Neue Biodiversitätsmanagerin für die Universität Hamburg„Als Universität sollten wir unserer Verantwortung nachkommen“
7. Dezember 2023, von Claudia Sewig
Foto: UHH/Göttling
Myriam Rapior promoviert an der Universität Hamburg zu nachhaltigen Lieferketten, engagiert sich ehrenamtlich schon lange im Umwelt- und Naturschutz – und bringt diese Inhalte jetzt auch in die Verwaltung der Uni ein: als deren neue Biodiversitätsmanagerin.
Frau Rapior, viele haben es wahrscheinlich noch gar nicht mitbekommen, dass die Universität Hamburg jetzt eine Biodiversitätsmanagerin hat.
Das ist auch noch recht frisch. Ich habe meine Arbeit Anfang September aufgenommen, nachdem das Präsidium die verstärkte Arbeit und das Amt zur Biodiversität beschlossen hatte.
Wie genau definiert sich Biodiversität, und wie sieht Ihre Aufgabe aus?
Als Biodiversität – auch Biologische Vielfalt genannt – versteht man die Vielfalt der Ökosysteme, die Vielfalt der Arten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. In meiner Arbeit im sogenannten „Biodiversity-Lab“ arbeite ich dem Sustainability Office zu und unterstütze somit die Nachhaltigkeitsstrategie der Universität Hamburg. Wie auch in den anderen Bereichen der Nachhaltigkeit besteht die Biodiversitätsstrategie aus drei Säulen: Es geht um den Fußabdruck, den Handabdruck und den sogenannten Brainprint. Den negativen Fußabdruck der Universität Hamburg auf die Biodiversität und die Natur zu messen und zu verringern, ist das eine Ziel, da wir mit unserer Hochschule und deren Liegenschaften direkt in der Stadt ja auch einen Einfluss auf die Stadtnatur haben. Beim Handabdruck fragen wir uns, was wir als Universität Hamburg eigentlich für einen positiven Einfluss auf den Biodiversitätsschutz haben können. Konkret geht es hier um den Wissenstransfer, also darum, dass wir das Wissen, das wir und die verschiedenen Einrichtungen rund um das Thema Biodiversität haben, der Gesellschaft und Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Und dann gibt es die dritte Säule, den Brainprint. Dabei fragen wir uns: Welches Wissen fehlt denn noch? Wozu sollten wir also mehr forschen und uns interdisziplinär austauschen?
Und alle diese Themen bearbeiten Sie alleine?
Das Thema ist viel zu groß für eine Person und die Universität hat hier auch schon lange vor mir sehr viel getan. Ich bin also sehr froh über das „Teamplay“ und die vielen Schnittstellen zu unterschiedlichsten Einrichtungen an der Universität Hamburg. Zum Beispiel arbeite ich sehr gerne mit der Campusentwicklung oder auch mit den Mitarbeitenden des Botanischen Gartens der Uni Hamburg zusammen. Dazu kommen Studierende, die sich engagieren, und Einzelpersonen aus vielen unterschiedlichen Bereichen. Ich freue mich immer über Ideen und Aktivitätsvorschläge.
Was sind Ihre ersten konkreten Vorhaben?
Wir überlegen uns gerade, wo wir noch mehr Flächen an den großen Campusstandorten naturfreundlicher gestalten können, zum Beispiel mit dem Anlegen von Wildblumenwiesen. Als nächstes Projekt möchten wir Exkursionen und Workshops für Studierende anbieten, mit denen wir das Thema Biodiversität möglichst interessant machen können. Da bietet sich zum Beispiel der Botanische Garten mit dem Herbarium Hamburgense an. Außerdem wollen wir praktische Naturschutzarbeit anleiten, etwa am Tag des Naturschutzes. Und im Bereich Forschung bauen wir gerade ein Doktorandennetzwerk am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) auf. Hier soll ein Raum für Forschende ganz unterschiedlicher Fachrichtungen entstehen, frei über das Thema Biodiversität nachzudenken, zu diskutieren und im Idealfall auch dazu zu arbeiten.
Biodiversität, Ökosysteme, Arten- und genetische Vielfalt: Man könnte denken, dass Sie aus dem Bereich der Naturwissenschaften kommen.
