Sigmund-Freud-Preisträger Prof. Dr. Matthias Glaubrecht im InterviewViele meinen, wenige wissen – Warum Sachbücher in der heutigen Zeit so wichtig sind
6. November 2023, von Mareen Gerisch
Foto: Deutsche Akademie/Andreas Reeg
Für seine Sachbücher, unter anderem zu Artenvielfalt und Evolution, hat Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, Professor für Biodiversität der Tiere an der Uni Hamburg, am 4. November den diesjährigen Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa erhalten. Zudem ist „Die Rache des Pangolin“ beim Hamburger Literaturpreis als Sachbuch des Jahres nominiert. Ein Gespräch über die Vermittlung von Wissen und die Verbindung von Natur und Literatur.
Prof. Glaubrecht, der Sigmund-Freud-Preis ehrt Autorinnen und Autoren, die komplizierte Sachverhalte ihrer Wissenschaft in Prosatexten allgemeinverständlich darstellen. Er wird aber nur selten an Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler vergeben. Woran könnte das liegen?
Tatsächlich ist der Preis in all den Jahren seit 1964 bisher nur an vier Naturwissenschaftler vergeben worden – darunter Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker. Meist ging er an Philosophen wie Peter Sloterdijk oder Hans Blumenberg und an Historiker wie Jürgen Osterhammel oder Reinhart Koselleck. Ich bin überhaupt erst der dritte Zoologe bzw. Evolutionsbiologe.
Es ist in erster Linie ein literarischer Preis – und Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler sind wohl eher selten literarisch begabt. Das hängt aber sicher auch damit zusammen, dass wir meist den Fokus auf die Fakten und Befunde, weniger auf die Art und Weise der Vermittlung legen, also darauf, wie wir ein breiteres Publikum erreichen und wie wir uns verständlich machen.
Dabei pflegte die Naturwissenschaft in früheren Zeiten durchaus eine enge Verbindung zu den Künsten. Universalgelehrte wie Goethe und Humboldt haben Naturforschung und literarisches Schreiben verbunden. Was halten Sie von dieser literarischen Popularisierung der Wissenschaft?
Auch in historischer Perspektive ist diese Verbindung von literarischem Schreiben und Naturforschung durchaus problematisch. Goethe konnte noch beides. Aber schon Alexander von Humboldt ist daran gescheitert, als er versuchte, die Ästhetik von Kunst und Literatur mit der Empirie zu verbinden. Fachkollegen – von Charles Darwin bis zu anderen Zeitgenossen – hielten, wenn man genau hinsieht, wenig von Humboldts Texten, insbesondere seinem Alterswerk „Kosmos“, das ja bis heute eigentlich unlesbar ist. Mit seinem ausufernden Werk schlagen sich heute noch Literaturwissenschaftler herum, dagegen hat er nie einen wirklich eingängigen und zugänglichen Reisebericht verfasst.
Humboldt war buchstäblich eine ganze Akademie – aber zumindest in seinem Schreiben alles andere als der beste ‚Popularisierer‘ der Wissenschaft. Sein Zeitgenosse Adelbert von Chamisso, der tatsächlich eine Doppelexistenz als Naturkundler und Dichter führte, hat dagegen bereits sehr bewusst die Fantasie, die es ja zum literarischen Schreiben auch braucht, aus der Wissenschaft herausgehalten. Allerdings profitiert nicht nur der heute noch gelesene Bericht seiner Weltreise von seiner seltenen literarischen Begabung, sondern auch seine gefeierte Lyrik von seiner breiten naturkundlichen Erfahrung.
Wissenschaft wird auch heute aus dem Elfenbeinturm herausgebracht – und auf der Bühne oder in der Kneipe präsentiert. Was müsste passieren, damit auch Literatur in dieser Wissensvermittlung eine größere Rolle spielt?
Es stimmt: Einige Kolleginnen und Kollegen bemühen sich durchaus immer stärker um diesen Wissenstransfer. Da tut sich einiges, aber leider gilt das unter vielen Forscherinnen und Forschern immer noch als verpönt. Man rümpft weiterhin die Nase über jene, die den engen Fachzirkel verlassen.
Auch wenn man darüber streiten kann, ob etwa Science Slams wesentlich und nachhaltig zur Verbesserung dieses Transfers von Wissen beitragen, wird die Vermittlung insgesamt immer noch zu sehr vernachlässigt. Sie ist ohne Frage ein schwieriges Geschäft, wird hierzulande aber auch viel zu wenig gezielt und mit den richtigen Maßnahmen gefördert.
