3. Juni 2021
Studie zur Erwärmung von Seen durch KlimawandelSinkender Sauerstoffgehalt bedroht Artenvielfalt und Trinkwasserqualität
Foto: UHH/Navarra
Sauerstoff ist das Stützsystem für aquatische Nahrungsnetze – geht er verloren, steigt die Wahrscheinlichkeit für den Artenverlust. Die nun in Nature veröffentlichten Forschungsergebnisse zeigen, dass der Sauerstoffgehalt in untersuchten Seen der gemäßigten Zone seit dem Jahr 1980 um 5,5 Prozent an der Oberfläche und um 18,6 Prozent in der Tiefe von Gewässern gesunken ist. Seen verlieren damit 2,75 bis 9,3 Mal schneller Sauerstoff als die Ozeane, ein Rückgang, der Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem hat.
Die Forscherinnen und Forscher analysierten insgesamt mehr als 45.000 Vertikalprofile von Wassertemperatur und darin gelöstem Sauerstoff, die zwischen 1941 und 2017 von fast 400 Seen weltweit gesammelt worden waren. Die meisten Langzeitaufzeichnungen wurden in der gemäßigten Zone gesammelt, die sich von 23 bis 66 Grad nördlicher und südlicher Breite erstreckt. Neben der Artenvielfalt beeinflusst die Konzentration von gelöstem Sauerstoff in aquatischen Ökosystemen auch Treibhausgasemissionen, die Biogeochemie von Nährstoffen und letztendlich die menschliche Gesundheit.
Der Klimawandel beeinflusst durch verschiedene Prozesse den Sauerstoffhaushalt der Seen, wobei sich der Einfluss auf das Oberflächenwasser entschieden von dem auf das Tiefenwasser unterscheidet. Die sogenannte Deoxygenierung der Oberflächengewässer wurde hauptsächlich durch den direktesten Weg angetrieben: die Physik. Während die Temperatur des Oberflächenwassers in den letzten 40 Jahren um 0,39 Grad Celsius pro Jahrzehnt anstieg, sank die Konzentration von gelöstem Sauerstoff im Oberflächenwasser um 0,11 Milligramm pro Liter pro Jahrzehnt. Der Grund: Die Sauerstoffsättigung, also die Menge an Sauerstoff, die das Wasser aufnehmen kann, sinkt, wenn die Temperatur steigt.
Aber auch im Tiefenwasser wurden schwindende Sauerstoffkonzentrationen festgestellt, obwohl sich die Wassertemperatur dort nicht signifikant änderte. Sie spiegeln somit nicht nur einen drastischen Abfall in der Sauerstoffsättigung wider, sondern auch die Ursachen für den Sauerstoffschwund unterscheiden sich vom Oberflächenwasser. Durch die Klimaänderung verlängert sich die Zeit, in der der See geschichtet ist und somit von dem Sauerstoffvorrat an der Oberfläche oder der Atmosphäre abgeschnitten ist. Aber auch die Landnutzung im Einzugsgebiet, und da vor allem der Nährstoffeintrag, haben entscheidenden Einfluss auf den Sauerstoffschwund in der Tiefe von Seen.
Übereinstimmend mit diesem Wirkmechanismus erklärt sich dann auch ein auf den ersten Blick paradoxes Phänomen, das für 87 Seen in der Studie nachgewiesen wurde: „Diese Seen mit einer sommerlichen Sichttiefe von unter zwei Metern wiesen steigende Sauerstoffkonzentrationen im Oberflächenwasser trotz dort steigender Temperaturen auf. Der Grund ist, dass durch nährstoffreiche Einträge aus landwirtschaftlichen und bebauten Wassereinzugsgebieten das Phytoplankton Wachstum und damit auch die Sauerstoffproduktion angeregt wird. Und auch hier spielt die Klimaerwärmung eine Rolle, denn dies ist bei Temperaturen über 24 Grad Celsius der überragende Effekt, wie die Studie zeigt“, sagt PD Dr. Dörthe Müller-Navarra, Arbeitsgruppenleiterin der Aquatischen Ökologie am Fachbereich Biologie der Universität Hamburg und Mitautorin der Studie.
Die so vermehrt produzierte Biomasse sinkt dann in die Tiefe der Seen und verursacht dort einen vermehrten Sauerstoffschwund. Aber nicht nur das: es sind vor allem Cyanobakterien (Blaualgen genannt), darunter auch viele toxische, die unter diesen Bedingungen sogenannte Wasserblüten bilden können, ein immenses Problem für die Trinkwasseraufbereitung.
Die Sauerstoffkonzentration reguliert auch viele andere Aspekte der Wasserqualität. Wenn der Sauerstoffgehalt verschwindet, gedeihen Bakterien wie z. B. solche, die das starke Treibhausgas Methan produzieren. Deshalb deutet die Deoxygenierung in der Tiefe darauf hin, dass Seen als Folge des Sauerstoffverlusts möglicherweise größere Mengen an Methan in die Atmosphäre abgeben könnten. Darüber hinaus setzen Sedimente unter sauerstoffarmen Bedingungen mehr von dem Nährstoff Phosphat frei, was die ohnehin schon gestressten Gewässer zusätzlich intern düngt.
Obwohl Süßgewässer nur etwa drei Prozent der Landoberfläche der Erde ausmachen, sind sie weit überproportional für die Biodiversität des Planeten verantwortlich. So kommen in diesem Zehntausendstel des Wasservolumens unserer Erde rund zwölf Prozent aller Arten vor, die aber auch am stärksten gefährdet sind. „Außerdem sind Seen Indikatoren für Umweltveränderungen und potenzielle Bedrohungen der Umwelt, weil sie auf Signale aus der umgebenden Landschaft und Atmosphäre reagieren. Wir haben festgestellt, dass sich diese unverhältnismäßig artenreicheren Systeme schnell verändern, was darauf hindeutet, in welchem Ausmaß sich die laufenden atmosphärischen Veränderungen bereits auf die Ökosysteme ausgewirkt haben", sagt Stephen F. Jane, Hauptautor der Studie vom Rensselaer Polytechnic Institut im US-amerikanischen Bundesstaat New York.
Die internationale Studie ist Teil der GLEON-Initiative (Global Lake Ecological Observatory Network). An dieser Studie waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Belgien, Deutschland, England, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Japan, Kanada, Neuseeland, Österreich, Polen, Russland, Schweden, der Schweiz und den Vereinigten Staaten beteiligt.
Originalpublikation:
Jane, S.F., Hansen, G.J.A., Kraemer, B.M. et al. Widespread deoxygenation of temperate lakes. Nature 594, 66–70 (2021). https://doi.org/10.1038/s41586-021-03550-y