Das denken die Meisten! Aber ich habe einen BWL-Hintergrund, und das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil für mich ist, dass ich, dadurch, dass ich fachfremder reinkomme, vielleicht besser verstehe, warum das Thema so schwierig und wenig greifbar ist. Und wie man es einfach aufbereiten muss – für eine BWLerin wie mich. Ganz fachfremd bin ich aber dann auch nicht, weil ich seit zehn Jahren in der Umweltorganisation Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) aktiv und deshalb mit vielen dieser Themen vertraut bin. Und diese Erfahrung zur Biodiversitäts-Governance kann in meine Aufgabe an der Universität Hamburg gut einfließen lassen.
Woher kommt Ihr großes Engagement im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich?
Tatsächlich aus dem BWL-Studium. Ich war damals total enttäuscht, dass Umwelt und Natur fast gar nicht vorkamen. Ich hörte um mich herum immer mehr von der Bedeutung ökologischer Nachhaltigkeit und von der Überlastung von Ökosystemen. Und im BWL-Studium erfuhr ich zwar, wie Unternehmen erfolgreich agieren, aber lernte nichts darüber, wie sie planetare Grenzen wahren können. Und das hat mich zum Denken angeregt. So bin ich zum Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gekommen.
Und dann haben Sie das auch immer mehr in Ihr Studium und Ihre Forschung integriert?
Genau. Ich habe mir in meiner Bachelorarbeit an der Uni Mannheim angeschaut, wie Unternehmen ihre Kunden in Nachhaltigkeitsaktivitäten einbeziehen können und wie somit Partizipation in unternehmerischen Entscheidungen ermöglicht wird. Und in meiner Masterarbeit habe ich mich dann schon auf Biodiversität konzentriert. Ich habe damals zur ökonomischen Bewertung von Biodiversität geschrieben. Und da bestehen noch viele Fragezeichen rund um die Vereinbarkeit von wirtschaftlichen Aktivitäten und funktionsfähigen Ökosystemen.
Promovieren Sie auch dazu?
Ja, ich promoviere bei Prof. Dr. Alexander Bassen zu nachhaltigen Lieferketten. Zum Beispiel schaue ich mir in einer Studie an, wie große Unternehmen das Thema Biodiversität angehen, wie sie dazu berichten und wie sie Natur- und Biodiversitätsaspekte in ihren Lieferketten berücksichtigen.
Wie erklären Sie Menschen, die sagen, dass es wichtigere Aufgaben für eine Universität gibt, warum die Biodiversität dazugehören sollte?
Eines ist mir ganz wichtig: Meine Arbeit soll parallel zu anderen Themen existieren. Gerade mit sozialen Themen wie etwa Arbeitsbedingungen in Forschung und Lehre soll mein Bereich nicht konkurrieren. Vielleicht kann man es so ganz gut erklären: Biodiversität ist ein Querschnittsthema. So wird es zum Beispiel durch die Versiegelung auf dem Von-Melle-Park-Campus im Sommer ganz schön heiß. Wenn wir nun für Begrünung sorgen könnten, dann hat das nicht nur einen Vorteil für die Biodiversität, sondern hat auch positive Auswirkungen auf Menschen. Denn so könnte sich das Klima dort verbessern und man könnte auch an heißen Tagen dort besser arbeiten. Andersherum müssen wir uns wie jede Organisation, die Flächen und Gebäude besitzt, auch als Uni fragen, ob wir hier alles getan haben, um die Natur zu schützen. Weltweit verlieren wir rund 150 Arten pro Tag und auch für den Raum Hamburg stehen viele Arten auf der Roten Liste. Und ich finde es wichtig, dass sich jede Organisation über den ökologischen Fußabdruck und mögliche Verbesserungsfelder Gedanken macht. Auch gerade, weil das Thema weltweit schon so lange nicht richtig beachtet wurde, weil immer etwas Anderes wichtiger war und weil die Forschenden unserer Universität uns sagen, wie dramatisch es um den Verlust unserer biologischen Vielfalt steht. Wir riskieren einen gesamten Ökosystemkollaps! Und als Universität Hamburg können wir einen kleinen Beitrag leisten, um dies zu verhindern.
Zur Person
Myriam Rapior promoviert derzeit bei Prof. Dr. Alexander Bassen an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg und ist die neue Biodiversitäts-Managerin der Universität. Neben ihrer Tätigkeit als stellvertretende Bundesvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist sie in den Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung berufen worden, wurde mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet – und gerade von der Zeitschrift „Capital“, mit anderen großen Talenten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, unter die „Top 40 unter 40“ gewählt.