4. September 2023
1,5 Millionen Euro für das Forschungsprojekt „Morethanmoney“Wie wichtig sind Flexibilität und Sinnhaftigkeit für den Arbeitsmarkt?
Foto: UHH/Esfandiari
Nicht nur durch die Corona-Pandemie hat sich der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren stark verändert, sondern auch durch neue digitale Technologien oder den zunehmenden Fachkräftemangel. Eine Folge dieser Veränderungen ist, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber im Wettbewerb um qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber neben dem Gehalt weitere Anreize für Arbeitnehmende schaffen müssen. Im Rahmen ihres Forschungsprojekts „Morethanmoney“ möchte Prof. Dr. Iris Kesternich daher die Bedeutung von Flexibilität und Sinnhaftigkeit der Arbeit für den Arbeitsmarkt untersuchen.
„Vor allem Frauen geben in Umfragen an, dass ihnen Sinnhaftigkeit und Flexibilität wichtig sind. Sie sind außerdem eher dazu bereit, für diese Vorteile auf Lohn zu verzichten als Männer. Das könnte auch eine Erklärung für den noch immer bestehenden Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen sein“, erklärt Kesternich, die an der Universität Hamburg eine Nucleusprofessur im Rahmen der Exzellenzstrategie innehat. Besonders wichtig ist hier die Familienperspektive, denn der Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten und Teleworking ist besonders wichtig für Frauen mit Kindern. In einem ersten Projekt untersucht Iris Kesternich, wie sich Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt auf das Arbeitsangebot von Müttern und Vätern, auf die Zeit, die sie mit ihren Kindern verbringen, sowie auf das Machtgefüge innerhalb der Familie auswirkt. „Momentan wird politisch viel darüber diskutiert, dass man Frauen mehr Flexibilität geben sollte – aber was wäre, wenn sie aufgrund des damit verbundenen niedrigeren Einkommens zu Hause weniger Verhandlungsmacht haben? Das könnte eine ungewollte Folge von solchen politischen Entscheidungen sein“, sagt Kesternich.
In einem zweiten Unterprojekt wird sie zwei bisher unabhängigen Forschungsperspektiven in einem Modell verbinden: die arbeitsökonomische Perspektive „Flexibilität“ und die verhaltenswissenschaftliche Perspektive „Meaning of Work“. Berufe mit hoher Bedeutung für die Gesellschaft, etwa in der Erziehung und Pflege, sind traditionell weibliche Berufe. Sie sind aber oft gerade Berufe mit niedriger Flexibilität – eine Lehrerin oder Krankenschwester kann nicht einfach später zur Arbeit kommen, wenn ihr Kind krank ist. Anhand neuer Daten möchte sie ihre Annahme prüfen, dass die Wahl von „high-meaning“-Berufen Frauen in der Flexibilität einschränkt, wenn sie diese am meisten benötigen, zum Beispiel, wenn sie kleine Kinder haben.
In einem dritten Teilprojekt analysiert sie schließlich die langfristigen Auswirkungen der Berufswahl von Männern und Frauen. „Es werden zwar oftmals die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern untersucht, nicht aber die Pensions- und Rentenunterschiede. Diese sind aber in fast allen Ländern viel größer als die Lohnunterschiede“, erklärt Kesternich. Um das zu ändern, wird sie Daten zu Abwägungen zwischen Löhnen und Flexibilität sammeln, um deren Auswirkungen auf die Ruhestandsentscheidungen im Laufe des Arbeitslebens abschätzen zu können.
Wenn sich die Annahme bewahrheitet, dass sich Frauen tatsächlich eher für Berufe entscheiden, die flexibler, aber geringer entlohnt sind, könnte dies die Geschlechterdifferenz beim Ruhestandseinkommen erklären. „Sofern sich nur der Lohn im Renteneinkommen niederschlägt und keine nichtmonetären Faktoren greifen, sollten Frauen die Auswirkungen ihrer Entscheidungen im Hinblick auf ihr Einkommen im Alter eventuell noch stärker berücksichtigen.“
Für diese langfristigen Untersuchungen erhält die Professorin für Volkswirtschaft mit dem Schwerpunkt empirische Gesundheitsökonomie über fünf Jahre 1,5 Millionen Euro Förderung.
ERC Consolidator Grant
Der ERC Consolidator Grant ist eine der höchstdotierten Fördermaßnahmen der EU. Der Europäische Forschungsrat fördert dabei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren Promotion sieben bis zwölf Jahre her ist und die kürzlich eine herausragende Arbeitsgruppe gegründet haben. Die Projektlaufzeit beträgt fünf Jahre und soll zur Unabhängigkeit exzellenter Forschenden und ihrer Arbeitsgruppen beitragen.