30. November 2012
Strukturbiologen entschlüsseln Bauplan für mögliches Mittel gegen Schlafkrankheit
Mit dem weltstärksten Röntgenlaser haben Forscher eine mögliche Schwachstelle des Erregers der Schlafkrankheit entdeckt. Die detaillierte Analyse liefert den Bauplan für ein potenzielles Mittel gegen den Parasiten Trypanosoma brucei, der mehr als 60 Millionen Menschen vor allem im südlichen Afrika bedroht. Mit einem maßgeschneiderten molekularen Stöpsel ließe sich demnach ein lebenswichtiges Enzym des Parasiten blockieren, schreibt das Team um die Wissenschaftler Prof. Christian Betzel von der Universität Hamburg, Dr. Lars Redecke von der Nachwuchsgruppe „Strukturelle Infektionsbiologie unter Anwendung neuer Strahlungsquellen (SIAS)“ der Universitäten Hamburg und Lübeck und DESY-Forscher Prof. Henry Chapman vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL), im Fachjournal „Science“.
Die Wissenschaftler hatten das Enzym Cathepsin B des Parasiten in kristallisierter Form mit intensiven Röntgenblitzen analysiert. „Das Enzym hatte sich in früheren Untersuchungen als vielversprechender Ansatzpunkt für ein Medikament erwiesen", erläutert Redecke, einer der beiden Hauptautoren der „Science"-Studie. „Das Ausschalten des Enzyms im Parasiten konnte bei Mäusen die Infektion heilen."
Dasselbe Enzym kommt auch beim Menschen und sogar bei allen Säugetieren vor. Blockiert man es unspezifisch, kann das für den Patienten gravierende Konsequenzen haben. Mit ihrer Röntgenuntersuchung haben die Forscher nun jedoch charakteristische Unterschiede in der molekularen Struktur des Enzyms zwischen Mensch und Parasit gefunden. „Damit eröffnet sich grundsätzlich die Chance, mit einem maßgeschneiderten Molekül gezielt das Enzym des Parasiten zu blockieren, es aber beim Patienten intakt zu lassen", erläutert der andere Hauptautor der "Science"-Studie, Karol Nass, Doktorand an der Hamburg School for Structure and Dynamics in Infection (SDI), die von der Hamburger Landesexzellenzinitiative (LEXI) gefördert wird. Trotz dieses vielversprechenden Ansatzes sei ein mögliches neues Medikament allerdings noch sehr weit entfernt, betonen die Wissenschaftler.
Die Schlafkrankheit, wissenschaftlich als Humane Afrikanische Trypanosomiasis (HAT) bezeichnet, wird durch den Biss der Tsetse-Fliege übertragen. Die Trypanosomen verschanzen sich im zentralen Nervensystem, und ohne Behandlung verläuft die Infektion normalerweise tödlich. Die Krankheit kommt in 36 afrikanischen Ländern südlich der Sahara vor und gefährdet vor allem die arme Landbevölkerung. In den vergangenen Jahren wurde der Kampf gegen die Krankheit unter Federführung der Weltgesundheitsorganisation WHO deutlich verstärkt, wodurch die Fallzahlen drastisch gesunken sind. Dennoch sind nach wie vor Millionen Menschen gefährdet.
Die Schlafkrankheit wird mit Anti-Parasiten-Medikamenten behandelt, die allerdings ohne genaue Kenntnis der biochemischen Zusammenhänge entwickelt wurden und daher weniger zuverlässig und sicher seien als wünschenswert, unterstreichen die Wissenschaftler. Außerdem würden immer mehr Parasiten widerstandsfähig gegen die Mittel. Neue Wirkstoffe, die gezielt die Parasiten töten ohne den Organismus des Patienten zu beeinträchtigen, wären daher von großem Nutzen.
Dem Forscherteam gehörten Wissenschaftler von DESY, den Universitäten Hamburg, Lübeck, Tübingen, Uppsala und Göteborg sowie der Arizona State University, dem US-Beschleunigerzentrum SLAC, dem Lawrence Livermore National Laboratory (USA), dem Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg und der Max Planck Advanced Study Group am Hamburger Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) an. Das CFEL ist eine Kooperation von DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg.
Das Experiment wurde mit intensiven Röntgenblitzen eines Freien-Elektronen-Lasers am Forschungszentrum SLAC in Kalifornien durchgeführt. Ein ähnlicher Röntgenlaser, der XFEL, wird in Hamburg am DESY derzeit konstruiert und soll 2015 in Betrieb gehen.
Originalveröffentlichung: "Natively inhibited Trypanosoma brucei cathepsin B structure determined using an x-ray laser"; Lars Redecke, Karol Nass et al.; "Science", 2012 (advance online publication); DOI: 10.1126/science.1229663
Weitere Informationen unter: www.desy.de/presse
Für Rückfragen:
Prof. Dr. Christian Betzel
Universität Hamburg
Laboratorium für Strukturbiologie von Infektionen und Entzündungen
Tel.: 040.8998-4744
E-Mail: Christian.Betzel"AT"uni-hamburg.de
Dr. Lars Redecke
Universität Hamburg und Universität zu Lübeck
Gemeinsame Nachwuchsgruppe "Strukturelle Infektionsbiologie
unter Anwendung neuartiger Strahlungsquellen (SIAS)"
Tel.: 040.8998-5389
E-Mail: Lars.Redecke"AT"chemie.uni-hamburg.de