PS: Es ist KriegStudentisches Forschungsprojekt zu Feldpostbriefen
27. November 2017, von Anna Priebe
Wie funktioniert Liebe im Krieg? Diese Frage haben zehn Studentinnen in einem Forschungsprojekt anhand von Feldpostbriefen eines Ehepaars aus dem Ersten Weltkrieg untersucht. Das studentisch geleitete Seminar wurde dabei zu viel mehr als dem Weg zu Leistungspunkten.
„Mein lieber Paul“ beginnt Linda Trompelt ihren Brief am 19. Januar 1917. Sie schreibt ihrem Mann an der französischen Front, dass er ihr „Allerliebstes“ sei und dass sie ihm am folgenden Tag ein Paket mit Fett schicken werde, das er doch bitte nicht essen solle, wenn es beim Eintreffen schon schlecht sei. Für Ronja Ewert ist dieser Brief etwas Besonderes: „Paul hat den Brief korrigiert und hier nachträglich mit einem Buntstift überall Kommata eingefügt.“ „Dabei war seine Rechtschreibung noch viel schlimmer als ihre“, ergänzt Tabea Henn. Ewert und Henn haben mit sieben weiteren Kommilitoninnen unter der Leitung von Désirée Kaiser mehr als 150 Feldpostbriefe ediert, die sich das Paar zwischen Januar 1915 und November 1918 geschrieben hat.
Edieren hieß, die Briefe zu entziffern, abzutippen und nach vorher festgelegten Kriterien zu kommentieren. Herausgekommen ist ein rund 400 Seiten umfassendes Buch mit der aufgearbeiteten Korrespondenz sowie einem Essay jeder Teilnehmerin zu einer speziellen Forschungsfrage. Das Korpus an Briefen hatte Désirée Kaiser recherchiert und privat bei einem Militaria-Händler gekauft. Die Doktorandin hatte im Sommersemester 2016 als Masterstudentin das Forschungsprojekt im Freien Wahlbereich der Fakultät für Geisteswissenschaften angeboten: „Unser Überthema war die Frage, wie Beziehungen im Krieg über das Medium Brief funktionieren und inwiefern Paarkonzepte durch die Briefe aufrechterhalten werden – also ein gender-theoretischer Ansatz.“
Auf der einen Seite wurde von Frauen erwartet, die Moral ihrer kämpfenden Männer mit Briefen aus der Heimat zu stärken; es gab Vorgaben und Vorträge zum richtigen Feldpostbrief-Schreiben. Auf der anderen Seite waren die Briefe aber auch tatsächlich der einzige Weg für Paare wie Paul und Linda, um in Kontakt zu bleiben. „Wir sehen, wie Beziehung über Sprache hergestellt wird, wie Paare versuchen, sich anzunähern und in den Briefen heimliche Treffpunkte entstehen“, erläutert Kaiser. Das Konzept „Beziehung“ sei damals aber ein ganz anderes gewesen als heute. „Gerade in der damaligen Gesellschaft, in der der Mann das Sagen hat, ist der Brief auch dazu da, diese Hierarchie aufrechtzuerhalten“, erklärt die Literaturwissenschaftlerin. Linda richtet sich daher in Fragen neuer Anschaffungen an ihren Mann, der so, Kaiser zufolge, „von der Front in die Heimat den Alltag organisiert“:
„Ich wollte ja schon lange einen [Kleiderschrank] haben und jetzt gibt’s ja mitunter auch oft mal billige, ich denke für 50 M gibt´s schon [ein?] ganz schönen, doch das hat Zeit bis du kommst, ich will dir´s nur mal [mit?] schreiben.“
Zeilen wie diese stellten die Studentinnen vor eine weitere Herausforderung: „Da es viel Zensur gab, hatten die Briefe eigentlich unglaublich wenig Inhalt. Es geht die ganze Zeit nur: ‚Ich bin dir treu‘, ‚Ich bin für immer dein‘, ‚Ich liebe dich‘“, so Ewert, die für ihren Essay die Bedeutung des Glaubens für das Paar Trompelt untersucht hat. „Aber das hat einen dann eigentlich nur noch mehr herausgefordert, den Blick zu schärfen“, ergänzt Kaiser. Auch diese Trivialität sei untersuchungswürdig, „wenn man bedenkt, unter welchen Bedingungen diese Briefe entstanden sind“.
Über das Paar wussten die Kursteilnehmerinnen aus den Briefen erst nur, dass sie Linda und Paul hießen. Später kamen der Wohnort in Sachsen und durch Zufall auch der Nachname von Paul hinzu. Mit diesem erkundigte sich Geschichtsstudentin Tabea Henn bei dem Amt, das heute für die Gemeinde der Trompelts zuständig ist – mit Erfolg. Sie erfuhr die kompletten Namen von Paul und Linda, wann die beiden geheiratet haben, dass sie eine Tochter hatten, die 2015 gestorben ist und aus deren Nachlass die Briefe stammen. „Ich habe irgendwann richtig angefangen zu zittern, weil ich so begeistert war“, erinnert sich Henn.
Zudem fand sie in einer Publikation dieser Tochter ein Bild der Trompelts von 1916. „Das war ein unglaubliches Glück, denn vorher wussten wir kaum etwas, nicht mal, ob Paul den Krieg überhaupt überlebt hat“, so die 21-Jährige. Auf einmal hatten sie Gesichter zu den Zeilen. Mit den neuen Informationen zeichnete Henn für den Essay zudem die Frontstationen Pauls nach.
„Und Linda letzte Nacht bist du neben mir gelegen grad als war ich daheim wollte mein Herzel umarmen da hatte ich die Wand und alle wars mit dem Traum“.
„Das sind dann schon die Momente, wo man mitfühlt“, gesteht Henn. „Ich war zwischendurch auch ein bisschen traurig darüber, dass sie nie erfahren werden, dass sie Geschichte geworden sind, dass ihre Briefe für die Welt so eine Bedeutung haben.“ Für Kaiser war aber genau diese Verbindung zu dem Paar ein Ansporn: „Ich habe mich schon auch ein bisschen so gefühlt, als wäre ich es den beiden schuldig, eine möglichst gute Publikation daraus zu machen.“ Paul und Linda seien zwei Stimmen von Millionen, die Briefe 150 von Milliarden, und „stellvertretend haben wir diese beiden wieder zum Leben erweckt“.
„Herzinnigen Gruß von Deiner guten Dir dankbaren Linda“
Der Text ist in der aktuellen Ausgabe der 19NEUNZEHN erschienen, die seit Oktober in den Foyers der Uni-Gebäude und dem Unikontor sowie den Mensen und Bibliotheken erhältlich ist.