23. August 2005
Eine Mehrwertsteuer-Erhöhung muss dem Konsum nicht schaden
Aktuelle Studien der Universität Hamburg zeigen: Der Konsum leidet mehr unter der allgemeinen Unsicherheit als unter der diskutierten Anhebung der Mehrwertsteuer.
Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer muss die Kauflust nicht schmälern. Selbst eine Anhebung auf 19 Prozent kann mit einer Konsumbelebung einhergehen. Voraussetzung: Die Renten werden sicherer, die Arbeitslosen weniger. Wird so die herrschende allgemeine Verunsicherung durch die gesamtwirtschaftliche Lage abgebaut, kann das den negativen Effekt, der der Mehrwertsteuer-Erhöhung zugeschrieben wird, voraussichtlich auffangen. Das zeigen zwei wirtschaftspsychologische Befragungen, die an der Universität Hamburg von Prof. Erich H. Witte, Dipl.-Psych. Niels van Quaquebeke und Christina Mölders mittels Online- und Papier-Fragebögen durchgeführt wurden. Knapp über 1300 Personen nahmen daran teil.
Die Befragten bewerteten zunächst die aktuelle wirtschaftliche Situation für sich persönlich (Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes, Sparen für die Rente, erwartete Steigerung der Krankenkassenbeiträge, Konsumfreudigkeit), und schätzten dann ihre Verunsicherung und ihr Kaufverhalten in einer anderen denkbaren wirtschaftlichen Lage ein. Dabei wurde ihnen zufällig eine von acht verschiedenen Situationen vorgelegt, in denen die Arbeitslosenquote mal elf, mal sechs Prozent betrug, die Renten mal sicher, mal unsicher waren und die Mehrwertsteuer mal bei 16, mal bei 19 Prozent lag.
Bei niedriger Arbeitslosenrate und sicheren Renten zeigen sich die Befragten wesentlich kauffreudiger als in der jetzigen Situation – unabhängig von der Höhe der Mehrwertsteuer. Zudem relativieren die Ergebnisse den befürchteten Einbruch des Konsums bei einer Mehrwertsteuer-Erhöhung unter den gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen: Zwar stimmen die meisten Befragten der Aussage „Wenn es eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent gäbe, würde ich mir weniger leisten“ eher zu. In der Gesamteinschätzung einer Situation mit 11 % Arbeitslosigkeit, unsicheren Renten (wie aktuell gegeben) und mit 19 % Mehrwertsteuer ist aber kein bedeutsamer Rückgang der Konsumbereitschaft gegenüber der aktuellen Lage zu erkennen. Das Kaufverhalten wird den Daten zufolge insgesamt stärker durch die Zahl der Arbeitslosen und die Sicher- bzw. Unsicherheit der Renten beeinflusst als durch den Mehrwertsteuersatz.
Ähnliches gilt für die Zukunftserwartungen: Der Lebensstandard wird positiver eingeschätzt als in der heute gegebenen wirtschaftlichen Lage, wenn die Mehrwertsteuer zwar erhöht, aber die Renten gesichert und die Arbeitslosigkeit verringert wären. Eine bloße Erhöhung der Mehrwertsteuer wird zumindest nicht als Bedrohung für den Lebensstandard wahrgenommen.
Für die politische Praxis bedeutet das: Mehreinnahmen durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer müssen zweckgebunden in eine Sicherung der Renten und eine Senkung der Arbeitslosigkeit investiert werden. So könnte der Konsum nicht nur konstant gehalten, sondern auf längere Sicht sogar angeregt werden.
Weder Ost- und West- noch Nord- und Süddeutsche unterscheiden sich in ihren Einschätzungen voneinander. Ebenso wenig zeigen sich Unterschiede zwischen Arbeitsuchenden und Berufstätigen.
Für Rückfragen:
Prof. Dr. Erich H. Witte
Dipl.-Psych. Niels van Quaquebeke
Universität Hamburg, Arbeitsbereich Sozialpsychologie
Tel.: (040) 4 28 38-47 21
E-Mail: niels.quaquebeke"AT"uni-hamburg.de