22. April 2010
Verlegung von zehn \"Stolpersteinen\" an der Hamburger Universität
Heute, am 22. April 2010, sind im Rahmen einer Feierstunde zehn „Stolpersteine“ auf dem Bürgersteig vor dem Hauptgebäude der Universität Hamburg, Edmund-Siemers-Allee 1, verlegt worden. Sie sollen an ehemalige Mitglieder der Universität erinnern, die in den Jahren 1933 bis 1945 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder ihrer politischen Aktivitäten Opfer des Nationalsozialismus wurden. Gedacht wurde Dr. Ernst DELBANCO, Hedwig KLEIN, Prof. Dr. Agathe LASCH, Prof. Dr. Gerhard LASSAR, Dr. Martha MUCHOW, Prof. Dr. Kurt PERELS, Hans Konrad LEIPELT, Reinhold MEYER, Margarethe ROTHE, Friedrich GEUSSENHAINER. Unter den 10 Stolpersteinen vor dem Hauptgebäude der Universität befindet sich der dreitausendste in Hamburg insgesamt verlegte Stein.
Die Feierstunde war eine gemeinsame Veranstaltung des Projekts „Stolpersteine in Hamburg“ und der Universität Hamburg. Vor den zahlreich erschienenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität, Schulklassen und anderen Interessierten sprachen Peter HESS, Projekt „Stolpersteine in Hamburg“, Ole von BEUST, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Maria JEPSEN, Bischöfin der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche , und Schirmherrin des Projekts „Stolpersteine in Hamburg“, Dieter LENZEN , Präsident der Universität Hamburg, Séverin PABSCH, Vorstand des Allgemeinen Studierendenausschusses sowie Gunter DEMNIG, Künstler und Initiator der „Stolpersteine“.
Prof. Dr. Dieter LENZEN, Präsident der Universität Hamburg:
„Mit den Stolpersteinen gehen wir eine Verpflichtung ein zum Innehalten. Dieser Verpflichtung folgen wir seit den 80er Jahren durch Forschungsprojekte, Veröffentlichungen oder auch der Namensgebung von Hörsälen, in denen die jüdischen Gelehrten unterrichteten. Wir werden weitergehen auf diesem Weg der bekennenden Erinnerung, der zu einer verantwortungsbewussten, aufgeklärten Universität der Nachhaltigkeit gehört. Denn Nachhaltigkeit, das heißt auch Zukunft im Bewusstsein einer Vergangenheit.“
Ole von BEUST, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg:
„Die Stolpersteine sind eine ebenso taktvolle, unaufdringliche wie eindringliche Aktion gegen das Vergessen. Hinter jedem Stein verbirgt sich ein persönliches Schicksal: Ich selbst war tief bewegt, als ich in Lübtheen vier Stolpersteine für Mitglieder meiner Familie enthüllen durfte. Sie erinnern an die Geschwister meines jüdischen Großvaters, die von den Nazis in den Tod getrieben wurden. Solange Namen genannt werden, sind diese Menschen nicht vergessen.“
Maria JEPSEN, Bischöfin der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche und Schirmherrin des Projekts „Stolpersteine in Hamburg“:
„Gut, dass nun auch die Universität in einer gemeinsamen Aktion 10 Stolpersteine vor ihrem Hauptgebäude gesetzt hat – für Studierende und Lehrende, die in den Jahren von 1933 bis 1945 ermordet oder in den Tod getrieben wurden, weil sie der barbarischen Ideologie des NS-Systems entgegenstanden. Weil sie politisch anders dachten und handelten, weil sie religiös andere Werte vertraten und weil sie Gewissens- und Religionsfreiheit für grundlegend hielten.“
Séverin PABSCH, Vorstand des Allgemeinen Studierendenausschusses:
„Die Stolpersteine für die 10 Menschen, derer wir heute gedenken, erinnern uns an sie als Personen, an ihr Wirken an unserer Universität und an die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfahren ist. Sie erinnern uns an die Geschichte unserer Uni im Dritten Reich und die besondere Rolle der Studierenden dabei. Sie erinnern uns an den mutigen Widerstand der Weißen Rose und das Erbe dieser Zeit und an die Verantwortung, die wir alle tragen, damit sich dieser Teil der Geschichte nie wiederholt.“
Peter HESS, Projekt „Stolpersteine in Hamburg“:
„3000 Stolpersteine-Patenschaften der Bürger als Geschenk an ihre Stadt haben ermöglicht, dass durch Gunter Demnig in Hamburg das größte dezentrale Kulturdenkmal für die Opfer des Nationalsozialismus entstanden ist.“
Gunter DEMNIG, Künstler und Initiator der „Stolpersteine“:
„Was sind STOLPERSTEINE? Frage eines Reporters an einen Hauptschüler: 'Aber STOLPERSTEINE'; das ist doch gefährlich; man fällt hin.' Die Antwort: 'Man fällt nicht hin; man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen'.“
Stolpersteine sind in den Boden eingelassene kleine Betonwürfel, deren oberen Abschluss eine Messingplatte bildet, auf der die Lebensdaten der zu erinnernden Person eingraviert sind. Sie markieren die Häuser, in denen die Opfer lebten oder wirkten. Die Patenschaften für die 10 Stolpersteine an der Edmund-Siemers-Allee 1 hat die Universität Hamburg übernommen. Für die Verlegung wurden unter den Mitgliedern der Universität Spenden gesammelt, die weit mehr als die dafür erforderlichen 950,00 Euro erbrachten. Der Überschuss wird für weitere Maßnahmen im Bereich der Erinnerungskultur der Universität eingesetzt, so beispielweise für Gedenktafeln in den Hörsälen oder im Foyer des Hauptgebäudes.
