11. September 2023
Rund 1,2 Millionen Euro für NachwuchsforschendeNeue Emmy Noether-Gruppe in den Geisteswissenschaften
Foto: privat
Mit dem Projekt „Emancipatio Rabbinica: Die Stellung der rabbinischen Literatur in den Debatten über den Status der Juden in der Moderne (1600–1900) im italienischen, deutschen und osteuropäischen Kontext“ soll erstmalig ein umfassendes Corpus von Texten aus dem italienischen, deutschen und osteuropäischen Kulturraum vom Beginn des 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zusammengetragen und zusammenhängend untersucht werden.
Das Projekt wird sich mit Fragen zur spezifischen Prägung zeitgenössischer Diskurse über Religion, zu Rahmenbedingungen des jüdisch-christlichen Verhältnisses sowie zur christlichen Wahrnehmung von Juden und Judentum befassen. Insbesondere werden Angriffs- bzw. Verteidigungsstrategien erforscht, die den Talmud als rabbinische Traditionsschrift mit dem Judentum gleichsetzen. Das Forschungsprojekt wird somit theologische und politische Narrative herausarbeiten, die tief in der Emanzipationsgeschichte des europäischen Judentums und in das zeitgenössische Verständnis Europas selbst eingebettet sind.
Der Talmud stellt eine der wesentlichen Quellen der jüdischen Traditionsliteratur dar. Er enthält die Kommentare und Erklärungen der rabbinischen Gelehrten des 3. bis 5. Jahrhunderts zur jüdischen Gesetzgebung, deren Grundlagen zuvor von den Gelehrtengenerationen des 1. und 2. Jahrhunderts etabliert wurden. „Unabhängig davon, ob sich jemand für die bürgerliche und soziale Gleichstellung von Juden einsetzte oder diese bekämpfen wollte, stellte der Talmud die maßgebliche Quelle dar, auf die man sich berief“, sagt Juniorprofessor Dr. Ze’ev Strauss. Entweder sei der Talmud als Quelle der ethischen und kulturellen Stärke des jüdischen Volkes aufgefasst oder als Ursache für das über sie kommende Unheil verunglimpft worden. „Trotz der weitreichenden transkulturellen und länderübergreifenden Implikationen ist die herausragende Bedeutung der rabbinischen Traditionsliteratur für die Debatten, mit denen wir uns in unserem Projekt beschäftigen, bislang noch nicht in umfassender Weise erforscht worden“, so Strauss.
Drei Ziele stehen im Fokus des Projektes: „Zum einen sollen mithilfe jüdischer wie christlicher Beurteilungen des rabbinischen Judentums die Auseinandersetzungen um die Ausstattung der Juden mit bürgerlichen und politischen Rechten in der europäischen Neuzeit neu konzeptualisiert werden“, erläutert Strauss. Zum anderen wollen die Nachwuchsforschenden aber auch neue Aspekte der Entwicklung des modernen Antisemitismus herausarbeiten, etwa die Beförderung des Antisemitismus durch das sich rasant entwickelnde Phänomen der über Druckerzeugnisse hergestellten breiten Öffentlichkeit. „Und schließlich“, so Strauss, „wollen wir die Erfahrungen religiöser und ethnischer Minderheiten und ihre Integration im neuzeitlichen Europa besser nachvollziehbar machen.“
Das Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft gibt herausragend qualifizierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit, sich durch die eigenverantwortliche Leitung einer Nachwuchsgruppe über einen Zeitraum von sechs Jahren für eine Hochschulprofessur zu qualifizieren. Die Gesamtfördersumme von 1,2 Millionen Euro für das Projekt von Prof. Strauss beinhaltet auch eine Programmpauschale.