19. Oktober 2016
Studie der Universität Hamburg zeigt:Reform des EU-Emissionshandels ist kontraproduktiv
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Das Parlament der Europäischen Union (EU) hat im vergangenen Jahr eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen den Klimawandel verschärft und eine Reform des Treibhausgas-Emissionshandels (Emissions Trading System/ETS) beschlossen. Dass und warum diese Reform ihr Ziel verfehlt, berichten Prof. Dr. Grischa Perino und Maximilian Willner vom Fachbereich Sozialökonomie der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg in einem aktuellen Beitrag der Fachzeitschrift „Journal of Environmental Economics and Management“.
Mit höheren Preisen für Emissionsrechte soll die europäische Industrie zu mehr Klimaschutz angeregt werden. Das EU-ETS wurde 2005 eingeführt und erfasst europaweit mehr als 10.000 Anlagen der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie sowie alle innereuropäischen Flüge. Zentraler Bestandteil ist eine Höchstmenge an zulässigen Emissionen, die vorgibt, wie viele Zertifikate ausgegeben werden. Die Betreiber der Anlagen müssen für z. B. jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxid (CO2) ein Zertifikat kaufen. Am Jahresende muss jedes Unternehmen die Zertifikate für seine gesamten Emissionen vorweisen, sonst drohen Strafzahlungen. Hat ein Unternehmen seine Emissionen reduziert, so kann es die Zertifikate, die es nicht benötigt, an andere teilnehmende Unternehmen verkaufen oder für die Zukunft sparen. Derzeit gibt es, unter anderem wegen geringer Nachfrage aufgrund der Wirtschaftskrise, einen Überschuss an Zertifikaten. Emissionsrechte sind daher mit knapp 6 Euro pro Tonne CO2 aktuell sehr billig. Das reduziert den Anreiz für Investitionen in klimafreundliche Technologien.
Ziel der ab 2019 wirksamen Reform des EU-ETS ist es deshalb, Anreize für emissionsreduzierende Innovationen zu geben, eine geringere Anfälligkeit gegenüber konjunkturellen Schwankungen sicherzustellen und mehr Synergien mit anderen klimapolitischen Maßnahmen zu erzeugen. Kern der Reform ist die Marktstabilitätsreserve (MSR): Überschreitet der Überschuss eine bestimmte Menge, werden Zertifikate vom Markt genommen. Die Verknappung soll zu steigenden Preisen führen. Mit der durch die MSR sinkenden Menge an neu ausgegebenen Emissionsrechten soll der Überschuss von derzeit knapp 1,8 Milliarden Emissionsrechten schneller abgebaut werden, als dies sonst der Fall wäre. Insgesamt ist die MSR emissionsneutral, d. h. langfristig ändert sich die Menge der ausgegebenen Emissionsrechte nicht, da in Zeiten geringer Überschüsse die vormals einbehaltenen Rechte auf den Markt zurückgebracht werden.
In ihrer Studie zeigen die Hamburger Umweltökonomen durch Modellrechnungen, dass die MSR zwar für einige Jahre zu geringfügig höheren Preisen führt, mittelfristig wird das Preisniveau jedoch deutlich niedriger sein. Die MSR erhöht durch den Entzug von Zertifikaten kurzfristig die Knappheit auf dem Markt, wodurch der Preis erst einmal steigt. Wenn die einbehaltenen Emissionsrechte aber mittelfristig wieder zur Verfügung gestellt werden, dann ist die Knappheit geringer als ohne MSR und der Preis damit niedriger. „Klimafreundliche Investitionen mit langen Planungs- und Amortisationszeiten werden damit weniger attraktiv“ so Prof. Perino. Die Studie ergab zudem: Solange noch ein Überschuss im EU-ETS besteht, wird die MSR die durch konjunkturelle Schwankungen und andere Ursachen ausgelösten Preisreaktionen auf dem Markt für Emissionsrechte nicht verringern, sondern aufgrund der zeitweiligen Verknappung verstärken. Da Emissionsrechte kurzfristig knapper werden, wirken sich Änderungen in der Nachfrage stärker auf die Preise aus. Das erhöht die Planungsunsicherheit für die beteiligten Unternehmen und macht Investitionen riskanter. Mehr Synergien mit anderen klimapolitischen Maßnahmen seien ebenfalls nicht erkennbar, so Prof. Perino: „Da die Gesamtmenge an Emissionsrechten langfristig unverändert bleibt, ist weiterhin fraglich, inwieweit die Energiewende tatsächlich die Treibhausgasemissionen in der EU reduziert“.