5. Juni 2014
Die Folgen der Ökonomisierung in Industrieländern –1,5 Millionen Euro von der DFG für neues Forschungsprogramm der Soziologie
Foto: Paul Aeneas/flickr.de
Unsere Gesellschaft ist seit Jahrzehnten starken Veränderungen ausgesetzt: Die Finanzmärkte wirken immer unkontrollierbarer, und immer mehr gesellschaftliche Aufgaben, wie die Pflege älterer Menschen, scheinen zur Ware zu werden. Diese Veränderungen und ihre gesellschaftlichen Folgen sind Gegenstand des neuen Forschungsprogramms „Ökonomisierung und Inkomplementaritäten in institutionellen Konstellationen“ (OIKON). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben, das von Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger, Professorin für Sozialstrukturanalyse an der Universität Hamburg, geleitet wird, mit knapp 1.5 Millionen Euro. Es umfasst vier Forschungsprojekte. Drei Projekte werden an der Universität Hamburg umgesetzt und erhalten mehr als eine Million Euro. Das vierte Projekt wird an der Universität Leipzig realisiert. OIKON hat eine Laufzeit von drei Jahren.
Die Soziologinnen und Soziologen, Prof. Dr. Jürgen Beyer, Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger, Prof. Dr. Holger Lengfeld und PD Dr. Konstanze Senge werden den Wandel der Industriegesellschaften seit den frühen 1990er Jahren untersuchen. Dabei geht es um eine Entwicklung, die als Ökonomisierung dieser Gesellschaften bezeichnet wird. Das bedeutet, dass diese Gesellschaften immer stärker nach ökonomischen Prinzipien funktionieren. In der Sozialpolitik wurden öffentliche Aufgaben wie die Rentenversicherung und die Pflege älterer Menschen zunehmend auf private Anbieter ausgelagert. Das Wirtschaftsleben wurde dadurch geprägt, dass der Handel mit Finanzprodukten zugenommen hat und den Handel mit Gütern und Dienstleistungen teilweise verdrängt hat. Im Arbeitsleben hat sich mehr und mehr der Wettbewerbsgedanke durchgesetzt und das Prinzip der Kooperation verdrängt.
Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die Stärkung von Marktprinzipien zur Verschärfung sozialer Ungleichheiten in den Industriegesellschaften beigetragen hat. Sie wollen deshalb der Frage nachgehen, wie die zuständigen Akteurinnen und Akteure mit den sozialen Folgen umgehen und inwieweit es gegenläufige Trends zur Vermarktlichung gibt.
Prof. Dr. Jürgen Beyer erforscht zum Beispiel, wie die Entwicklung zum Finanzmarkt-Kapitalismus die Wirtschaften der Industrieländer verändert und wie sich der Wandel auf die industriellen Beziehungen, die Aus- und Weiterbildungssysteme sowie die unternehmensübergreifenden Kooperationen ausgewirkt hat.
Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger untersucht, wie sich die Situation in der Pflege älterer Menschen in europäischen Gesellschaften dadurch verändert hat, dass Pflegemärkte eingeführt wurden, auf denen die Seniorinnen und Senioren als Konsumenten auftreten und mit Geldern aus der Pflegeversicherung Pflege-Dienstleistungen einkaufen sollen. Auch die Rolle pflegender Familienangehöriger, die mit ihren Leistungen auf dem Pflegemarkt mit den Pflegediensten konkurrieren, sowie die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf das Familiengefüge werden beleuchtet.
PD Dr. Konstanze Senge und Prof. Dr. Jürgen Beyer beschäftigen sich darüber hinaus mit der Rolle der großen Aktiengesellschaften. Von ihnen wird einerseits mehr und mehr erwartet, dass sie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, etwa im Bereich der Umwelt und in der Gleichstellung von Frauen. Sie verpflichten sich deshalb im Allgemeinen freiwillig dazu, solche Maßnahmen durchzuführen, die als „Corporate Social Responsibility“ bezeichnet werden. Andererseits sind infolge der Stärkung der Finanzmärkte aber auch die Anforderungen an eine kurzfristige Gewinnsteigerung gewachsen. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, wie die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in diesen Unternehmen mit dem Widerspruch umgehen.
Das vierte Forschungsprojekt wird von Prof. Dr. Holger Lengfeld betreut, der mittlerweile an der Universität Leipzig tätig ist. Er geht der Frage nach, inwieweit die schon in vielen Studien dokumentierte Verunsicherung der Mittelschicht auf die Vermarktlichung zurückzuführen ist.
Für Rückfragen:
Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger
Universität Hamburg
Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Tel.: 040.42838-3810
E-Mail: Birgit.Pfau-Effinger"AT"wiso.uni-hamburg.de