Arbeiten am Material der Zukunft – 5 Fragen an Holzwirtschaftler Julius Gurr, Martin Nopens und Goran Schmidt
30. Juni 2017, von Anna Priebe
Foto: UHH/Dingler
Holz findet sich in fast allen Produkten des täglichen Lebens, aber dennoch ist über seine Grundstrukturen vieles nicht bekannt. Die Doktoranden Julius Gurr, Martin Nopens und Goran Schmidt vom Zentrum Holzwirtschaft organisieren gemeinsam mit ihrem Kollegen Oliver Mertens einen PhD-Workshop, der sich mit den Zukunftsfragen der Fachrichtung beschäftigt. Ein Gespräch über Joghurt, Perspektiven und Klischees.
Was sind die häufigsten Reaktionen, wenn Sie erzählen, dass Sie Holz erforschen?
GS: Eine beliebte Antwort ist: Oh, ihr studiert Holz? Dann werdet ihr mal Tischler. Und es gibt auch das Klischee, dass das ja automatisch total nachhaltig sein muss. Dabei kann fast jeder Prozess nachhaltig sein – oder eben auch nicht.
JG: Die Leute können sich einfach nicht vorstellen, was man dazu forschen kann. Die kennen Möbel, wissen aber nicht, wo Holz sonst noch so angewendet wird: in der chemischen Industrie, in der Nahrungsmittelindustrie …
GS: Beim Joghurt zum Beispiel sorgt u. a. aus Holz gewonnene Cellulose für die Konsistenz. Auch Fruchtsäfte, Waschmittel, Tapetenkleister und viele andere Produkte können Holz enthalten.
JG: … auf einer Konferenz in Wien habe ich kürzlich gehört, dass sie in Japan mittlerweile Nudeln aus Cellulose produzieren. In ganz vielen Produkten werden Teile des Holzes verwendet. Das sind hochtechnologische Prozesse, in denen viel Forschung steckt. In der Allgemeinheit wird es aber nicht so wahrgenommen, dass Holz ein Rohstoff ist, an dem man forschen muss.
Zu welchen Themen forschen Sie konkret?
GS: Für meine Doktorarbeit arbeite ich zusammen mit dem Fraunhofer Wilhelm-Klauditz-Institut und einem äthiopischen Start-up-Unternehmen an einem strukturellen Komposit [Verbundstoff, Anmerk. d. Red.] auf Basis von afrikanischem Bambus. Das Thema liegt im Spannungsfeld zwischen Materialwissenschaft, Rohstoffwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit. Bambus wächst eher im globalen Süden und in Ländern, die man als „lesser developed countries“ bezeichnet, wo die Implementierung hoher Technologie-Level sehr schwierig ist. Wenn man daher Baumaterialien aus Rohstoffen wie Bambus oder Palme herstellen will, muss man sich überlegen, wie der Verarbeitungsprozess aussehen könnte. In meiner Arbeit habe ich ein Komposit entwickelt, das mit einer sehr robusten Technologie hergestellt werden kann. Hier wird der Rohstoff im Grunde an seinen Schwachstellen aufgebrochen – ein Prozess, der sehr simpel ist und zugleich eine sehr hohe, lokale Wertschöpfung bietet.
JG: Ich beschäftige mich mit der in situ Polymerisation von Ethylen in Holz. Hier geht es um Holzmodifikation, d. h. die Eigenschaften des Holzes sollen so verändert werden, dass es für neue Anwendungen brauchbar wird. Dafür arbeite ich mit dem Arbeitskreis von Prof. Luinstra aus der Technischen und Makromolekularen Chemie zusammen. Wir versuchen, innerhalb der Holzstruktur, also in den Zellwänden und/oder im Zellinneren, Kunststoff herzustellen. Je nachdem, wie und wo wir das Polyethylen hineinbekommen, könnte das unterschiedliche Veränderungen nach sich ziehen. Zum Beispiel könnte das Holz wasserbeständiger werden oder beständiger gegen Organismen wie Pilze oder Insekten und wäre damit auch in Bereichen einsetzbar, in denen bisher nur reine Kunststoffprodukte verwendet werden.
