Ozeane im Mittelpunkt gesellschaftlicher Prozesse„Wir brauchen eine Soziologie des Meeres“
9. Dezember 2024, von Christina Krätzig
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Dr. habil. Tanja Bogusz von der Universität Hamburg war mit ihrem Projekt „Soziologie des Meeres“ im Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft erfolgreich. Das Vorhaben wird in einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren mit bis zu 561.000 Euro gefördert. Das prestigereiche Heisenberg-Programm kann bei Interessensbekundung seitens einer Universität in eine Heisenberg-Professur umgewandelt werden.
Das Meer ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen – aber auch ein Ort vielfältiger menschlicher Aktivitäten. Schifffahrtsrouten verbinden Kontinente, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt küstennah. Fischer werfen ihre Netze aus, Ölfirmen errichten Bohrinseln und Traumstrände locken Touristen an.
„Trotzdem werden die Ozeane vor allem als eine Angelegenheit der Naturwissenschaften betrachtet“, erklärt Tanja Bogusz vom Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg.
„Natürlich ist das Meer ein Teil der Natur. Gleichzeitig aber wird es heute, im Zeitalter des Anthropozäns, maßgeblich vom Menschen geprägt: Angefangen beim Klimawandel, der nicht nur die Höhe des Meeresspiegels beeinflusst, sondern auch Wassertemperaturen und -salzgehalt, über die Ausbeutung seiner Ressourcen bis zu räumlichen und ökosystemischen Veränderungen an Küsten durch Schifffahrtsrouten, Windparks, Sperrwerke oder Hotelanalagen.“
Aus diesem Grund sieht Tanja Bogusz es als überfällig an, eine Soziologie des Meeres zu etablieren und das Meer in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Prozesse zu rücken. Hier sei echte Grundlagenforschung nötig, sagt sie – eine Mammutaufgabe, die sie mit Hilfe des DFG-Heisenberg-Programmes angehen will.
Darüber hinaus wird sie ihr Forschungsprojekt um einen anwendungsbezogenen Teil erweitern. Am Beispiel von Küstenregionen in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden will sie erforschen, wie man Akteurinnen und Akteure mit divergierenden Interessen zu einer besseren Zusammenarbeit bewegen kann. „Denn in Küstenregionen kommt es häufig zu starken Polarisierungen – beispielsweise bei Themen wie Fischerei versus Meeresschutz. Gleichzeitig zwingt das Meer seit jeher zur Kooperation, weil sich Herausforderungen wie Sturmfluten nur gemeinschaftlich bewältigen lassen“, erklärt Bogusz. Deswegen seien Küstengesellschaften ein besonders geeignetes Untersuchungsfeld mit Blick auf den sozialen Zusammenhalt.
Ihr selbst ist das Themengebiet von Kindesbeinen an vertraut. Aufgewachsen in St. Pauli, setzt sich Tanja Bogusz heute im Konsortium Deutsche Meeresforschung für die Stärkung der Marine Social Sciences in Deutschland ein. Sie hat mehrere Expeditionen des Pariser Naturkundemuseums begleitet und war mit den französischen Biologen und Biologinnen unter anderem am südfranzösischen Mittelmeer. In Papua-Neuguinea haben diese eine neu entdeckte Tiefsee-Schneckenart nach ihr benannt: Joculator boguszae.