Six questions for biologist Dr. ReisdorffHow stressed are Hamburg's trees?
6 September 2017, by Janine Fricke
Photo: UHH/Schöttmer
Hamburg has about 540 km² of flora and fauna, making it Germany's greenest city. In addition to 600,000 trees in the city's parks, there are about 250,000 trees lining the city center's streets. Biologist Dr. Christoph Reisdorff and his research team are looking at plant adaptability in various environmental conditions. [Read on in German]
Herr Dr. Reisdorff, neben Licht, Wasser und Luft benötigt ein Baum insbesondere Platz zum Wachsen. Dürfte er sich seinen Standort aussuchen, würde er vermutlich nicht den Straßenrand wählen. Warum sind Bäume in der Stadt aber wichtig?
Aus biologischer Sicht sind Bäume wegen ihrer ökologischen Servicefunktionen sehr wertvoll: Sie bieten Lebensraum für Insekten und Vögel, manche Arten filtern Feinstaub und Bäume beeinflussen das Stadtklima – und zwar nicht nur durch den Schatten, den man an heißen Tagen gerne aufsucht. Denn Bäume wirken einer Erhitzung der Stadt auch entgegen, indem sie durch Verdunstung großer Wassermengen sehr viel Wärmeenergie an die Atmosphäre abgeben, die sonst die Straßen und Häuser aufheizen würde.
Um sich eine Größenordnung dieses Effektes vor Augen zu führen: Einem Liter Wasser muss man in einem Wasserkocher sehr viel Hitze zuführen, um diesen Liter komplett zu verdampfen. Nach Messungen unseres Doktoranden Simon Thomsen an rund hundertjährigen Eichen im Hamburger Stadtgebiet gibt ein Baum 150-250 Liter Wasser pro Tag an die Atmosphäre ab. Stellen Sie sich also die Energie von 150-250 Wasserkochern vor, in denen je ein Liter Wasser vollständig verdampft wird – dies verbildlicht die Energiemenge, die ein ausgewachsener Straßenbaum als sogenannte latente Wärme in die Atmosphäre leitet.
Welchen Herausforderungen sind Stadtbäume ausgesetzt und wie sind sie an diese Lebensbedingungen angepasst?
Stadtbäume sind mit Stressoren konfrontiert, die – mit Ausnahme von Streusalz und Schadstoffen – auch am natürlichen Standort auftreten. Insofern verfügen Bäume also grundsätzlich über alle notwendigen Anpassungsmechanismen an die Lebensbedingungen in der Stadt. Das Besondere am Standort Stadt ist aber die Stress-Intensität, die durch die Stärke und das Zusammenwirken der Stressfaktoren höher ist als am naturnahen Standort.
Die meisten dieser Faktoren zeichnen sich dadurch aus, dass sie direkt oder indirekt den Wasserhaushalt negativ beeinträchtigen: Höhere Temperaturen, geringere Luftfeuchte und Wärmestrahlung von Häusern und Straßen führen zu erhöhtem Wasserverlust der Bäume, während gleichzeitig die Wasserversorgung erschwert wird durch Bodenversiegelung, Bodenverdichtung, begrenztem Wurzelraum und durch Baumaßnahmen eingebrachte sandige Substrate.
Die Folge ist, dass nach unseren Erkenntnissen insbesondere Bäume bis zu einem Alter von 40 bis 50 Jahren in der Stadt viel häufiger und stärker unter Trockenheit leiden als vergleichbare Bäume an einem naturnahen Standort. Sind die Bäume aber älter und konnten mit ihrem Wurzelsystem entlegenere Wasserquellen erschließen, so können sie auch im Stadtgebiet längere Trocken- und Hitzeperioden weitgehend schadlos überstehen – das ist die gute Nachricht aus unseren Studien.
Leider erreichen aber immer weniger Stadtbäume ein hohes Alter. Einer der Gründe dafür ist, dass die Entwicklung eines ausreichend tiefen Wurzelsystems im innerstädtischen Straßenraum immer schwerer für die Bäume wird, etwa wegen Tiefbaumaßnahmen, unterirdischen Infrastrukturen, einer immer dichteren und tiefer ins Erdreich vordringenden Bebauung sowie dem Austausch von Erdreich durch Sand.
Stadtbäume sind also besonderen Stressoren ausgesetzt. Aber was versteht man bei Bäumen unter Stress?
Wenn es von einem Umweltfaktor zu viel oder zu wenig gibt – zu viel oder zu wenig Wasser, zu geringe oder zu hohe Temperaturen, zu viel oder zu wenig Nährsalze – , ruft das bei Bäumen zahlreiche Anpassungsreaktionen hervor. Sobald der Stoffwechsel dann von Wachstum und Entwicklung auf den Erhalt der Lebensfunktionen umgestellt wird, sprechen wir von Stress.
