Beratung zu sexueller Belästigung und Diskriminierung„Die eigene Grenze ist entscheidend“
4. November 2020, von Tim Schreiber
Foto: UHH/Hansen
Was kann ich tun, wenn ich mich sexuell belästigt oder diskriminiert fühle? Und was, wenn ich ein solches Verhalten beobachtet habe? Dr. Lisa Gutenbrunner, die seit August die Stabsstelle Sozialberatung und Suchtprävention der Universität Hamburg verstärkt, bietet eine vertrauliche Beratung an.
Frau Dr. Gutenbrunner, was sind Ihre Themengebiete und Aufgaben?
Mein Schwerpunkt ist die Beratung der Beschäftigten der Universität. Darunter fällt die allgemeinere Sozialberatung, etwa bei hohen Stressbelastungen, aber auch die Beratung bei sexueller Diskriminierung und Belästigung. Ich unterstütze Betroffene, schaue gemeinsam mit ihnen, welche Handlungsoptionen es gibt, und vermittle auf Wunsch externe Beratungsmöglichkeiten. Außerdem unterstütze ich auch das Umfeld. Es können sich also auch Kolleginnen und Kollegen oder Führungskräfte an mich wenden. Wichtig ist: Ich bin nicht weisungsgebunden und die Beratung bleibt vertraulich oder auch ganz anonym. Es wird an niemanden weitergegeben, wer in die Beratung kommt, geschweige denn, worüber gesprochen wird.
Das zweite Standbein meiner Tätigkeit ist die Prävention. Über Informationsveranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit möchte ich die Beschäftigten der Universität Hamburg für das Thema sensibilisieren. Die Idee ist dabei, dass von vornherein möglichst wenig in dem Bereich passiert.
Sind Fälle von sexueller Belästigung und Diskriminierung in letzter Zeit häufiger geworden oder ist die Sensibilität gestiegen?
Auf jeden Fall sind die Sensibilität und das Bewusstsein gestiegen. Besonders auch durch die sogenannte #MeToo-Kampagne im Jahr 2017 hat das Thema eine breitere Öffentlichkeit bekommen. Was konkrete Zahlen und die Frage nach einer Steigerung der Fälle angeht, ist es leider schwierig, eine Aussage zu treffen. Denn in dem Bereich gibt es natürlich eine hohe Dunkelziffer. Es gibt Schätzungen vom Familienministerium, nach denen rund 30 Prozent aller Frauen in Deutschland Gewalt im Sinne einer Straftat erfahren haben. Sexuelle Belästigungen erleben in ihrem Leben rund 60 Prozent aller Frauen. Zur gefährdeten Gruppe gehören auch Personen der LGBTIQ-Community (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intersexuell, queer, Anm. d. Red).
Im Alltag sind manche Situationen nicht so leicht einzuschätzen. Da werden zum Beispiel anzügliche Bemerkungen im Nachhinein als Missverständnis oder als „nicht so gemeint“ bezeichnet. Gibt es Kriterien, nach denen man entscheiden kann, wann eine sexuelle Belästigung stattgefunden hat?
Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ist nicht die Intention der ausübenden Person ausschlaggebend, sondern ob eine Handlung unerwünscht ist. Für die Betroffenen sind die eigene Wahrnehmung und auch die eigene Grenze entscheidend. Was als erwünscht oder unerwünscht angesehen wird, das ist immer eine persönliche Einschätzung. Dass eine Grenze überschritten wurde, erkennt man oft daran, dass man sich diffus unwohl fühlt in einer Situation oder auch danach. Klassisch ist auch ein merkwürdiges Bauchgefühl. Da sollte man dann genau hinschauen und sich überlegen: Möchte ich das eigentlich oder möchte ich das nicht? Wichtig ist, dass man auf das eigene Gefühl hört und sich dann traut, das Thema anzusprechen oder sich Hilfe und Beratung holt.
Betroffene haben sicher oft Hemmschwellen, über diese Art Erfahrungen zu sprechen?
Das Thema ist leider in vielen Köpfen noch ein Tabu, wird oft auch noch verharmlost. Dadurch fühlen sich Betroffene oft zu Unrecht selbst schuldig, schämen sich oder meinen, das aushalten zu müssen. Wichtig ist ein Umfeld, in dem versucht wird, offen darüber zu sprechen. Ein Arbeitgeber kann signalisieren, dass er das ernst nimmt, Vorfälle nicht toleriert und Betroffene unterstützt. Eine eigene Stelle mit Beratung, wie wir sie an der Uni Hamburg haben, ist gar nicht selbstverständlich und genau so ein Signal an die Beschäftigten.
Was kann ich tun, wenn ich eine Situation von möglicher Belästigung mitbekomme und helfen möchte?
Wichtig ist, dass man das Gespräch anbietet und nichts unternimmt, was die betroffene Person nicht ausdrücklich möchte. Die Situation selbst ist für die Betroffenen ja sehr entmachtend und macht sie oft hilflos. Es ist wichtig, dass die Person dann selbst die Kontrolle hat, was danach passiert und was die nächsten Schritte sind.
Weitere Informationen
Neben der Beratung bei sexueller Belästigung und Diskriminierung hilft die Sozialberatung zum Beispiel auch bei zu hoher Stressbelastung bei der Arbeit, aber auch bei Vorfällen im privaten Umfeld, wie zum Beispiel Trauerfällen oder bei Suchtthematiken. Aktuell berät das Team auch bei Belastungen, die durch das Arbeiten im Homeoffice entstehen oder allgemein im Zuge der Coronakrise. Das Angebot ist als erste Unterstützung – nicht als längerfristiges Angebot – gedacht und bietet auf Wunsch eine Weitervermittlung. Weitere Information gibt es im KUS-Portal.