MN: In meiner Dissertation geht es um die Interaktion von Holz und Wasser. Man kennt es von Möbeln und Bauteilen, die – je nachdem, welche Feuchte ihre Umgebung hat – ihre Dimension ändern können: Im Sommer klemmt die Tür, im Winter nicht. Die Einflüsse sind hinlänglich bekannt, aber nicht der Mechanismus dahinter. Denn bei lebenden Bäumen finden diese Dimensionsänderungen zum Beispiel gar nicht statt. Unser Hauptziel ist daher, zu untersuchen, wie Wasser im Holz eingelagert wird und zu schauen, ob es eine Art poröse Struktur erzeugt. Dafür arbeite ich mit Prof. Fröba vom Institut für Anorganische und Angewandte Chemie zusammen.
Was macht Holz als Rohstoff und Basis für Verbundstoffe so besonders?
MN: Es wächst nach, das ist der große Vorteil. Und geschlagen speichert es dauerhaft CO2 – im Gegensatz zum Wald, der CO2 auch wieder abgibt – und spielt daher auch aus ökologischer Sicht eine große Rolle.
JG: Es ist verhältnismäßig leicht, das heißt, es lassen sich in Verbindung mit Kunststoffen leichtere Komposite erzeugen als beispielweise mit anorganischen Füllstoffen.
GS: Eigentlich ist es technologisch gesehen eine Herausforderung, Naturfasern mit Kunststoff zu verbinden. Es gibt aber einen großen Vorteil: Holz und andere Naturfasern sind bereits perfekte Verbundstoffe, von denen man einfach viel lernen kann.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Herstellung und Verwendung dieser Stoffe?
GS: Das sind teilweise Eigenschaftsprofile, die noch nicht ganz das erfüllen, worauf es in bestimmten „high-tech“-Anwendungen ankommt. Oft liegen diese Herausforderungen aber auch in den Fertigungsverfahren. Komposite, die Holz enthalten, sind oft nicht gut mit den Mitteln verarbeitbar, die die Industrie bereits kennt. Da muss ein Umdenken stattfinden, an dem sich Forschung, Ausbildung und Industrie beteiligen sollten.
MN: Unser Kollege Oliver Mertens forscht in diesem Zusammenhang zu einem sehr interessanten Thema, bei dem es um ein neuartiges Compoundierungs-Verfahren geht – ein Prozess, der in der Praxis noch eine Herausforderung darstellt. Dabei geht es darum, thermoplastische Kunststoffe und Holzfasern in einem neuartigen Prozess zusammenzuführen. Auch hier soll Kunststoff durch Holzanteile substituiert und dadurch Rohöl eingespart werden. Die Technologie wurde inzwischen von der Universität zum Patent angemeldet.
Sie organisieren einen PhD-Workshop, bei dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen zusammenkommen. Was ist Ihr Ziel?
JG: Unser Zentrum ist national und international vernetzt und arbeitet eng mit Einrichtungen der Holzforschung und Holzindustrie zusammen. Mit unserem Workshop wollen wir aber unsere Vernetzung mit anderen Forschungsbereichen und Branchen vorantreiben. Zu diesem Zweck haben wir Experten aus anderen Fachrichtungen eingeladen, um Denkanstöße von außen zu erhalten.
GS: Es kommt zum Beispiel ein Vertreter eines großen Zulieferers aus der Automobilindustrie. Das ist eigentlich nicht unser Kernbereich der Holzwirtschaft, aber im Sinne einer umfassenden Bioökonomie wollen wir gemeinsam mehr nachwachsende Rohstoffe in diese Schlüsselbranche bringen.
MN: Wir versuchen, über die klassische Holzindustrie hinauszudenken. Wir wollen innovativ arbeiten – nicht nur, was die Werkstoffe angeht – und wir wollen ein besseres Grundlagenverständnis erlangen, um dann noch bessere Produkte herstellen zu können. Das Ziel ist, beides miteinander zu verbinden.
PhD-Workshop
Der PhD-Workshop „Think outside of the wooden box“ findet vom 3. bis zum 5. Juli am Zentrum für Holzwirtschaft statt und wird von den Doktoranden Julius Gurr, Oliver Mertens, Martin Nopens und Goran Schmidt aus der Abteilung Holzphysik organisiert. Die Veranstaltung wird von der MIN Graduiertenschule, der European Cooperation in Science and Technology (COST), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) unterstützt. Insgesamt nehmen 15 Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus zwölf Ländern teil, die aus rund 60 Bewerbungen ausgewählt wurden.