Den Stressoren begegnet der Baum mit lebenserhaltenden Stressreaktionen: So werden bei Trockenheit verschiedenste Prozesse aktiviert, welche den Wasserverlust der Zellen verlangsamen, Strukturen gegen Austrocknung schützen oder geschädigte Zellbestandteile reparieren. Die Stressreaktionen kosten Energie und Substanz, die der Baum beide durch Photosynthese heranschafft und unter günstigen Bedingungen im Holzkörper und in den Wurzeln speichert.
Durch diese Speicherung von energiereichen Verbindungen kann ein Baum auch extreme Ausprägungen von Umweltfaktoren längere Zeit überstehen – so lange, bis die Reserven aufgebraucht sind. Ab diesem Punkt kann ein fortdauernder oder ein zusätzlicher Stressor, z.B. ein Krankheitserreger, nicht mehr erfolgreich bekämpft werden. Der Baum kann schließlich die lebensnotwendigen Strukturen und Prozesse nicht mehr aufrechterhalten – er stirbt quasi den Auszehrungstod. Das Sterblichkeitsrisiko eines Baumes steigt also mit der Stärke, Dauer und der Anzahl der einwirkenden Stressoren.
Der Klimawandel wird die Lebensbedingungen der Stadtbäume weiterhin erschweren. Welche Auswirkungen sind zu erwarten?
Neben den generell erhöhten Temperaturen rechnet man für die Metropolregion Hamburg zwar mit kaum veränderten Jahresniederschlagsmengen, aber mit einer veränderten Niederschlagsverteilung. Bisherige Modelle errechnen eine Reduktion der Sommerniederschläge um bis zu 20 %. Außerdem wird prognostiziert, dass ein größerer Anteil dieser Niederschläge wohl als Starkregen fallen wird, was bedeutet, dass mehr Regenasser oberflächlich abfließt und weniger Wasser versickert.
Für Stadtbäume bedeuten die höheren Lufttemperaturen einen höheren Wasserverlust, während gleichzeitig die reduzierten Sommerniederschläge und der vermehrte Starkregen die Verfügbarkeit von Bodenwasser verschlechtern. Wir gehen daher davon aus, dass sich der angespannte Wasserhaushalt vieler Bäume zuspitzt und vielerorts das Sterblichkeitsrisiko steigt.
Welche Baumarten werden diesem steigenden Stress am besten trotzen?
Glücklicherweise sind in Hamburg die Standorte im Hinblick auf die Wasserverfügbarkeit sehr unterschiedlich, so dass wir nicht mit einem Massensterben der einen oder anderen Art rechnen. An kritischeren Standorten mit hohem Versiegelungsgrad oder sandigen Substraten werden allerdings solche Baumarten eine bessere Überlebenschance haben, die sich durch zwei Attribute auszeichnen: Sie sind pessimistisch und proaktiv. Das heißt, sie reagieren bei Verknappung des Bodenwassers vergleichsweise früh mit einem verringerten Wasserverbrauch (pessimistisch) und sie betonen das Wurzelwachstum auch bei guter Wasserversorgung (proaktiv).
Als Projektpartner des Drittmittelprojekts „Stadtbäume im Klimawandel“ (SiK) sind Sie aktuell an der Entwicklung eines Konzepts zur Anpassung des Hamburger Baumbestandes an den Klimawandel beteiligt. Welche Maßnahmen leiten Sie aus Ihren Arbeitsergebnissen für den Erhalt aktueller Baumbestände und für Neupflanzungen ab?
In dem Projekt arbeiten wir zum Beispiel an einer Zukunftsbaumliste: Darin werden sowohl für neue als auch für bewährte Baumsorten Eignungskriterien zusammengetragen, die auf wissenschaftlichen Untersuchungen, Straßenbaumtests und Erfahrungswerten von Baumschulen oder Baumpflegern beruhen.
Der Beitrag unserer Arbeitsgruppe besteht unter anderem darin, die Stressreaktionstypen der verschiedenen Baumarten zu bewerten. Zu diesem Zweck führen wir Feldversuche an Jungbäumen sowie Untersuchungen an jungen und alten Straßenbäumen und an Stammscheiben gefällter Straßenbäume durch. Unser Ziel ist es, bei Neupflanzungen anhand von Standortparametern die voraussichtliche Stress-Last einschätzen zu können – und für diesen Standort die aus physiologischer Sicht am besten geeigneten Baumarten zu wählen.
Insgesamt sind wir in dem Projekt in der glücklichen Lage, durch die Beteiligung mehrerer Institutionen, also dem Institut für Bodenkunde der Universität Hamburg, der Abteilung Umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung der HafenCity Universität Hamburg und dem Hamburger Baum-Management der Behörde für Umwelt und Energie, gemeinsam aus vielen Blickwinkeln auf die Zukunft der Stadtbäume schauen zu können.