"The rhetoric is going to get sharper"Political scientist Prof. Kai-Uwe Schnapp on the 2017 German federal elections
25 September 2017, by Sarah Batelka
Photo: UHH/Schell
Germany has voted. The Christian Democrats (CDU) and Social Democrats (SPD) have lost voters while the Alternative for Germany (AFD) has become the third-strongest fraction the German Parliament. Political scientist Prof. Dr. Kai-Uwe Schnapp takes a critical look at the results of the 2017 German federal election. [Read on in German]
Was hat Sie am Ergebnis der Bundestagswahl überrascht und womit hatten Sie gerechnet?
Eigentlich gab es keine großen Überraschungen. Die Prognosen haben sich weitgehend bestätigt. Was mich überrascht hat, das muss ich zugeben, ist das Ergebnis der AfD in Sachsen, wo sie stärkste Partei geworden ist. Dass der Frust dort so groß ist, das hatte ich trotz aller Berichte über Demonstrationen und über die blanke Wut, die dort aus manchen Äußerungen spricht, nicht gesehen.
Welche Koalitionsverhandlungen erwarten Sie jetzt?
Nach dem Wahlergebnis und der sehr schnellen und klaren Positionierung der SPD gibt es ja eigentlich nur noch die Möglichkeit, eine Koalition aus Union, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zu bilden. Die Alternativen jenseits dieser Koalition wären eine Minderheitsregierung, das gehört aber in Deutschland nicht zur politischen Kultur, oder Neuwahlen. Letztere Option wird niemand ernsthaft in Erwägung ziehen. Klar ist: Die Koalitionsverhandlungen werden anstrengend, wenn die CSU am einen Ende des Spektrums und die Grünen am anderen eine Bundesregierung bilden sollen. Klar ist aber auch: Eine Regierung, die in der Summe mehr als 13 Prozentpunkte an Zustimmung verloren hat, kann nicht weiterregieren. Der Schritt der SPD war aus dieser Perspektive eine unvermeidliche Reaktion auf ein demokratisches Votum.
Martin Schulz konnte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Woran hat es letztendlich gelegen?
Das sind viele Faktoren: Es ist grundsätzlich schwer, als Juniorpartner einer Koalition gut auszusehen. Schulz musste sich im Wahlkampf oppositionell geben, während seine Partei gleichzeitig mit der Union regierte. Das ist ein Spagat, der eigentlich nicht gelingen kann. Das Thema soziale Gerechtigkeit, so wichtig es ist, hat offenbar in der Wählerschaft nicht verfangen. Sicher hat auch eine Rolle gespielt, dass viele Wählerinnen und Wähler in den international unsicheren Zeiten, in denen wir leben, ein hohes Vertrauen in die internationale Rolle Angela Merkels setzen.
Die FDP ist nach der Wahlschlappe 2013 wieder im Bundestag vertreten. Womit konnte die Partei punkten?
Ich glaube, dass die FDP vor allem als Teil einer Alternative zur Großen Koalition punkten konnte. Schaut man auf die Wählerwanderungen, dann haben beide Parteien der Regierungskoalition massiv Wählerinnen und Wähler an die FDP abgegeben.
Die Grünen waren erfolgreicher als prognostiziert. Mit welchen Themen konnte die Partei die Wählerinnen und Wähler am Ende überzeugen?
Bündnis90/Die Grünen haben tatsächlich etwas stärker ausgesehen als in den letzten Vorhersagen. Das Ziel, zweistellig oder gar stärker als die FDP zu werden, haben sie allerdings nicht erreicht. Womit haben die Grünen gepunktet? Ich denke, dass es wirklich klassisch grüne Themen waren. Es gibt eigentlich keinen plausiblen Zweifel mehr daran, dass unser Klima sich wandelt. Für dieses Thema steht das Bündnis 90/Die Grünen wie keine andere Partei.
Die LINKE konnte ihr Ergebnis von 2013 kaum verbessern. Warum konnten sie die Schwäche der SPD nicht für sich nutzen?
