Willkommen an Bord!„Public History ist keine Geschichtspolizei“Prof. Dr. Thorsten Logge im Interview
6. Dezember 2017, von Daniel Meßner
Foto: UHH/Dingler
Geschichte begegnet uns überall: Wenn wir durch die Straßen laufen, im Kino oder am Kiosk. Thorsten Logge, seit April 2017 Professor im Fachbereich Geschichte, untersucht unterschiedliche mediale Formen von Geschichte im öffentlichen Raum. In seinem Arbeitsfeld Public History dürfen nicht nur Computerspiele gespielt werden, sondern Studierende auch selbst forschen.
Beschäftigen sich im Moment mehr Menschen mit Geschichte als früher?
In westlichen Gesellschaften erleben wir seit längerer Zeit schon einen Geschichtsboom. Wenn Sie in einen Kiosk gehen, dann sehen Sie viele Zeitschriften zum Thema Geschichte, jedes größere Wochen- oder Monatsmagazin hat inzwischen einen historischen Ableger. Auch Geschichtsdokumentationen im Fernsehen erzielen weiterhin enorme Reichweiten.
Auch im Unterhaltungsbereich sind historische Themen sehr beliebt, etwa in Historienfilmen oder Fernsehserien wie Boardwalk Empire, Mad Men oder auch Fargo. Zahlreiche Videospiele befassen sich mit historischen Themen oder Settings.
Diese vielen unterschiedlichen Formen von Geschichte lassen sich als „Trivialhistoriographien“ bezeichnen – oder besser noch: Geschichtssorten. Sie erreichen oft ein großes Publikum – die universitäre Geschichtswissenschaft hingegen eher weniger.
Woran liegt das und wie lässt sich das ändern?
Wir sind in der universitären Geschichtsschreibung hochreguliert im Umgang mit der Vergangenheit: Wir versuchen verlässliche, ausgewogene und belastbare Aussagen über Vergangenheit zu treffen, um Gegenwartsfragen zu lösen. Geschichtswissenschaft hat dabei eine hohe Berechtigung in dieser Gesellschaft, in der kollektive Identitäten in der Regel historisch begründet werden und gesellschaftliche Positionierung häufig über Geschichte funktioniert.
Unterhaltungs-Historiographie muss den professionellen Ansprüchen der Wissenschaft dagegen überhaupt nicht genügen, sie möchte vor allem unterhalten. Gleichzeitig prägt sie die Erwartungshaltung des Publikums heute mehr denn je. Wer historische Filme schaut oder Computerspiele spielt, wie Assassin's Creed, und dann zu einer geschichtswissenschaftlichen Arbeit greift, kann enttäuscht werden. Die Erwartungshaltung des Publikums müssen wir als Geschichtswissenschaft aber ernst nehmen, wenn wir auch zukünftig noch über Fachkreise hinaus Gehör finden wollen.
Wir brauchen eine wissenschaftliche Erforschung der verschiedenen Geschichtssorten. Und wir können dabei von der Literaturwissenschaft lernen, die schon lange Trivialliteraturen einbezieht.
Wir sollten auch aufhören, immer nur die Fakten zu prüfen. Wir müssen vielmehr auf die Medien selbst schauen und nachvollziehen, auf welche Art und Weise Geschichte inszeniert wird, für wen und vor allem: wofür.
Welche Rolle spielt Public History in der Auseinandersetzung mit Geschichte?
Ich wurde mal gefragt, ob Public History eine Art „Geschichtspolizei“ sein kann. Da bin ich dagegen. Falsche Behauptungen aufzuklären ist eine Sache, die selbstverständlich getan werden muss. Wenn jemand Unsinn erzählt, der quellenmäßig nicht ansatzweise belegbar ist, ist es gut, etwas dagegenzusetzen und zu sagen: Das ist falsch! Es ist aber die Aufgabe aller Historikerinnen und Historiker, in ihren Themenfeldern öffentlich korrigierend einzugreifen, das kann Public History nicht übernehmen.
Es braucht aber auch eine Analyse auf einer anderen Ebene: Was ist das Ziel einer Argumentation, wie wird erzählt, wem und auf welchen medialen Kanälen.
Man kann sich ermüden in der Diskussion mit der Rechten darüber, was ein Fakt ist und was nicht. Wichtiger ist aus meiner Sicht, Erzähllogiken und Argumentationslinien aufzuzeigen. Und zu zeigen, warum und wie hier Geschichte benutzt wird.
Wie setzen Sie das um?
Wir versuchen auch außerhalb der Universität ein Publikum zu erreichen, etwa in Kneipengesprächen oder über Ausstellungen und in Zusammenarbeit mit Geschichtswerkstätten in den Stadtteilen. Und wir entwickeln neue Formate, wie die studentischen Forschungsgruppen, die vom Lehrlabor Geisteswissenschaften gefördert werden.
Das ist ein Projekt, bei dem Studierende selbst forschen können. Das Besondere ist, dass wir als Lehrende mitforschen. Wir zeigen den Studierenden, wie wir arbeiten und geben so unser Wissen weiter. Das ist eine große Chance, schon im Studium selbst zu forschen. Zum Thema Geschichte bei der neuen Rechten werden wir im Wintersemester 2018 in der Lehre einen Themenschwerpunkt aufsetzen und uns intensiv damit beschäftigen, wie Vergangenheitsnutzung und politische Positionierung zusammengehen.
Was ist Ihr Forschungsfeld und wo liegt Ihr Forschungsinteresse?
In meinem Projekt beschäftige ich mich mit Panoramen der Schlacht von Gettysburg. Die Schlacht fand im Juli 1863 während des amerikanischen Sezessionskrieges statt. Panoramen, große 360-Grad-Rundbilder, waren das IMAX-Kino des 19. Jahrhunderts und eine beliebte Form der Massenunterhaltung. Zur Schlacht von Gettysburg gibt es seit den 1880er Jahren Panoramen.
Ich schaue mir an, wie diese Unterhaltungsmedien in den USA zu unterschiedlichen Zeiten genutzt wurden, um sich selbst als amerikanische Nation zu erzählen. Geschichte wird immer ausgeführt und aufgeführt zugleich, wie der Theaterwissenschaftler Freddie Rokem geschrieben hat. Das ist auch eine meiner Arbeitshypothesen.