Das gilt auch für die Literatur als Instrument der Wissenschaftskommunikation: Eine Doppelbegabung wie bei Goethe oder Chamisso ist selten, aber anders als etwa in den USA gibt es hierzulande an den Universitäten auch keine regelmäßigen Kurse zum Schreiben. Das würde sicherlich helfen. Und das Schreiben müsste als karriereförderlich angesehen werden, was momentan nicht der Fall ist. Im angloamerikanischen Sprachraum wird ein gut lesbares populärwissenschaftliches Buch als Krönung der wissenschaftlichen Karriere angesehen. Bei uns dagegen wird das immer noch viel zu stark getrennt. Und Preise für den Transfer von Wissenschaft sind eher eine Seltenheit – gerade im Vergleich zu den vielen Literaturpreisen.
Was hat Sie bewegt, als Autor von Sachbüchern aktiv zu werden?
Meine ersten Bücher sind aus einer journalistischen Betätigung während meines Studiums und der Doktorarbeit hier in Hamburg entstanden. Für mich sind Bücher aber auch weiterhin ein zeitloses und unschlagbar großartiges Medium des effektiven und nachhaltigen Wissenstransfers – und dabei müssen sie überhaupt nicht trocken und langweilig sein.
Wissen und Erkenntnis zu transportieren – und das in gut lesbarer und allen zugänglicher Form – empfinde ich im positiven Sinn als eine Herausforderung, der ich mich gerne stelle. Man ist da als Autor gründlicher als etwa bei einem Podcast oder Blog. Und ich finde, spannend geschriebene Sachbücher sind gerade in unserer Zeit, in der viele meinen, aber wenige wirklich wissen, nötig und eigentlich unersetzlich.
Nehmen Sie Ihre Erkenntnisse aus der literarischen Wissensvermittlung auch mit in die Lehre an der Uni?
Natürlich fließen die beim Schreiben gewonnenen Erkenntnisse auch in meine Vorlesungen ein. Aber ganz ehrlich: Inhalt und Organisation unseres derzeitigen Lehrangebots im Fachbereich Biologie lassen für literarische Wissensvermittlung leider eher wenig Spielraum. Originalzitat einer Studentin dazu: ‚Herr Glaubrecht, muss ich den Quatsch, den Sie zwischendurch erzählen, auch für die Klausur lernen?‘
Sie sind nicht nur Professor und Autor, sondern auch wissenschaftlicher Projektleiter des neuen Hamburger Naturkundemuseums. Hier arbeiten Sie u. a. an einer Ausstellungskonzeption. Was können Sie uns hierüber schon sagen?
Hamburg hat sein Naturhistorisches Museum, immerhin einst das zweitgrößte dieser Art in Deutschland, im Zweiten Weltkrieg verloren, braucht aber dringend wieder einen solchen zentralen Ort der Wissensvermittlung – gerade im immer zentraleren Bereich der Naturkunde.
Mit einem neuen Museum wollen wir nicht nur in der Ausstellung konzeptionell weit über das derzeitige Museum der Natur Hamburg hinausgehen, sondern mit innovativen Elementen im zukünftigen ‚Evolutioneum‘ auch ganz neue Wege des Zugangs zu Wissenschaft und Forschung für die Besucherinnen und Besucher beschreiten. Vor allem wollen wir dabei den Menschen als inzwischen wichtigen Evolutionsfaktor betonen – wie der Name des neuen Museums schon nahelegt.
Mit dem ‚Evolutioneum‘, das jetzt in der Hafencity entstehen wird, sollen aber nicht nur neue Formen des Wissenstransfers entwickelt werden; vielmehr hoffen wir, so auch zu einem besseren Verständnis der Bedeutung des Erhalts der Natur beizutragen. Wir müssen für dieses wichtige Zukunftsthema noch mehr Menschen erreichen – und bewirken, dass sie sich mehr für die Natur interessieren und einsetzen.
Sigmund-Freud-Preis
Der Sigmund-Freud-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist dem Psychoanalytiker Sigmund Freud gewidmet, dem es gelang, komplizierte Sachverhalte seiner Wissenschaft allgemeinverständlich darzustellen und damit zur Popularität seines Wissensgebietes beizutragen. Matthias Glaubrecht erhält den Preis laut der Jurybegründung für seine Sachbücher, etwa „Das Ende der Evolution“ zum Artensterben oder zum Naturforscher und Dichter Adelbert von Chamisso. Mit ihnen betreibe er „fundierte Aufklärung über die Lebensprozesse auf unserem Planeten in der Epoche des Anthropozän“. Mit einem Gespür für die historischen und poetischen Dimensionen wissenschaftlicher Erkenntnis erweise er sich als glänzender Stilist, der die Tradition naturgeschichtlicher Prosa auf eindrucksvolle Weise weiterführe.