Die LINKE hat im Westen leicht dazugewonnen, im Osten deutlich verloren und in der Summe etwas Boden gut gemacht. Hier wird deutlich, dass besonders im Osten des Landes die LINKE bis zur Wahl 2013 eine Wahloption war, die ein nennenswerter Teil der Wählerschaft der Partei nutzte, um Protest gegen die wahrgenommenen Verhältnisse auszudrücken – unabhängig von der politischen Farbe. Für einen großen Teil frustrierter Bürgerinnen und Bürger ist nun die AfD die Partei der Wahl. Das hat die LINKE Stimmen gekostet. Diejenigen, die da bei der LINKEN abgewandert sind, waren aber, so würde ich sagen, nie programmatisch überzeugte Linkswähler, sondern eben Menschen, die mit dieser Stimmabgabe protestieren wollten. Anders formuliert: Die LINKE hat in dieser Wahl Wählerinnen und Wähler verloren, die noch nie zu ihrer politischen Programmatik und zu ihren politischen Überzeugen gepasst haben.
Die AfD ist drittstärkste Kraft geworden. Überrascht Sie dieses Ergebnis? Wie kam es zustande? Und wie müssen sich die etablierten Parteien jetzt verhalten?
Nein, es überrascht mich nicht, dass die AfD die drittstärkste Partei ist. Das war seit einiger Zeit klar zu erwarten gewesen. Wie kommt das Ergebnis zustande? Eine Flüchtlingspolitik der Regierung, die ich, gestatten Sie diese klar wertende Aussage, in ihrer Grundidee für richtig halte, die aber sehr vielen Menschen in diesem Lande nicht gefallen hat. Diese Politik wird von einem sichtbar großen Teil der Bevölkerung als Gefahr angesehen, als Gefahr für die innere Sicherheit, aber auch als Gefahr für die eigene soziale Stellung. Und die AfD wird hier als Lösung angesehen.
Schaut man sich die Erfolge der AfD im Osten an, dann wird man auch sagen müssen, dass dort seit der Wiedervereinigung einiges schief gegangen ist. Sicher kann man einen Teil des Ergebnisses auf die immer noch autoritären Einstellungen eines Teils der ostdeutschen Bevölkerung schieben. Ich denke aber, dass auch eine Rolle spielt, dass es nach wie vor viele Ostdeutsche gibt, egal, ob sie noch im Osten wohnen oder ob sie in den Westen umgezogen sind, die sich nicht immer hinreichend ernstgenommen fühlen. Viele haben nach wie vor das Gefühl, in ihrem Leben nicht das bekommen zu haben, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Das mag nicht immer berechtigt sein, aber es ist eine Gemütslage, die ernstgenommen werden muss. Und offenbar hat die AfD verstanden, diese Gemütslage aufzugreifen.
Diesen Frust kennen wir ja inzwischen auch aus anderen Ländern, aus Großbritannien, den USA, Frankreich usw. Ein gutes Gegenmittel ist bislang nicht gefunden, und es wird auch nicht leicht eines geben. Aber es ist eine zentrale Aufgabe für alle, die den Aufstieg rechter Parteien wie der AfD mit großer Sorge betrachten, nach Wegen zu suchen, möglichst viele Wählerinnen und Wähler davon zu überzeugen, dass die AfD nicht die Lösung für ihre Probleme ist. Die AfD ist eine rechtspopulistische und destruktive Partei mit massiven nationalistischen, rassistischen und bei einem Teil des Personals und der Wählerschaft offen rechtsextremen Tendenzen. Wohin das im Extrem führen kann, führt US-Präsident Donald Trump in den vergangenen Tagen gerade wieder in erschreckender, die gesamte Welt gefährdender Art und Weise vor. Hier stehen nicht allein die Parteien in der Verantwortung. Es ist, so meine Überzeugung, die Aufgabe aller weltoffen, liberal und demokratisch eingestellten Menschen, Wege zu finden, wie Bürgerinnen und Bürger aus ihrer frustrierten und die aktuelle Politik fundamental ablehnenden Haltung wieder in die politische Diskussion und in die immer notwendigen politischen Kompromisse eingebunden werden können.
Mit der AFD sind nun sechs Parteien im Bundestag. Was ändert sich jetzt?
Der Ton wird rauer werden im Bundestag, das hat Alexander Gauland am Wahlabend ja sehr schnell bestätigt. Es wird weniger Verständnis dafür vorhanden sein, dass Politik in einer Demokratie immer ein Prozess ist, der mit vielen, manchmal auch sehr unvollkommenen Kompromissen, behaftet ist. Die offensichtlichste Folge ist, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit eine Regierungskonstellation bekommen werden, die auf Bundesebene bis vor kurzem noch als undenkbar galt.