2. Juni 2022
Hip-Hop profitiert, Klassik verliertStudie stellt aktuelles Vergütungsmodell von Musikstreamingdiensten infrage
Foto: pixabay/cegoh
Aktuell wird das Geld, das Streamingdienste wie Spotify über Nutzungsgebühren oder Werbung einnehmen, mit dem sogenannten Pro-Rata-Modell an die Rechteinhaberinnen und -inhaber verteilt. Das bedeutet, dass alle Einnahmen zusammengefasst und auf der Grundlage des Anteils an den gesamten Abrufen einem Künstler bzw. einer Künstlerin zugewiesen werden. Das führt dazu, dass Nutzerinnen und Nutzer auch für Musik zahlen könnten, die sie nicht hören.
„Da der Anteil an den Gesamtstreams für die gezahlten Gelder verantwortlich ist, profitieren vor allem Genres mit kurzen Songs, die von einem Segment von Nutzenden mit langer Hördauer und wenig Budget gehört werden“, erklärt Studienleiter Prof. Dr. Michel Clement von der Fakultät für Betriebswirtschaft der Universität Hamburg.
Im Fokus der Studie, die in Kooperation der Universität Hamburg und der Kühne Logistics University durchgeführt wurde, stand vor allem der Vergleich des Pro-Rata-Modells mit einem alternativen, nutzerzentrierten Modell (user-centric). Hier werden die Einnahmen jedes Nutzers bzw. jeder Nutzerin den Künstlerinnen und Künstlern zugewiesen, die er oder sie in einem bestimmten Monat gehört hat – also auf der Grundlage der individuellen Nutzung.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werteten dafür Daten aus einer Online-Panel-Befragung unter der deutschen Bevölkerung aus. Sie umfasste unter anderem individuelle Angaben zur Nutzungsdauer von Streamingdiensten, zu den gegebenenfalls gezahlten Abo-Kosten sowie zu den gehörten Genres. Die Daten wurden mit den verfügbaren Informationen der Streamingdienste, zum Beispiel zu den meistgehörten Künstlerinnen und Künstlern sowie deren erfolgreichsten Songs, verknüpft.
Mithilfe speziell entwickelter Formeln verteilten die Forschenden die errechneten Einnahmen über die beiden verschiedenen Modelle – und konnten so eine aktuelle Benachteiligung mehrerer Genres bestätigen. Verglichen mit den Erlöszahlen, die aus dem nutzerzentrierten Modell zu erwarten wären, berechneten sie für das aktuelle Pro-Rata-Modell eine Benachteiligung des Genres Rock von 66 Millionen Euro pro Jahr und der Klassik von 30 Millionen Euro. Zugleich wurden vor allem deutscher und internationaler Hip-Hop mit 109 Millionen Euro subventioniert.
„Einige Genres – insbesondere Jazz, Blues und Metal – haben im Durchschnitt eine längere Songlänge, generieren weniger Streams in einem bestimmten Zeitraum und sind daher bei der Ausschüttung benachteiligt. Gleichzeitig werden Pop, Hip-Hop oder elektronische Tanzmusik durch eine kürzere Songlänge begünstigt“, ergänzt Clement. In diesem Zusammenhang stellten die Forschenden auch fest, dass sich die Songlänge in den vergangenen zehn Jahren in fast allen Genres bereits verringert hat.
Die Autorinnen und Autoren regen an, das Ausschüttungsmodell im Musikstreaming offen zu diskutieren, um vor allem Nischengenres sowie lokale Künstlerinnen und Künstler zu fördern – und dadurch eine vielfältigere und lebendigere Musiklandschaft zu schaffen.
Originalpublikation:
Meyn, Janek, Michael Kandziora, Sönke Albers, and Michel Clement (2022): Consequences of Platforms' Remuneration Models for Digital Content: Initial Evidence and a Research Agenda for Streaming Services. Journal of the Academy of Marketing Science. https://doi.org/10.1007/s11747-022-00875-6