Informationen zu den Personen, derer mit den Stolpersteinen gedacht wird:
Dr. Ernst DELBANCO
Geboren am 21.2.1869 in Hamburg, war seit 1921 Honorarprofessor für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der Medizinischen Fakultät. Zum 31.7.1933 wurde ihm als „Nichtarier“ die Lehrbefugnis entzogen. Ernst Delbanco beging am 31.3.1935 Selbstmord.
Hedwig KLEIN
Geboren am 19.2.1911 in Antwerpen, bestand am 18.12.1937 ihr Rigorosum mit dem Hauptfach Islamwissenschaft, erhielt aber als „Nichtarierin“ nicht den Doktorbrief. Der Kriegsausbruch erzwang ihre Umkehr von der Fahrt ins rettende Exil zurück nach Hamburg, von wo sie am 11.7.1942 nach Auschwitz deportiert wurde.
Prof. Dr. Agathe LASCH
Geboren am 4.7.1879 in Berlin, war seit 1917 am Deutschen Seminar in Hamburg tätig und wurde 1923 die erste Professorin der 1919 gegründeten Universität. Von ihrer außerordentlichen Professor für Niederdeutsche Philologie als „Nichtarierin“ zum 30.6.1934 vertrieben, zog sie nach Berlin, von wo sie am 12.8.1942 in den Tod deportiert wurde.
Prof. Dr. Gerhard LASSAR
Geboren am 16.2.1888 in Berlin, wurde 1925 Extraordinarius für Öffentliches Recht an der Hamburger Universität . Als „Nichtarier“ zum 1.1.1934 entlassen, zog er nach Berlin, wo er sich am 6.1.1936 das Leben nahm.
Dr. Martha MUCHOW
Geboren am 25.9.1892 in Hamburg, war enge Mitarbeiterin William Sterns und seit 1929 Wiss. Rätin am Psychologischen Institut. Nach Sterns Verdrängung sollte sie in den Schuldienst zurückkehren; sie erlag am 29.9.1933 den Folgen eines Selbstmordversuches.
Prof. Dr. Kurt PERELS
Geboren am 9.3.1878 in Berlin, wurde 1909 auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht am Hamburger Kolonialinstitut berufen. Angesichts seiner bevorstehenden Entlassung als „Nichtarier“ von seinem Ordinariat und Richteramt nahm er sich am 10.9.1933 das Leben.
Hans Konrad LEIPELT
Geboren am 18.7.1921 in Wien, 1940 als „Halbjude“ aus der Wehrmacht entlassen, musste sein im heimatlichen Hamburg begonnenes Chemiestudium zum WS 1941/42 in München fortsetzen. Dort organisierte er eine Geldsammlung zur Unterstützung der Witwe des hingerichteten Professors Kurt Huber und verbreitete mit anderen Studenten regimekritische Nachrichten. Er hatte entscheidenden Anteil an der Information seiner Hamburger Freunde über die Münchener „Weiße Rose“. Am 8.10.1943 in München verhaftet, wurde er am 13.10.1944 vom Volksgerichtshof wegen „Wehrzersetzung und Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt und am 29.1.1945 in München Stadelheim ermordet.
Reinhold MEYER
Geboren am 18.7.1920 in Hamburg, war Juniorchef der „Buchhandlung der Agentur des Rauhen Hauses“ in Hamburg, wo er auch Germanistik studierte. Als Angehöriger eines regimefeindlichen Freundeskreises am 19.12.1943 verhaftet, kam er ins Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel. Nach mehrmonatiger Haft im KZ Neuengamme starb er unter ungeklärten Umständen am 12.11.1944 in Fuhlsbüttel.
Margarethe ROTHE
Geboren am 13.6.1919 in Hamburg, wurde als Medizinstudentin an der Hamburger Universität am 9.11.1943 wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem Freundeskreis von Regimegegnern verhaftet. Nach mehreren Stationen in deutschen Gefängnissen starb sie während der Haft am 15.4.1945 an den Folgen einer Lungentuberkulose in Leipzig-Dösen.
Friedrich GEUSSENHAINER
Geboren am 24.4.1912 in Neumünster, wurde als Famulus im Universitätskrankenhaus Eppendorf wegen seiner Opposition zur Nazi-Diktatur im Juli 1943 verhaftet. Nach Verlegung von Fuhlsbüttel in das KZ Neuengamme im Mai 1944 wurde er am 7.10.1944 in das KZ Mauthausen überführt, wo er Ende April 1945 umkam.
Fotos zur Feierstunde können ab 14.00 Uhr zur Verfügung gestellt werden. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an die Pressestelle:
Tel.: 040-428 38-29 68 oder presse"AT"uni-hamburg.de.
Für Rückfragen:
Dr. Claudine Hartau
Persönliche Referentin
des Vizepräsidenten für Studium und Lehre
Tel.: 040-4 28 38-52 93
E-Mail: Claudine.Hartau"AT"uni-hamburg.de