150 Jahre Ernst CassirerKulturphilosoph, Universalgelehrter und Rektor der Universität Hamburg
26. Juli 2024, von Newsroom-Redaktion
Foto: Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte
Am 28. Juli 2024 gedenkt die Universität Hamburg Ernst Cassirers, der an diesem Tag vor 150 Jahren geboren wurde. Cassirer hat die Anfangszeit der Universität geprägt wie kaum ein anderer Wissenschaftler.
Der Kulturphilosoph gehörte nach der Universitätsgründung im Jahr 1919 zur ersten Generation Neuberufener, für die Amtszeit 1929-1930 wurde er zum Rektor der Universität gewählt. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 wurde er schändlich vertrieben und beschloss, Deutschland zu verlassen. Vor 1933 waren es besonders die jüdischen Gelehrten gewesen, die für das Renommee der jungen Hamburgischen Universität gesorgt hatten. Durch sie hat die Universität in der Weimarer Republik eine wissenschaftliche Blütezeit erlebt trotz republikfeindlicher Angriffe und antisemitischer Umtriebe.
„Wir würdigen Ernst Cassirer als eine der prägendsten Figuren der Universität Hamburg sowie der deutschen und europäischen Philosophie. Cassirers breit angelegtes Werk und sein ständiger interdisziplinärer Dialog stehen für die Werte, die die Universität Hamburg auch heute vertritt. Ebenso wie sein mutiges Engagement als Rektor für die Demokratie in Zeiten verbreiteter Republikfeindlichkeit und eines aufsteigenden Nationalsozialismus. Cassirers Haltung für die wissenschaftliche Vernunft und gegen die instrumentelle Politisierung akademischer Diskursräume ist beispielgebend für die Rolle, die Universitäten in schwierigen Zeiten zu spielen haben“, sagt Prof. Dr. Hauke Heekeren, Präsident der Universität Hamburg.
Der lange Weg zur Professur
Einer der größten Philosophen und europäischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts erhielt erst nach der demokratischen Wende 1919 in Hamburg seine erste, lange überfällige Professur und wurde in wenigen Jahren zu einer der herausragenden Persönlichkeiten der Universität und der Stadtgesellschaft. Kurz nach Universitätsgründung wurde der 45-jährige Cassirer in die Hansestadt berufen. Zum Wintersemester 1919/1920 trat er seine Professur an und leitete fortan das Philosophische Seminar. Zunächst in der Domstraße und ab 1929 im Institutsgebäude am Bornplatz 1-3, heute Allende-Platz 1, besser bekannt als „Pferdestall“. Er engagierte sich parallel an der zeitgleich errichteten Volkshochschule.
Hamburger Jahre und Zeit als Rektor für Freiheit und Demokratie
Auf die Hamburger Zeit gehen bahnrechende und weltweit rezipierte Werke Cassirers zurück, etwa sein dreibändiges philosophisches Hauptwerk „Die Philosophie der symbolischen Formen“ (1923, 1925, 1929) oder der ideengeschichtliche Dreiklang von „Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance“ (1927), „Die platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge“ (1932) und „Die Philosophie der Aufklärung“ (1932).
Auf Einladung des Hamburger Senats hielt Cassirer am 11. August 1928 im Rathaus zur Feier des zehnten Jahrestags der Weimarer Demokratie die berühmte Rede „Die Idee der republikanischen Verfassung“. Ein Jahr später wurde er zum Rektor der Hamburgischen Universität für das akademische Jahr 1929-1930 gewählt – der vierte jüdische Rektor einer deutschen Hochschule, der erste und einzige in der Zeit der Weimarer Republik.
In seiner Amtszeit setzte er sich tatkräftig ein, gegen die Widerstände von konservativen und republikfeindlichen Hochschullehrenden und Studierenden eine Feier der Universität zur Würdigung der Weimarer Reichsverfassung zu veranstalten, welche am 22. Juli 1930 stattfand; in diesem Rahmen hielt Cassirer die Festrede „Wandlungen der Staatsgesinnung und der Staatstheorie in der deutschen Geistesgeschichte“. In dieser historischen Phase nahmen bekanntlich der Antisemitismus und die antidemokratischen Tendenzen an der Universität bereits immer stärker zu. Daher stand Cassirers Rektorat ganz im Zeichen eines mutigen Einsatzes für Freiheit und Demokratie.
Vertreibung aus Deutschland
Im Anschluss an die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler beschloss Cassirer, Deutschland zu verlassen. Noch bevor das NS-Regime am 7. April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verabschiedete, hatte Cassirer um die Aufhebung seiner Verpflichtungen ersucht. Am 2. Mai 1933 verließ er Deutschland endgültig, ein Tag vorher hatte die Universität Hamburg ihr Bekenntnis zum Nationalsozialismus erklärt. Zum 1. November 1933 wurde Cassirer zwanghaft in den Ruhestand versetzt.
Mehrere Exilstationen prägen die letzten Jahre seiner intellektuellen Biographie: Oxford (1933-1935), Göteborg (1935-1940) sowie schließend seine Zeit in den USA. Das Ende des Zweiten Weltkriegs hat Cassirer nicht mehr erlebt. Er starb am 13. April 1945 in New York, wo er inzwischen lehrte. Sein Werk „The Myth of the State“ ist eine umfangreiche, weiterhin aktuelle Analyse des Ursprungs und des Charakters der politischen Mythen, die den Aufstieg totalitärer Regime in Europa in den 1920/30er-Jahren entscheidend prägten.