reize
Wie Pflanzen auf einzelne Reize reagieren und Signale übermitteln, hat die Wissenschaft mittlerweile gut verstanden. Schnelle Aktionspotenziale werden in Form elektrischer Ströme über Siebröhren im Leitgewebe weitergegeben, das auch für den Wasser- und Nährstofftransport zuständig ist. Auf diesem Wege „informieren“ beispielsweise die Wurzeln einer Pflanze die Blätter über Trockenheit und sorgen dafür, dass diese die Photosynthese-Tätigkeit drosseln und ihre Blattöffnungen schließen. So verliert die Pflanze weniger Feuchtigkeit durch Verdunstung. Steht dann – etwa durch einsetzenden Regen – wieder mehr Wasser zur Verfügung, heißt es innerhalb von Sekunden: „Wurzeln an Blätter: Photosynthese hochfahren!“ Ganz andere Signale senden etwa durch Schädlinge oder Krankheitserreger verletzte Pflanzenteile. Je nachdem wie stark die Verletzung ausfällt, variieren auch die Stärke und die Dauer der Warnzeichen: „Achtung, Fraß!“
Die Verletzung simuliert der Hamburger Holzbiologe mit einem Feuerzeug: „Das ist eine übliche Methode, die bereits seit vielen Jahren etabliert ist.“ Gleichzeitig gießt Jasmin Vuralhan-Eckert einen Schwung Wasser in den zuvor ausgetrockneten Pflanzentopf. „Fertig? Los!“ Was wie der Startschuss zum Wettrennen der Signale klingt, löst einen allmählichen Ausschlag in den Graphen auf Bildschirm und Signalschreiber aus. Die Gaswechsel-Apparatur registriert nach und nach einen Rückgang im Kohlendioxid-Verbrauch: Die Pflanze regelt ihre Photosynthese herunter. Eine halbe Stunde lang dokumentieren die Geräte, wie die Signale erst an- und dann wieder abschwellen.
Pflanzen können unterschiedliche Reize nacheinander verarbeiten
„Beide Reize werden eher nacheinander verarbeitet. Wir können erkennen, dass die Maispflanzen zunächst auf den starken Feuerreiz reagieren, bevor sie das Signal der Wiederbewässerung umsetzen“, fasst die Doktorandin der Holzbiologie zusammen. „Anscheinend wird Abwehrmechanismen eine höhere Priorität zugewiesen als Wachstumsvorgängen. Die Pflanze scheint tatsächlich in der Lage zu sein, gleichzeitig auftretende Umweltreize zu verarbeiten und darauf gezielt zu reagieren.“
„Pflanzen können nicht ‚bewusst entscheiden, wie sie mit den Veränderungen umgehen,“ so Prof. Fromm. „Aber sie reagieren – und wir sollten verstehen, wie die Reaktionen gesteuert werden und wie sie ausfallen.“ Denn auch in der Natur werden die Pflanzen zukünftig häufiger unter Mehrfach-Stress stehen. „Wir gehen davon aus, dass es im Zuge des Klimawandels häufiger Trockenphasen gibt, aber auch mehr Gewitter, Stürme und Starkregen auftreten“, erklärt der Holzbiologe. „Gleichzeitig werden mehr oder neue Schädlinge den Pflanzen zusetzen.“ Hinzu kommt noch, dass durch die steigenden Kohlendioxid-Konzentrationen in der Atmosphäre auch mehr Kohlendioxid für die Photosynthese zur Verfügung steht.